Digitaler Journalismus 1: Multi-, Cross- und Transmedialität

Angenommen, jemand würde einen Autor bei der Lesung seines Romans filmen, die Aufnahmen im Fernsehen zeigen und behaupten, es sei ein Spielfilm. Absurd? Ja, aber analog dazu findet – nicht nur – Journalismus im Internet größtenteils genau so noch statt: Inhalte werden analog gedacht und entwickelt und mit digitaler Technik umgesetzt.

Inhalte werden analog gedacht und entwickelt und mit digitaler Technik umgesetzt.

Jedes Medium besitzt Eigenschaften, die die Entwicklung und Gestaltung von Inhalten bedingen und beeinflussen. Um das Potenzial eines Mediums auszuschöpfen, muss man diese Bedingungen berücksichtigen und nutzen. Die medienspezifischen Eigenschaften des Internet, die sich daraus ergebenden Bedingungen für die Möglichkeit des digitalen Journalismus und die wiederum daraus resultierenden Chancen und Risiken der digitalen Content-Entwicklung werden allerdings noch zu wenig berücksichtigt.

Deshalb will die Artikel-Reihe „Digitaler Journalismus“ diese Eigenschaften, Bedingungen, Chancen und Risiken näher beleuchten und einige mehr oder weniger gelungene Beispiele vorstellen.

Wie organisiert sich Wissen? Wie strukturiert sich Kommunikation?

Das Internet darf wohl zu Recht als das Medium mit der stärksten revolutionären Kraft bezeichnet werden. Es wird die Gesellschaft grundlegender und vor allem schneller umwälzen als der Buchdruck. Denn es besitzt Eigenschaften, die die fundamentalen gesellschaftlichen Fragen, wie sich Wissen organsiert und wie sich Kommunikation strukturiert, neu beantwortet. Dadurch entstehen für den Journalismus – und für das Storytelling im Journalismus – neue Chancen, aber auch neue Risiken.

Im Internet organisiert sich Wissen und strukturiert sich Kommunikation neu.

Digitaler Journalismus und digitales Storytelling stecken noch in den Kinderschuhen. Hier wird in Zukunft noch viel experimentiert und gescheitert werden müssen. Aber ohne geht es nicht, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht – nicht technisch, sondern bei den Rezipientinnen und Rezipienten.

Welche medienspezifischen Eigenschaften kennzeichnen das Internet?

• Multi-, Cross- und Transmedialität
• Multilinearität
• Interaktivität
• Konnektivität
• Modularität
• Offenheit
• Dezentralität
• Partizipation
• Personalisierung
• Viralität

Multi- Cross- und Transmedialität

Das Internet ist multimedial. Das ist keine neue, ausschließlich internetspezifische Eigenschaft. Zeitung und Fernsehen sind auch multimedial. Aber das Internet ist multimedialer. Zeitung ist primär Text, Fernsehen ist primär Bild, Internet kann primär Text, primär Bild, primär Ton etc. sein. Es bietet mehr Optionen zur Gestaltung von Inhalten.

Multimedialität ist eine feine Sache. Man kann sich bei der Gestaltung der Inhalte richtig austoben und sie etwa abwechslungsreicher darstellen. Die Frage ist nur, ob es auch sinnvoll ist. Riskant ist es auf jeden Fall. Denn wo mehr Optionen sind, da müssen mehr Entscheidungen getroffen werden:

Multimedialität ist eine feine Sache. Aber macht sie auch Sinn?

Welche Inhalte sollen als Text, als Bild, als Video, als Ton, als Bilderstrecke etc. gestaltet werden? Und vor allem: warum? Welche Wirkungen erzielt beispielsweise ein Video-Clip in einer textbasierten Reportage bei den Rezipientinnen und Rezipienten? Hebt er bestimmte Inhalte hervor? Macht er sie anschaulicher und lebendiger? Ergänzt er die Text-Inhalte? Oder lenkt er ab und erzielt einen negativen Effekt?

In der Web-Reportage „Willkommen in Deutschland“ (Die Zeit) findet sich relativ weit unten ein Videoclip, in dem ein Flüchtlingskinderchor ein Weihnachtslied singt. Warum gibt es diesen Videoclip? Was soll er uns erzählen? Oder soll er lediglich die Web-Reportage multimedialer machen? Und warum gibt es sonst keine weiteren Videoclips auf der Seite? Das Ganze erscheint doch recht willkürlich.

