Kollaboration und Intimität

Kollaboratives Schreiben kommt. Das ist gut und schwierig, weil Intimität gut und schwierig ist.

Beim diesjährigen Sehsüchte-Festival sprachen UFA Lab-Produzenten über die Transmedia-Projekte Wer rettet Dina Foxx? und Dina Foxx – Tödlicher Kontakt. Schon vor einigen Jahren lernte ich im Studium einen schwedischen Alternate Reality Game-Designer kennen, der zwei Transmedia-Projekte entwickelt hatte. Im selben Studium schrieben wir Studenten in einem Writers‘ Room eine Sonderfolge für eine deutsche Serie, nach dem Studium begleitete ich für einige Wochen einen Writers‘ Room von Masterstudenten unter der Leitung eines amerikanischen TV-Produzenten. Ende April sprachen bei Stichwort Drehbuch Matthias Glasner und Marc Terjung über Serienentwicklung im Writers‘ Room (Link). Anfang Juni findet in Köln wieder der Serien-Summit statt (Link). Kollaboratives Schreiben kommt. Das ist gut und schwierig, weil Intimität gut und schwierig ist.

Die Alternate Reality Games, die der schwedische Designer mitentwickelt hatte, heißen The Truth About Marika und The Conspiracy For Good, beide Projekte sind Emmy-prämiert. Die beiden haben nicht umsonst Verschwörung und Wahrheit im Titel: Es sind Conspiracy Thriller, die beiden Dina Foxx-Projekte auch. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist: Verschwörungs-Thriller erzählen von gesellschaftlicher Transparenz und Blöße und Verletzlichkeit, von gesellschaftlicher Intimität. Ich behaupte: Es ist einfache Intimität. Nicht, weil Gesellschaft einfach ist, natürlich nicht, sondern weil es uns leichter fällt, einen solch „groben Grad“ unserer eigenen Intimität zu untersuchen, als die feineren Grade von familiärer, partnerschaftlicher oder persönlicher Intimität. Vor uns selbst, aber natürlich vor allem vor anderen.
Wie ehrlich kann der Autor sein, wie intim darf der andere ihn kennen?
Und das bedeutet eine große Herausforderung an das Kollektive Schreiben: Intimität zu schaffen, zwischen den Autoren, damit die intim, also ehrlich erzählen können. Denn auch Empathie und Identifikation des Zuschauers mit den handelnden Figuren sind ja eine intime Sache. Und Intimität ist – wie gesagt – schwer; diese Intimität zu schaffen, ist schwer. Intimität heißt Transparenz, Blöße, Verletzlichkeit. Autoren machen sich durch den Schreibprozess verletzlich. Sie haben kaum eine Wahl: Ehrliche Erzählstoffe verlangen das. Sollen sie vor anderen schreiben, müssen sie denen vertrauen. Sollen sie mit anderen schreiben, braucht es gegenseitiges Vertrauen.

Auch Gegenseitigkeit ist ein Element von Intimität. Vielleicht ist das der Grund, warum in Writers‘ Rooms ausschließlich Autoren sitzen sollten, keine Redakteure, keine Produzenten. Denn die müssen sich nicht im Sinne der Stoffentwicklung verletzlich machen. Redakteure und Produzenten geben sich keine Blöße, anders als gute Autoren, und darin liegt vielleicht die alltägliche, klassische Spannung zwischen diesen Gewerken in jeder Film- und Fernsehproduktion. Es ist das Machtgefälle, das Intimität erschwert, vielleicht unmöglich macht. Der eine ist abhängig vom anderen, wie ehrlich kann er sein, wie intim darf der andere ihn kennen?

Und genau das macht vielleicht auch die Zusammenarbeit in Transmedia-Projekten noch einmal deutlich schwerer. Denn während beim Film die Rolle derer, die intim arbeiten müssen, und jenen, die diese Intimität nicht brauchen, relativ deutlich getrennt werden können, ist das beim Experiment Transmedia viel weniger offenbar, und vielleicht wissen die verschiedenen Professionen oft auch nicht genug voneinander, um das einschätzen zu können. Wenn eine Bedingung von Intimität Gegenseitigkeit ist, füttert die Scham des einen die Scham des anderen. Der Mobile Game-Entwickler muss sich vermutlich nicht vor den anderen Autoren des Projekts entblößen, um ein gutes Handyspiel zu entwickeln, also wird er es auch nicht tun. Doch tut der es nicht, wir auch der Fernsehspiel- oder Serienautor darauf verzichten (Gegenseitigkeit) und ein schlechtes Fernsehspiel, eine schlechte Serie schreiben. Deswegen entstehen bisher bei Transmedia-Projekten Thriller und keine Melodramen, sie bedürfen weniger individueller Blöße.
Sich bis ins Innerste zu graben, macht den Autoren verletzlich.
Vertrauen in der Gruppe entsteht, wenn es entsteht, über Zeit, und wenn ihre Mitglieder in dieser Zeit schadlos mit Ehrlichkeit und Intimität experimentieren konnten. In unserem studentischen Writers‘ Room konnten wir deshalb gut miteinander arbeiten, weil wir seit zwei Jahren miteinander studierten – und unsere Stoffe diskutierten: Unfertige Stoffe, wir hatten uns also schon einmal voreinander Blößen gegeben. Dennoch waren unsere Entwicklung ein intellektuelles, wenig intimes Mindgame, und nach dem das natürlich abgelehnt worden war, ein Stoff nah am Thriller. Eine ähnliche Vertrautheit spürte ich später bei dem Masterstudiengang, obwohl der amerikanische Fernsehproduzent und ich ja quasi Eindringlinge waren: Doch das war weniger schlimm, die Studenten schrieben auch eine Thriller-Serie.

