Bundestagswahl 2017: Die Kulturpolitik der Parteien, I/III

Erzähler wissen: Entscheidungen sind schwer. Eine Wahl ist immer auch ein Dilemma: Bei zwei Kreuzen und ohne spontane inhaltliche Einflussmöglichkeit ist die Wahlentscheidung auch immer ein Opfer aller anderen Möglichkeiten und manchmal sogar ein Opfer der Einflussnahme selbst, wie z.B. die Wähler der Linken in NRW jüngst feststellen mussten.

Erzähler wissen auch: Für Entscheidungen muss man gerade stehen; es ist wichtig, die Entscheidung verantwortungsbewusst – und das heißt unter anderem: informiert – zu treffen. Darum ein Überblick über die kulturpolitischen Ideen der Parteien, deren Vertreter vermutlich im nächsten Bundestag sitzen werden, besonders in Bezug auf Schrift und Film. Nicht, weil wir uns bei dieser Wahl nur für uns interessieren sollten, sondern weil uns die gesellschaftliche Bedeutung unserer Arbeit vielleicht besonders bewusst ist.

Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kultur

Diese gesellschaftliche Bedeutung wird offenbar wahrgenommen. „Kultur und Kunst ermöglicht Kommunikation und Verständigung, Bildung, Freiheit und Selbstvergewisserung“ (LINKE), bzw. „Kultur regt Diskurse an und trägt zur Identitätsbildung und Entwicklung jedes und jeder Einzelnen bei“, „Kultur macht Neues erfahrbar, baut Brücken zu Unbekanntem und kann für mehr Verständigung sorgen.“ (SPD).

Auch die FDP betont das kommunikative Moment von Kultur: „Ein lebendiger Diskurs ohne Restriktionen ist Grundlage für eine freiheitliche Kultur.“ Wie schön, dass unser filmschreiben-Claim so gut ankommt. Zur „Identitätsbildung und Entwicklung“ der SPD fällt der CDU ein: „Kunst und Kultur sind Grundpfeiler unseres Zusammenlebens und fördern die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen.“
„Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur“
Zur Identität hat die AfD natürlich auch etwas zu sagen: „Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur“ – und widerspricht damit den anderen Parteien, denn eine Leitkultur braucht keinen Diskurs, und dem Kulturellen, dem Bearbeitenden an sich. Kultur sei „nur als etwas wechselbezügliches Ganzes von Gesellschaften zu verstehen“, mit der rechtsradikalen Täuschung, es gäbe ein gesellschaftliches Ganzes.

Ein paar Sätze weiter wird es rassistisch: „Unsere Wertschätzung von Bildung, Kunst und Wissenschaft und der sozialen Marktwirtschaft als Ausdruck menschlicher Kreativität und Schaffenskraft sind damit [deutscher Leitkultur] engstens verbunden.“ Wertschätzung für Bildung, Kunst, Wissenschaft und Schaffenskraft kennt offenbar nur der Deutsche.

Die AfD warnt vor der „Ideologie“ Multikultur und identifiziert einen Kulturkampf zwischen Islam und Abendland. Die anderen Parteien setzen dem entgegen: „In Zeiten des wachsenden Populismus ist eine offene Kultur der Schlüssel zum Dialog“ (SPD) und „Kultur ist Ausdruck von Humanität“ (CDU).

Kulturelle Bildung und Medienkompetenz

FDP und LINKEN ist die Zugänglichkeit von Kunst und Kultur ein Anliegen: „Wir […] wollen die Vielfalt und die Freiheit des Kulturlebens in Deutschland sichern und für alle Menschen in unserem Land zugänglich machen“, bzw. „Kommerzielle Angebote sind nicht für alle Menschen zugänglich und häufig nicht demokratisch gestaltet.“

Auch die GRÜNEN schließen sich da an, denn es geht nicht bloß um eine strukturelle Zugänglichkeit, sondern auch um eine inhaltliche: „Kultur muss für alle Menschen zugänglich sein. Deshalb sollen Menschen schon von jung auf die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Medien und Kultur bekommen.“

Stichwort Medienkompetenz – welches man im Programm der SPD übrigens vergebens sucht. CDU: „Alle Generationen sollen kompetent mit den gängigen Medien umgehen können.“ GRÜNE: „Wir setzen uns ein […] für eine aktive Stärkung der Medienkompetenz aller Altersgruppen.“
„Ohne Bildung gibt es keine Kultur und ohne Kultur keine Bildung.“
CDU und FDP bekennen sich zum Wert kultureller Bildung, erstere etwas blumiger – „Kulturelle Bildung hat eine überragende Bedeutung […]: Ohne Bildung gibt es keine Kultur und ohne Kultur keine Bildung.“ – letztere konkret (und überraschend bevormundend): „Wir streben die Festschreibung eines Anteils von zehn Prozent des jährlichen Budgets öffentlicher und öffentlich geförderter Kulturorganisationen für kulturelle Bildung an.“

