Frauen im deutschen Film: Von 1920 bis 1989

Laut einer Studie des Geena Davis Institute on Gender in Media, die ich hier Ende Oktober kurz vorgestellt habe, kommt im deutschen Film auf vier (3,7) Filmemacher nur eine Filmemacherin. Schreck und Scham darüber waren genug Anlass für mich, durch die Deutsche Filmgeschichte zu stöbern und Stichproben zu nehmen.

Zu den Details der Studie: An den untersuchten deutschen Filme waren nur 7,1% Prozent Regiseurinnen, 22,2% Autorinnen, und 23,8% Produzentinnen beteiligt. Und mit diesen peinlichen Zahlen liegen wir jedes Mal knapp über dem Durchschnitt (7%; 19,7%; 22,7%) der elf untersuchten Länder.

Doch die Zahlen täuschen auch. Im Vergleich mit den Staaten in denen zum Beispiel quasi überhaupt Regisseurinnen an den untersuchten Filmen beteiligt waren (Frankreich, Japan, Korea, Russland und die USA erreichen 0%), liegen wir auf dem letzten Platz: Australien 8,3%; Brasilien, Indien und US/UK-Koproduktionen 9,1%; China 16,7% und Großbritannien 27,3%.
Alle frühen deutschen Filme von Männern gemacht
Auch bei den Autorinnen hält Großbritannien den ersten Platz, es ist der einzige Wert der ganzen Tabelle, der mit 58,8% tatsächlich über dem anzustrebendem Gleichgewicht liegt. Bei den Produzentinnen überrascht mich Brasilien mit 47,2%. Die jeweiligen schlechtesten Werte hat Frankreich bei den Autorinnen (6,7%) und Japan bei den Produzentinnen (7,5%).

Wer noch nicht genug von dieser Studie hat ist eingeladen, sie sich hier (PDF) selbst anzuschauen. Ich komme jetzt zu den Ergebnissen meiner Stichproben. Die jeweiligen Links zu Personen und Filmen verweisen auf filmportal.de, dass die so lange laden ist deren Schuld.

In der frühen deutschen Filmgeschichte gab es neben den Schauspielerinnen drei nennenswerte Frauen des Films: Drehbuchautorin Thea von Harbou, Animationsfilmerin Lotte Reiniger und Filmkritikerin Lotte Eisner. Bis auf die Filme von Fritz Lang, an denen Thea von Harbou schrieb, sind quasi alle frühen deutschen Filme ausschließlich von Männern gemacht: Bei Das Cabinet des Dr. Caligari, Nosferatu, Menschen am Sonntag, Der blaue Engel und Berlin – Alexanderplatz sind Regie, Produktion, Musik, Kamera und, wenn angegeben, der Schnitt mit Männern besetzt.
Die bekannteste frühe deutsche Regisseurin: Leni Riefenstahl
Vor den Nazis fliehen einige deutsche Filmemacher in die USA, doch wenn darunter Frauen sind, dann sind es Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich oder Elisabeth Bergner. Die Nazizeit ändert wenig an den Geschlechterverhältnissen hinter der Kamera, und wenn es möglich gewesen wäre, das zu verschlechtern, hätte sie es wohl getan. Filme, ob Nazi-Propaganda wie Hitlerjunge Quex oder aufgeklärtere Filme wie Viktor und Viktoria werden von Männern gemacht.

Die Feuerzangenbowle und Jud Süß? Männer. Regie, Drehbuch, Produktion, Musik, Kamera, Schnitt: Männer. Nur an dem subversiven Der Maulkorb schneidet mit Alice Ludwig-Rasch eine Frau. Und der wohl bekanntesten frühen deutschen Regisseurin Leni Riefenstahl ist mit Propagandamachwerken wie Triumph des Willens zweifelhafter Erfolg beschert. Wegen ihrer Filmkunst und der Nazi-Ideologie mag sie uns heute präsenter sein, als andere Filmemacher dieser Zeit, an den tatsächlichen Geschlechterverhältnissen hinter der Kamera ändert das wenig.

Nach dem Krieg ändert sich zumindest in einem Gewerk deutlich etwas: Von 1946 bis 1989 werden die Filme in der Budesrepublik und der DDR scheinbar meist von Editorinnen geschnitten. Das mag täuschen, ich habe – wie gesagt – nur Stichproben genommen, aber im Vergleich zu vorher ist es eine überwältigende Anzahl weiblicher Filmschaffender: Angenfangen bei Margarete Steinborn, Ilse Voigt und Ira Oberberg, später Jutta Hering, Evelyn Carow, Beate Mainka-Jellinghaus, Jane Seitz und Juliane Lorenz – um nur einige wenige zu nennen.
Regie, Drehbuch, Produktion, Musik, Kamera: Alles Männer.
Für Frauen in anderen Gewerken sah es deutlich schlechter aus: Ilse Kubaschewski produzierte Filme (seit 1953), Christa Wolf schrieb auch einige Drehbücher (seit 1964), ebenso Christa Kozik (1976). May Spils begann als Schauspielerin, wurde später (1968) Regisseurin, wie auch Margarethe von Trotta (1975). Doris Dörrie machte 1976 ihren Abschlussfilm an der HFF München. Heidi Genée war erst lange Zeit Cutterin, bevor sie (1977) begann als Regisseurin zu arbeiten. Pea Fröhlich arbeitet als Drehbuchautorin (seit 1978).

