Psychologische Grundkonflikte II: Unterwerfung vs. Kontrolle

Für die von uns, die zur Spitze der Nahrungskette unterwegs sind, ist Erbarmen keine Option. Da gibt es nur eine Regel: Jage oder du bist der Gejagte.

Frank Underwood (Kevin Spacey) in HOUSE OF CARDS, Staffel 2, Folge 1 (USA, 2013)

Dieser Artikel behandelt einen der sieben psychologischen Grundkonflikte und baut damit auf meinen allgemeinen Ausführungen zur Psychodynamik auf). Ebenfalls bereits erschienen ist ein Artikel zum Abhängigkeits- vs. Individuationskonflikt.

Jäger oder Gejagter, oben oder unten, Alles oder Nichts – Frank Underwood aus HOUSE OF CARDS ist kein Mann der Zwischentöne. Die Sieg-oder-Tod-Rhetorik und den absoluten Willen zur Macht teilt er mit vielen Superschurken und Antihelden der Film- und Serienwelt. Um Frank zu verstehen und ihn auch von vielen anderen seiner Zunft abzugrenzen, lohnt jedoch ein Blick auf seine Motivation.

Worum geht es Frank?

Sicher nicht um die Umsetzung politischer Ziele oder gar Ideale, denn er hat keine.

Geld? Nein. Sicher genießt er den gehobenen Lebensstandard des Spitzenpolitikers. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen zeigt er kein Interesse daran, sich persönlich zu bereichern, steckt sein Vermögen ungerührt in Wahlkämpfe und verachtet die Geldgier seiner Konkurrenten, welche diese immer wieder anfällig für seine Bestechungen und Manipulationen macht.

Ruhm? Auch nicht. Es schert Frank nicht, was andere von ihm denken. Interessant ist nur die Meinung derer, die ihm aktuell zum Machterhalt verhelfen können, seien es Kollegen, Kontrahenten oder Wähler. Und auch deren Anerkennung opfert er ungerührt, sobald sie für ihn nicht mehr von instrumentellem Nutzen ist.

Stolz? Manchmal hat es den Anschein, Frank treibe eine Art sportlicher Ehrgeiz dazu, im spitzenpolitischen Spiel immer gewinnen zu wollen. Doch auf lange Sicht, erweist sich auch dieses Motiv als nicht tragend. Völlig gleichgültig paktiert er mit Feinden und lässt Verbündete über die Klinge springen. Jedes Mittel der Auseinandersetzung ist ihm recht, von Sportlichkeit keine Spur.

Sex? Nicht, dass Frank keine sexuellen Begierden hätte. Doch nie würde er sich davon zu Handlungen verleiten lassen, die seine Macht gefährden könnten, wie so mancher andere Politiker. Die Beziehung zu Zoe ist nur Mittel zum Zweck, ebenso die zu Claire (auch wenn er nicht müde wird, anderes zu betonen). Auf Meechum lässt er sich erst ein, als dieser völlig von ihm abhängig und damit keine Gefahr mehr ist.

Nein, für Frank Underwood ist die Macht – und das unterscheidet ihn von so manchem scheinbar machtgierigen Bösewicht – Selbstzweck. Er muss ständige und vollständige Kontrolle über alle anderen haben, um sich sicher zu fühlen. Jede noch so kleine Unterordnung oder Notwendigkeit zum Kompromiss empfindet er als quälend, fühlt sich erniedrigt und attackiert – und schlägt mit aller Härte zurück.

Franks Erleben und Verhalten ist charakteristisch für einen unausgewogen, einseitig aktiv gelebten Unterwerfungs- vs. Kontrollkonflikt. Aktiv bedeutet in diesem Fall das forcierte Kontrollieren anderer und die radikale Abwehr jeder Art von Unterwerfung(-sgefühl). Kontrolle bzw. die Abwehr des Gefühls kontrolliert/unterworfen zu werden, ist dabei Selbstzweck und nicht Mittel zu anderen Zwecken, wie Geld, Ansehen etc.

Menschen im einseitig aktiven Kontrollmodus wirken auf uns machthungrig, dominant, mit wenig Mitgefühl und hoher, trotzig aggressiv getönter Grundanspannung. Häufig halten sie sich an ein starres persönliches oder traditionelles Regelsystem und fordern dessen rigide Einhaltung von sich und allen anderen. Eigenwilligkeit, Besserwisserei und wenig Bereitschaft, das eigene Handeln kritisch zu reflektieren, können sie auszeichnen. In sozialen Gruppen wirken sie ehrgeizig, leistungsorientiert und streben Positionen mit hoher Entscheidungsgewalt an.

Jeder Mensch strebt in gewissem Maß danach, sich gegenüber anderen durchzusetzen und zu behaupten. Das Wissen um die eigene Wirksamkeit und den Platz in der Nahrungskette bzw. der Hierarchie, prägt und differenziert das Selbstbild. Erfolg im Ringen um Durchsetzung stärkt das Selbstwertgefühl und lässt uns Anforderungen mit adäquater Selbstwirksamkeitserwartung begegnen.