Entscheidend ist also die Frage, aus welchem Grund bestimmte Inhalte in einem bestimmten Medium vermittelt werden. Weil es neuartig oder gerade „hip“ ist oder weil es die technische Möglichkeit dazu gibt, ist sicher die falsche Antwort. Die Gestaltung von Inhalten sollte sich nicht von einem Neuigkeitseffekt, einem Coolnessfaktor oder der Begeisterung für ein neues technisches Tool leiten lassen.

Das Multimedia-Feature „Snowfall“ (New York Times) wurde sicher auch zu einem gewissen Teil deshalb so populär, weil ihre Gestaltung etwas Neues und sie technisch State of the Art war. Auch die Web-Reportage „NSA Files decoded“ (The Guardian) wird häufig dafür gelobt, dass sie eine Demonstration dessen ist, was mit aktueller Web-Technologie möglich ist.

Die Begeisterung für Technik last nach, sobald sie zur Gewohnheit geworden ist. Und das wird sie schnell.

Aber die Begeisterung für Technik lässt nach, sobald sie Gewohnheit geworden ist. Und auch das wird sie im Internet immer schneller. Als 3-D vor einigen Jahren wieder im Kino boomte, war die Story anfangs nebensächlich. Die Technik hat geflasht. Heute kommt es in erster Linie wieder auf die Story an. 3-D-Effekte alleine locken nur noch ein paar Schnarchnasen hinter dem Ofen hervor. Und genauso ist das im digitalen Journalismus: Am Ende kommt es doch auf die Inhalte an.

Charles Homans (Twitter), Redakteur beim Multimediamagazin The Atavist hat gesagt: „New technologies are no thread but hope for journalism. We just have to figure out how to use them.“ (siehe auch die fünf goldenen Regeln für das multimediale Storytelling von Jens Radü (Twitter), Leiter des Multimediaressorts beim Spiegel)
– die Betonung sollte hier auf “how” liegen: nicht ob, sondern wie. Und vor allem: warum? Sind sie nur eine Spielerei oder bringen sie den Rezipientinnen und Rezipienten einen Mehrwert?

Mit jedem Medienwechsel muss auch der Rezeptionsmodus wechseln.

Denn Multimedialität beeinflusst natürlich die Rezeption. Mit einem Wechsel von einem Medium zu einem anderen, muss auch der Rezeptionsmodus wechseln. Dadurch können „Reibungsverluste“ entstehen und das wollen möglicherweise nicht alle Rezipientinnen und Rezipienten. Denn mit jedem Medienwechsel wird für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit unterbrochen. Es fragt sich also, ob man in eine Multimedia-Reportage mit vielen Medienwechseln genauso „versinken“ kann wie in eine Text-Reportage.

Multimedialität ist also spannende Sache, sollte aber nicht als etwas Schickes betrachtet werden, mit dem man Inhalte aufpolieren kann. Man muss sich sehr genau überlegen, wann es – mit Blick auf die Rezipientinnen und Rezipienten – Sinn macht, multimedial zu arbeiten.

Bei einem Wechsel von einem Medium zu einem anderen stellt sich die Frage, wie der Fluss der Inhalte unterbrochen wird. Zwei grundlegende Möglichkeiten gibt es: crossmedial und transmedial.

Crossmedialität und Transmedialität

Im digitalen Storytelling unterscheidet man zwischen crossmedialem und transmedialem Storytelling. Crossmediales Storytelling erzählt jeweils abgeschlossene, für sich stehende Storys eines Story-Universums in verschiedenen Medien. Ein Comic, das als Spielfilm weiter erzählt wird ist crossmedial.

Transmediales Storytelling erzählt eine einzige Story über mehrere Medien hinweg. Die Story wird also medienübergreifend erzählt, ihre Inhalte über verschiedene Verbreitungskanäle gestreut. Hier stellt sich natürlich die Frage, welches Medium für welche Inhalte das Beste ist.

Die meisten Web-Reportagen sind transmedial. Crossmedial wäre besser.

Die multimedialen Web-Features und -Reportagen „Snowfall“, „NSA Files Decoded“, „Tod in Texas“ (eine Videoreportage der NZZ) und „Willkommen in Deutschland“ funktionieren transmedial. „Machtmaschine“ (vom Team 4 der Axel Springer Akademie, das damit 2009 den 2. Preis des Axel-Springer-Preises in der Kategorie Internet gewonnen hat) und „Geheimer Krieg“ (ein Gemeinschaftsprojekt von NDR und Süddeutsche Zeitung) sind stärker crossmedial angelegt.

Die meisten Web-Reportagen und –Features sind transmedial angelegt. Meiner Meinung nach ist eine crossmediale Struktur für den digitalen Journalismus die geeignetere. Transmedialität ist noch zu sehr im analogen Denken verhaftet.

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