Doch auch hier: Der erste deutsche Film der Nachkriegsgeschichte, Die Mörder sind unter uns? Alles Männer. Der Inbegriff des deutschen Heimatfilms, Grün ist die Heide? Alles Männer. Der erste deutsche Oscar-nominierte Film, Der Hauptmann von Köpenick? Alles Männer. Der zweite deutsche Oscar-nominierte Film, Die Brücke? Alles Männer. Der erste Winnetou-Film, Der Schatz im Silbersee? Alles Männer. Wenders, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter? Alles Männer. Blockbuster Das Boot? Alles Männer. Skandalfilm Das Gespenst? Alles Männer. Der erste Otto-Film, Otto – Der Film? Alles Männer. Dominik Graf, Die Katze? Regie, Drehbuch, Produktion, Musik, Kamera, Schnitt: Alles Männer.

Das Meisterwerk Der Untertan? Eine Editorin, ansonsten Männer. Der erste Edgar-Wallace-Film, Der Frosch mit der Maske? Eine Editorin, ansonsten Männer. Der Auftakt des Neuen Deutschen Films, Es? Eine Editorin, ansonsten Männer. Ein weiterer Klassiker des Neuen Deutschen Films, Abschied von gestern? Eine Editorin, ansonsten Männer. Fassbinder, Händler der vier Jahreszeiten, Angst essen Seele auf, Die Ehe der Maria Braun? Eine (Co-)Editorin, ansonsten Männer. Aguirre, der Zorn Gottes, Die Blechtrommel, Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Die unendliche Geschichte? Regie, Drehbuch, Produktion, Musik, Kamera: Alles Männer.

In Deutschland im Herbst sind in ihren jeweiligen Gewerken neben insgesamt 28 Männer „immerhin“ 12 Frauen vertreten.
Betreten schweigen und dann etwas dagegen tun
1989 ist eine deutsche (und ganz persönliche) Zäsur, alles was danach geschieht werde ich in diesem Kontext als „den modernen deutschen Film“ noch einmal gesondert betrachten, zum Beispiel auch unter Berücksichtigung von Mitgliederzahlen in Berufsverbänden, soweit die einsehbar sind.

Was erzählt uns all die Zahlen jetzt? Natürlich sind die jeweiligen Stichproben immer auch im Kontext ihrer Zeit zu betrachten, gerade zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mag man die so enorme Ungleichheit noch aus der Kultur heraus begründen. Da fehlen weitere Stichproben in Ländern mit ähnlichen kulturellen Voraussetzungen zum Vergleich.

Wir brauchen die Ungleichheit von damals nicht verteidigen, weil wir sie nicht verursacht haben. Uns sollte aber ganz schnell etwas einfallen, warum selbst heute das Geena Davis Institute zu solchen Zahlen kommt. Nein, sollte uns nicht, denn auch das sollten wir nicht verteidigen: Wir sollten betreten schweigen und dann etwas dagegen tun.
Bei Förderung, Budget, Verleih Ungleichbehandlung verhindern
Dass sich die Situation von Frauen hinter der Kamera gleich welchen Gewerks über die Zeit verbessert hat ist schön, aber – wieder im kulturellen Kontext gesehen – selbstverständlich. Und peinlicherweise auch nichts, dass wir Männer (drei von vier filmschaffenden Lesern fühlen sich jetzt angesprochen) uns irgendwie auf die Fahne schreiben könnten. Nein, diese Fahnen mussten Frauen beschreiben, und es ist das Mindeste, dass wir sie gemeinsam mit ihnen hoch halten.

Ich hoffe, dass ich mich mit dem künftigen Artikel zum modernen deutschen Film einer Idee annähern kann, was man dagegen tun kann. Denn natürlich ist es in einem Bereich, in dem es bei der Suche nach Mitstreitern viel weniger um messbare fachliche Kompetenz geht, als um irrationale Kreativität und Kongenialität, schwieriger mit Quoten zu arbeiten als zum Beispiel im Handwerk oder in der Wirtschaft. Trotzdem schaden wir alle uns und unseren Stoffen ja selbst, wenn wir die Hälfte aller möglichen Mitstreiter ignorieren, und mit keinen (anderen) Frauen zusammenarbeiten.

Mindestens bei Entscheidungen über Filmförderungen, Budget und Verleih sollte aber eine ungleiche Behandlung auf jeden Fall verhindert werden. Da gibt es große Probleme für Filmemacherinnen, wie die Universität Rostock Anfang des Jahres herausfand. Das kann doch wirklich nicht sein!

Bild: Fritz Lang und Thea von Harbou. Waldemar Titzenthaler († 1937), erschienen in Die Dame, 11/1924. Quelle: Wikimedia Commons.

3 Comments

  1. Michael Füting

    Tja, Geschichte. Soll/darf aber nicht so bleiben…
    Nicht zu vergessen: in den Drehbuchwerkstätten und Autorenstipendien
    ist der Verhältnis von Frauen zu Männern in den letzten 20 Jahren 3 : 1
    (über den Daumen gepeilt). Frauen scheinen zum Schreiben sogar begabter zu sein.
    Und: in den Redaktionen Fernsehspiel der öffentlich-rechtlichen Sender sind Frauen eklatant in der Überzahl!

    16. November 2015

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