Dem entgegengesetzt und gleichermaßen bedeutsam ist das Motiv der Anpassung an bestimmte Normen, Konventionen und Traditionen, die Akzeptanz von Autoritäten und die Unterordnung unter deren Kontrolle, was Sicherheit, Geborgenheit und ebenfalls Rückmeldung über den eigenen Platz in der Welt bietet.

Dem aktiven, forciert alles kontrollieren müssenden Modus, steht am anderen Pol des Unterwerfungs- vs. Kontrollkonflikts der passive, sich vollständig unterwerfende Modus gegenüber.

Menschen, die dauerhaft diesen Modus leben, wirken vordergründig unterwürfig, angepasst und gefügig, jedoch unterschwellig kränkbar, beschämt und unzufrieden. Die strikte Unterwerfung unter Ideologien oder Traditionen wird eher erduldet als genossen, von anderen aber ebenso rigide eingefordert. Soziale Gruppen haben maximal identitätsstiftende Funktion, starke, charismatische Führungsfiguren werden unhinterfragt verehrt. Untergeordnete Positionen im innern und aggressive Verteidigung der Gruppennormen nach außen können sich kontrastieren.

Beide Modi des Unterwerfungs- vs. Kontrollkonflikts wirken sich folglich stark auf das zwischenmenschliche Beziehungsverhalten aus. Dem zugrunde liegt jedoch auch die innerpsychische Unterwerfungs- vs. Kontrolldynamik. Die Unterordnung unter strikte Regeln und Gewohnheiten kann der Kontrolle eigener Impulse oder Emotionen dienen, die als nicht mit der wünschenswerten oder akzeptierten Persönlichkeit erlebt werden.

Wie immer im Kontext neurotischer Konflikte, wirken die beiden extremen, unflexibel einseitigen Modi durch die Vermeidung innerer Konfliktspannung nur kurzfristig entlastend. Langfristig sind die negativen Auswirkungen auf Wohlbefinden und psychische Gesundheit sowie auf das psychosoziale Funktionsniveau hoch.

Der Preis absoluter Kontrolle ist auf Dauer innere Einsamkeit und die paranoide Angst, dass auch andere generell nach Kontrolle und Unterwerfung der eigenen Person streben. Die Sicherheit, sich vertrauensvoll dem Willen und Wohlwollen eines vertrauenswürdigen anderen Menschen zu überlassen, kann nicht erlebt werden.

Bedingungslose Unterwerfung hingegen geht mit der Notwenigkeit einher, eigene Motive und Impulse zu unterdrücken und zu verleugnen, was auf Dauer zu Frustration und untergründiger Wut führt. Diese kann sich in subtil anklagenden oder passiv verweigernden Verhaltensmustern zeigen, oder auch im Ausagieren der Frustration in Form von Aggression gegenüber Dritten, die vermeintlich noch weiter unten stehen.

Als filmisches Beispiel fällt uns Colonel Frank Fitts aus AMERICAN BEAUTY ein. Um seine eigenen abgewehrten sexuellen Wünsche zu kontrollieren, unterwirft er sich einem selbstgewählten, außerordentlich strengen Verhaltens- (und auch Fühlens-) Kodex. Die Einschränkung, die emotionale Enge und die Frustration aufgrund seiner ungelebten Gefühle, projiziert er auf andere und kanalisiert seine Triebenergie in der zwanghaften Unterwerfung der anderen unter seinen Kodex. Mit diesem gemischten, zeitgleich zum aktiven und passiven Extrempol tendierenden Konfliktmodus, erinnert er uns an Menschen, die mit missionarischem Eifer und empathiearmer Rigidität ihre strengen Ideologien (seien sie religiös, pädagogisch, ernährungsbezogen…) anderen aufzudrängen versuchen.

Der Psychoanalytiker Alfred Adler hat das Streben nach Macht und Kontrolle als Abwehrmechanismus beschrieben: Jeder Mensch mache zu Beginn seines Lebens Erfahrungen von Unterlegenheit und Abhängigkeit, welche im späteren Leben die Basis mehr oder weniger stark ausgeprägter Minderwertigkeitsgefühle darstellten. In diesem Zusammenhang prägte Alfred Adler den Begriff Minderwertigkeitskomplex.
Nach Adler gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die latenten Minderwertigkeitsgefühle auszuhalten und im besten Fall aus ihnen den Antrieb für konstruktive persönliche Lösungen zu ziehen.

