Paul Feyerabends ZEITVERSCHWENDUNG – wieder gelesen und fündig geworden

Vor fast 24 Jahren ist der umstrittene Philosophieprofessor Feyerabend gestorben.
Ich hatte ihn 1992 gebeten, aus seinen Dialogen ein Theaterstück zu machen, das ich hätte in Stuttgart inszenieren können, weil ich wusste, dass kreativ-künstlerisches Schreiben ein Lebenstraum von ihm war. Er soll übrigens die Idee zu der TV-Reihe Columbo gehabt haben, in der der Zuschauer den Täter kennt und die Spannung darin liegt, ob und wie Peter Falk ihn überführen kann. Feyerabend wollte damals auch Drehbücher schreiben.

In seiner Antwort auf meine Anfrage war er skeptisch. Er meinte:

Zu einem Theaterstück gehört Handlung, etwa eine Leiche und Verdächtige, aber bei meinen Dialogen wird ja nur geredet. Nun gebe ich zu, dass es Bühnenaufführungen von Briefwechseln gibt,…, sogar Monologabende,…, aber diese Sachen waren eben nicht dramatisch. … Vielleicht wird es mir gelingen, noch mehr Leben in die Bude zu bringen, aber das dauert.

Im September 1993 sagte er mir dann ab und bot mir an, mit seinen Dialogen selber etwas zu machen. Am 11. Februar 1994 starb er an einem Gehirntumor. Ich sah mich nicht in der Lage etwas zu schreiben, was ihm gerecht geworden wäre.
Ein Mann, der meinte, dass Kunst der Philosophie immer überlegen wäre.
Denn wenn man seine bald darauf erschienene Autobiografie Zeitverschwendung liest, spätestens dann wird einem klar, welch singuläre Erscheinung er war. Ein Mann, der meinte, dass Kunst der Philosophie immer überlegen wäre. Er hatte Theater und Gesang studiert, besuchte fast manisch Oper, Theater und Kino und las, wie Wittgenstein, Krimis um der Fixierung philosophischer Abstraktion zu entgehen.

In seiner Autobiographie gibt es fünf Stellen, in denen er sich zu dramaturgischen Fragen äußert. Allesamt erhellend und bedenkenswert. Ich fasse sie etwas zusammen.

  1. Vor ein paar Jahren las ich Karl May wieder und entdeckte das Geheimnis seines Erfolgs: kurze Darstellungen, farbige Beschreibungen und die Vernachlässigung aller unwesentlichen Details (wie die Entwicklung des Charakters oder der soziale Hintergrund). Bei May ist eine Person das was sie tut.
  2. Der liebe Gott und Shakespeare haben keine papiernen Geschöpfe gemacht, sie gaben ihnen Fleisch und Blut. Wenn auch der Dichter den Shylock nicht mochte, so hat er sich doch in der Gerechtigkeit seines Genies … [seiner] angenommen und ihn mit einer menschlichen Größe und einer seelischen Kraft und einer tragenden Einsamkeit beschenkt… Ein Stück, das diese Möglichkeit aufzeigt, steht haushoch über süßlichen humanitären oder antisemitischen Interpretationen.
  3. Schreiben ist mir eine angenehme Beschäftigung geworden, die der künstlerischen Produktion sehr ähnelt. Zu Beginn hat man eine allgemeine Vorstellung, die sehr vage ist, aber doch schon deutlich genug, um eine Ausgangspunkt zu liefern. Dann folgen die Details, das heißt die Worte und ihre Anordnung in Sätzen und Absätzen. Ich wähle meine Worte sehr sorgfältig – sie müssen richtig klingen, den richtigen Rhythmus haben, und ihre Bedeutung muss ein bisschen schräg sein; nichts stumpft den Geist so ab wie eine Reihe vertrauter Begriffe. Dann kommt die Geschichte. Sie sollte interessant und verständlich sein und einige ungewöhnliche Wendungen haben.
  4. Wenn ich auf diese Episode und die Jahre, die ihr vorausgingen, zurückblicke [er meint damit die Begegnung mit seiner letzten großen Liebe Grazia Borrini Feyerabend] dann schließe ich daraus, dass ein moralischer Charakter nicht durch Argumentation, ,Erziehung‘ oder einer Willensentscheidung geschaffen werden kann. Er kann aus keiner geplanten Handlung hervorgehen, ganz gleich, ob sie nun wissenschaftlicher, moralischer oder religiöser Natur ist. Wie wahre Liebe und wie die Luft, die wir atmen, ist sie eine Gabe, nicht eine Leistung. Sie hängt von Zufällen ab wie der Zuneigung der Eltern, einer gewissen Stabilität und Freundschaft und einem daraus folgenden verletzlichen Gleichgewicht zwischen Selbstsicherheit und der Sorge für andere.
  5. Ich rate dringend allen Autoren, die ihren Mitmenschen etwas mitteilen wollen, sich nicht mit Philosophie zu beschäftigen, und wenn sie es schon tun, sich nicht von Obskuranten wie Derrida einschüchtern und beeinflussen zu lassen, sondern stattdessen Schopenhauer und Kants volkstümliche Schriften zu lesen.

2 Comments

  1. Scheint ein interessanter Charakter gewesen zu sein, dieser Herr Feyerabend. Danke fürs Bekanntmachen;-)

    14. Februar 2018

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