Eine Forderung, der die AfD möglicherweise mit „Für ‚politisch korrekte‛ Kunst und Kultur darf es keine staatlichen Anreize geben“ begegnet – möglicherweise aber auch nicht, wer könnte das bei dieser Formulierung schon sagen. Schön, dass sich die AfD offenbar gegen Perfektionismus in der Kunst wendet, und Experimentelles und Fehlerhaftes begrüßt.

Meinungs- und Kunstfreiheit

Die Unabhängigkeit der Kunst ist allen Parteien ein Anliegen. Bei der FDP erschöpft sich das in den zwei bereits zitierten Aussagen zur gesellschaftlichen Bedeutung, die anderen betonen und wiederholen Bekenntnisse zur Kunstfreiheit – oder überraschen mit ihnen. Bei der CDU klingt das etwa so: „Freie und starke Medien sind ein zentrales Element unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung. Ihre Vielfalt und Unabhängigkeit wollen wir durch geeignete Rahmenbedingungen auch in Zukunft gewährleisten.“

Je nach Partei werden aber verschiedene Bedrohungen für die Kunstfreiheit ausgemacht. Bei der AfD ist es der Staat: „Um den Einfluss der Politik – egal welcher Ausrichtung – zu reduzieren, sollen insbesondere die gesellschaftlichen Vertreter in den Kontrollgremien durch freie und demokratische Wahlen vom Bürger bestimmt werden.“
„Kunst hat weder einen moralischen noch einen kommerziellen Auftrag zu erfüllen.“
Den Einfluss von Politik, gerade auf den ÖRR ist ein Problem und der Vorschlag der AfD durchaus sinnvoll, auch wenn er verkennt, dass Kunst nicht durch demokratische Prozesse bestimmt wird. Weniger sinnvoll sind dann allerdings solche Einlassungen: „‚Politisch korrekte‛ Sprachvorgaben lehnen wir entschieden ab, weil sie einer natürlichen Sprachentwicklung entgegenstehen und die Meinungsfreiheit einengen.“ Sprache ist Kultur, Kultur ist gestaltet, und eine „natürliche Sprachentwicklung“ völkische Fantasie.

Bei den Grünen kommt die Bedrohung für die Kunstfreiheit von Staat und Wirtschaft: „Die Unabhängigkeit der Kultur von staatlicher und kommerzieller Bevormundung ist für uns selbstverständlich. Denn Kunst hat weder einen moralischen noch einen kommerziellen Auftrag zu erfüllen.“ Bei der CDU ist der Markt hingegen die Lösung, sie will „faire Wettbewerbsbedingungen“ um „Vielfalt und Unabhängigkeit […] durch geeignete Rahmenbedingungen auch in Zukunft zu gewährleisten.“

Die SPD fasst quasi zusammen: „Wir wollen Kunst um ihrer selbst willen fördern und nicht erst dann, wenn sie ökonomischen, sozialen oder politischen Zwecken nützt“, und hat einen konkreten Vorschlag: „Bei Projektförderungen soll stärker auf Expertenjurys zurückgegriffen werden.“ Auch die GRÜNEN wollen Künstler an den Entscheidungen beteiligen: „Es gilt, neue Förderwege zusammen mit den Kulturschaffenden zu entwickeln“.
„Unsere vielfältige Kinolandschaft wollen wir erhalten“
Für die GRÜNEN ist das offenbar sowieso ein Thema: „Eine partizipatorische und transparente öffentliche Kulturförderung ist für uns ein entscheidender Träger kultureller Entwicklungsmöglichkeiten. Sie eröffnet die Freiräume jenseits einer reinen Ökonomisierung von Kulturproduktion und -vermarktung“, und: „Förderentscheidungen in der Kulturpolitik [müssen] nachvollziehbar sein. Kriterien wollen wir daher vorab kommunizieren und Förderentscheidungen transparent begründen.“

Konkret auf Film bezogen: „So wollen wir etwa mit neuen Finanzierungsstrukturen den deutschen Film auch abseits der Fernsehbeteiligung stärker fördern“. Und bei der SPD: „Im Bereich der wirtschaftlichen Filmförderung wollen wir den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) weiterentwickeln. Unsere vielfältige Kinolandschaft wollen wir erhalten und die Rahmenbedingungen für künstlerisch herausragende Filme stärken.“

Bild: Jürgen Matern / Wikimedia Commons

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