1. Das Streben nach Macht kann als Versicherung der eigenen sozialen Potenz dienen und somit Minderwertigkeitsgefühle verringern. Im günstigen Fall winkt persönlicher, beruflicher und sozialer Erfolg. Den Extremfall dieses Abwehrmechanismus stellt der einseitig aktive Kontrollmodus dar.
2. Als zweite Möglichkeit beschreibt Adler das Gemeinschaftsgefühl, sprich die Integration in soziale Gefüge. Durch positive soziale Bindungen wird das individuelle Minderwertigkeitsgefühl gemildert. Im Extrem droht die passive Unterwerfung mit völliger Aufgabe der Individualität.

Das Streben nach Macht und Kontrolle zur Abwehr eines existenziell bedrohlichen Minderwertigkeitsgefühls können wir in der Figur des Serienkillers DEXTER aus der gleichnamigen Fernsehserie deutlich erkennen. Dexter wurde im Alter von drei Jahren Zeuge des extrem sadistischen Mordes an seiner Mutter. Hilflos ausgeliefert und zum passiven Ertragen der Situation verdammt, lernt Dexter, dass seine Welt aus aktiven Tätern und passiven Opfern besteht – und wählt seine Seite. Fortan nimmt er selbst die Rolle des Mörders ein und kann somit (gefühlt) nicht mehr zum Opfer werden. Aus Angst vor der Opferrolle identifiziert er sich mit der Stärke des Täters, Psychologen sprechen von einem Täterintrojekt. Gleichzeitig erlebt er den Impuls zu morden aber als etwas störendes, falsches, eigentlich nicht zu ihm passendes. Er versucht diesen Konflikt zu lösen, indem er seinerseits nur Verbrecher, meist Mörder, umbringt, womit er stellvertretend auch immer wieder Rache am Mörder seiner Mutter nimmt.

Dexters Abwehrmodus ist also ein forciert aktiver. Seine Anpassung an soziale Normen ist so oberflächlich, dass sie zur Farce wird. Umso zwanghafter unterwirft er sich und alle anderen seinen eigenen rigiden Regeln, wie sie sich in seinem kruden Moralkodex und seinem bis ins Detail ausgefeilten Tötungsritual manifestieren.

Ganz ähnlich (und nur geringfügig weniger extrem) zeigt sich der aktive Abwehrmodus bei Bree Van de Kamp, einer der Hausfrauen aus DESPERATE HOUSEWIVES. Als Kind verlor sie ihre Mutter bei einem schrecklichen Unfall. Um das Trauma nicht passiv ertragen und all ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung spüren zu müssen, tat sie, was sie fortan immer tun würde, sie spülte das Blut ihrer toten Mutter aus der Einfahrt, stellte Reinheit und Ordnung wieder her und ging zum Tagesgeschäft über. Über die Jahre wurden die Affektisolierung (= Abspaltung von Gefühlen) und der Zwang zu äußerlicher Ordnung und Reinheit zu Brees dominierender Verhaltensstrategie und prägten ihren Charakter, womit sie hervorragend in das oberflächlich heile und an verborgenen emotionalen Abgründen reiche Vorstadtidyll der Wisteria Lane passt.

Die aktiv Kontrolle ausübende Überreaktion auf extremes oder chronisches Unterworfenheitserleben scheint generell ein beliebtes narratives Motiv zu sein. Vielleicht weil wir den machtlosen Zorn des „kleinen Mannes“ zu kennen glauben und ihn gerne entfesselt sehen. So wie in FALLING DOWN, wo ein über lange Jahre im passiv-gereizten Unterwerfungsmodus dahinvegetierender Kleinbürger die Frustration darüber, dass seine Anpassung und scheinbare Anspruchslosigkeit nie vergolten werden, schrittweise immer radikaler zum aktiven Vollstrecker seiner eigenen Moral wird.

Der passive Konfliktmodus wird uns in Figuren wie zum Beispiel Doug Stamper aus HOUSE OF CARDS illustriert. Scheinbar willenlos und ohne jede Scham unterwirft er sich dem starken und charismatischen Frank Underwood. Dessen Nähe und Achtung scheinen mit der Zeit sein einzig relevantes Handlungsmotiv zu werden. Sehr deutlich wird in Dougs Figur auch der passiv-aggressive Aspekt der Unterwerfung, wenn er in derselben Kompromisslosigkeit, mit der er sich selbst Frank unterwirft, seinerseits nach unten tritt. So erlaubt ihm die scheinbar anspruchslose Unterordnung, eigene Macht- und Kontrollmotive auszuleben, ohne sie wirklich als solche erkennen zu müssen.

Die parodistische Verkörperung des passiv-aggressiven Abwehrmodus ist uns als Bernd STROMBERG aus der gleichnamigen deutschen Comedyserie bekannt. Seiner Selbstbeschreibung ist an dieser Stelle nichts mehr hinzuzufügen:

„Hier in dem Laden scheißen sie dir auf den Kopf und du sagst auch noch ‚Danke für den Hut‘.“ – Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) in STROMBERG – DER FILM (Deutschland, 2014)

Ein Kommentar

  1. Wolfgang

    ausgezeichnet

    21. Januar 2018

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