Ich habe oben meine jüngsten Erfahrungen mit kollektivem Schreiben deswegen so ausführlich gelistet, weil ich diesbezüglich auch eine schlechte Erfahrung gemacht habe: Ich bereitete für eine Designfirma ein Videospiel für die Einreichung zur Förderung vor – ohne jeden Raum für Ehrlichkeit und Intimität. Mein Schreibprozess sollte auf Wunsch des Chefentwicklers ausschließlich im gemeinsamen Büro stattfinden, damit jedes Mitglied des kleinen Teams jederzeit teilnehmen konnte – ohne aber teilnehmen zu müssen. Dazu kam dadurch die ständige Kontrolle des Chefentwicklers und eine weitere Abhängigkeit, ein weiteres Machtgefälle. Wenn kollaborative Arbeit zur Kontrolle wird, ist sie wohl gescheitert. Zu der Zeit konnte ich das Problem nicht formulieren, vielleicht weil es dazu eben diese Ehrlichkeit gebraucht hätte, für die kein Raum war.

Wir sollten den Grenzen, die die Intimität dem kollaborativen Schreiben setzt, gewahr sein, sonst werden wir sie nicht überwinden. Dann werden wir uns irgendwann vielleicht wundern, warum andere Genres neben dem Thriller so vernachlässigt wurden, warum wir immer so an der Oberfläche, am Rand blieben. Intimität von lat. intimus heißt: dem Rand am fernsten, am weitesten innen. Sich bis ins Innerste zu graben ist die Aufgabe des Autoren, doch es ist gefährlich, es macht ihn verletzlich. Das gemeinsame Schreiben über familiäre, partnerschaftliche oder persönliche Intimität ist möglich, wenn wir diese Intimität zwischen den Autoren zulassen. Das kostet Zeit, also Geld, deswegen ist es ein Problem der Branche, kein individuelles Problem von uns Autoren.
Wir brauchen Vertrauen, um ehrlich zu sein. Alles andere ist gefährlich.
In meiner Theorie tl;dr-Besprechung des Essays The Future – A Digital Cinema Of the Mind? Could Be von Walter Murch schrieb ich:

Ölfarben reduzierten den Aufwand und machten das eigenständige Arbeiten des Künstlers möglich – was sowohl eine kreative Befreiung für die Künstler gewesen sei, deren Beweis die Kunst des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ist, als auch eine Gefahr, deren Beweis die Künstler des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts sind.

Als Intimität in der Malerei möglich wurde, kam die Zeit der wahnsinnig großen Kunst. Aber eben auch die Zeit der großen, aber wahnsinnigen Künstler, die auf eine Art und Weise durch etwas verletzt, traumatisiert worden waren, die und das wir immer noch kaum verstehen. Es gibt einen Grund warum wir Vertrauen brauchen, um ehrlich und intim und also verletzlich zu sein, wir verlangen es nicht nur zum Spaß, sondern weil alles andere für uns gefährlich ist.

Das erste Mal, dass mir Intimität im Zusammenhang mit kreativer Arbeit begegnet ist, war in der Autobiografie von Peter Zadek: Wenn ich mich recht erinnere, durften nur die nötigsten an der Probe teilnehmen, Schauspieler, Regisseur, Assistent, eine Störung bedeutete den Abbruch der Probe für den ganzen restlichen Tag. Jeder, der lang genug gespielt hat, dass das nötige Vertrauen sich entwickeln konnte, kennt die Intimität eines Ensembles. Schauspieler entblößen sich ähnlich, wie das Schriftsteller tun, nicht in der Aufführung selbst, da bedecken sie ja ihre Blöße mit ihrer Schauspielerei, sondern in der Erarbeitung ihrer Rolle. Ehrlichkeit, Wahrheit ist wichtig für das starke Stück, sie macht aber eben auch verletzlich. Schauspieler entblößen sich voreinander seit Jahrhunderten, wir könnten von ihnen lernen.

2 Comments

  1. Michael Füting

    Intimität in künstlerischer Arbeit – ein tiefer und zentraler Aspekt, über den fast nie geredet wird. Insofern ein ganz wichtiger Blog! Zumal die Betroffenen in Writers Rooms kaum darüber sprechen werden: wer öffnet sich schon so weit und gefährdet sein Standing?

    27. Mai 2015
  2. Genau! Deshalb glaube ich, dass eine Orientierung an Schauspielern dabei gar nicht schlecht wäre, die gehen offener, alltäglicher, professioneller mit Intimität um (mein Eindruck, zumindest redensie darüber, das tun wir ja, wie du sagst, eher nicht). Es sind einfach auch andere Fähigkeiten, die das kollaborative Schreiben braucht, dessen sollten wir uns schon bewusst sein.

    Danke!

    28. Mai 2015

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