Erster Eindruck: Honig im Kopf

Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Das Format ist so neu wie das Jahr, heute also der erste erste Eindruck: Honig im Kopf, Buch: Hilly Martinek und Til Schweiger.

Honig im Kopf (Wikipedia) erzählt die Geschichte von Niko Rosenbach (Til Schweiger), der mit der Alzheimererkrankung seines Vaters Amandus (Dieter Hallervorden) umgehen muss und die Geschichte von Tochter Tilda Rosenbach, die mit der Alzheimererkrankung ihres Großvaters (D. H.) umgehen muss. Das und ist das Problem.

Das wirkt nicht nur zwiegespalten, es spaltet den Film tatsächlich: In einen ersten Film über den Beginn der Erkrankung und die Belastungen, die das für die Familie bedeutet. Und in einen zweiten Film über Tilda und Amandus, die gemeinsam nach Venedig trampen, auf den Spuren von Amandus Beziehung mit seiner verstorbenen Frau. Während dieser zweite Film eine sehr deutliche Geschichte erzählt – ein Roadmovie mit wohl ausreichend motiviertem Ziel und gelegentlicher Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden ungleichen Reisenden auf den jeweiligen Stationen der Reise – verliert sich die erste Hälfte in einer Aneinanderreihung von Szenen, die zwar durch die Verschlechterung der Krankheit eine ungefähre Struktur haben, die Bedeutung dieser Verschlechterung für die Figuren aber nicht transportieren können. Es fehlt das dramaturgische Gewicht.

Dazu kann beitragen, dass dem ersten Teil ein Protagonist zu fehlen scheint. Das kann erzählerische Absicht sein, in dem Sinne, dass nur die Krankheit Protagonist ist, und die Figuren in die Passivität drängt, doch ein Gefühl der Hilflosigkeit bleibt aus und funktioniert dann aber leider auch gar nicht mit dem zweiten Teil. Und leider schädigt der erste Teil so den zweiten Teil, denn der Entwicklung in der Beziehung von Tilda und Amandus wird darin vorgegriffen, sie wird auf zwei „Filme“ gedehnt und ausgedünnt. Das bedeutet für den zweiten Teil mehr physikalische als emotionale Bewegung, was jeden Roadmovie deutlich schwächen würde.

Honig im Kopf wirkt deshalb deutlich zu lang. Je nachdem, ob man den ersten Film darin sieht, mit anschließendem viel zu langem dritten Akt, oder den zweiten Film, mit einem viel zu langen ersten Akt. Das scheint in der Buchentwicklung oder im Schnitt sogar aufgefallen zu sein: Der Film beginnt mit einer kurzen Preview des zweiten Teils, um dann den ersten Teil als großen Flashback zu erzählen (allerdings inkohärent bei der Wahl der jeweiligen Figuren einer Szene). Das muss man begrüßen, flashback narratives sind selten im deutschen Kino. Doch leider funktioniert es hier nicht. Vielleicht, weil die Bedeutung der vielen Flashback-Handlungen für die Handlung der Gegenwart (der Preview) nicht vorhanden ist oder sich nicht transportiert. Schade.

Ein Kommentar

  1. Ja, der einen Hauptfigur Amandus (Dieter Hallervorden) fehlt ein Antagonist, ebenso wie der anderen Hauptfigur Niko (Til Schweiger). Seine Ehefrau (Jeannette Hain) ist es nicht, zum Glück. Für mich ist die eigentliche Hauptfigur Tilda (Emma Schweiger), denn sie macht den größten Schritt. Leider wird dieser un-spannend erzählt bzw. vorweggenommen durch die Krankheitserklärung des Kinderarztes, aus der Tilda direkt schlussfolgert, dass ihr Großvater eine Aufgabe braucht, d.h. dass er ihr Venedig zeigen muss, weil er sich dort auskennt. Es hätte mehr Spielraum geboten, wenn Tilda anfangs wirklich geglaubt hätte, mit dieser Reise könne sie Amandus vorm Pflegeheim oder vor dem Dahindämmern retten. So ist es nur eine sentimentale Reise.
    Wenn Tilda erst während der Reise die Einsicht gewinnen würde, dass es keine Besserung des Zustandes ihres Großvaters geben wird, und dass sie sein Abtauchen ins Vergessen nicht verhindern kann; wenn sie anfangs Amandus´ Brief („Liebe Tilda, falls ich mal nicht mehr weiß, wer du bist…“), leichthin abtun würde mit: „DU wirst doch wohl niemals vergessen, dass ICH deine liebste Enkelin, deine Principessa bin!“, wäre der Moment, in dem Amandus sie nicht mehr erkennt, stärker.
    Wären die beiden Ausreißer auf ihrer Reise auf Widerstände gestoßen und nicht nur auf Menschen, die ihnen wohlgesonnen sind und weiterhelfen, wäre der Film vielleicht kurzweiliger und interessanter.
    Auch aus Amandus´ Aussteigen aus dem Zug hätte mehr gemacht werden können im Sinne einer Rahmenhandlung: Wenn ihn Tilda nicht gleich fände, sondern ihn suchen und dabei einem potentiellen Helfer die bisherige Geschichte erzählen müsste. Das wäre spannender als dieser voice-over.
    Hätte… vielleicht… Der Film ist fertig, und er ist – obwohl er traurige Momente hat – sehr publikumsfreundlich. Das ist es, was Til Schwieger wollte – kein Drama (wie „Mein Vater“, 2003, Regie: Andreas Kleinert, mit Götz George als Vater), in dem der Kranke unberechenbar, launisch und aggressiv wird, wie es in der Realität meistens der Fall ist. Schweigerts Amandus bleibt bis zum Schluss ein humorvoller und liebenswerter Mann.
    Durch die dezente Farbgebung, den Look und die Musik des Filmes – entsprechend der Grundstimmung dunkelhell, bittersüß – und durch mehrere comic relief-Situationen sowie durch einen optimistischen Tilda-Schluss schafft es Til Schweiger aus einem düsteren, schweren Thema einen Film zu machen, aus dem man trotzdem mit einem guten Gefühl rausgeht. Allemal ehrenwert, finde ich.

    8. Januar 2015

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