„Story“ I: Auf der Suche nach einer pragmatischen Formulierung für „Archetyp“

In loser Folge schreibe ich hier über meine Gedanken beim Lesen von: Story – Substance, Structure, Style, and the Principles of Screenwriting, Robert McKee, HarperCollins, 1997

Auf Seite 4 von Story, noch in der Einleitung, bleib ich schon hängen. McKee schreibt:

“Story is about archetypes, not stereotypes.”

Das klingt gut. Ist aber nicht so einfach, finde ich. Wie genau ist das Gegensatzpaar zu verstehen?

Mal rein semantisch: Archetyp sei die Urform des Seienden (arche: Ursprung; typos: Abdruck). Widerhall der Ewigkeit, vielleicht?

Stereoty: vereinfachendes, klischeehaftes Bild.

Die Frage ist, was ist der Archetyp in der Dramaturgie? Natürlich fällt einem da auch das „archetypische Grundmuster“ bei Campbell ein, der Monomythos. Und von dort ist es auch kein weiter Weg zum Archetyp in der Psychologie und CG Jung.
“Story is about archetypes, not stereotypes.”
Aber wie macht man das Ganze fassbarerer? Was genau meint McKee damit, dass es bei Geschichten um Archetypen und nicht um Stereotypen geht?

Weiter kommt man mit Platon und seiner Ideenlehre (die im Englischen interessanterweise auch als „Theory of Forms“ bekannt ist). Wikipedia: “Nach der Ideenlehre sind die Ideen nicht bloße Vorstellungen im menschlichen Geist, sondern eine objektive metaphysische Realität. Die Ideen, nicht die Objekte der Sinneserfahrung, stellen die eigentliche Wirklichkeit dar.“ Siehe Höhlengleichnis.

Beispiele sind „das Schöne an sich“, „das Gerechte an sich“.

Was hat das mit Storytelling zu tun? Nehmen wir als Beispiel Liebesgeschichten, wie auch im Beitrag von Ron Kellermann kürzlich: Franz ist verliebt, ihm ist ganz flau im Magen und dann leben sie glücklich bis an ihr Ende. Kein Arche- sondern Stereotyp. Keine Story.

Dagegen Titanic: reiche Tochter verliebt sich in armen Schlucker, sie haben einen Riesenspaß unter Deck bei volkstümlicher Musik, machen Liebe auf dem Autorücksitz und nachdem er sich nicht mehr ans Rettungsboot klammern kann, lässt er ihre Hand los, versinkt in den eiskalten Fluten und lächelt der Liebsten ein letztes Mal von 5 Metern unter der Wasseroberfläche zu.

Ahhhh, das ist Drama! Ekstase! Konflikt! Tod und Überleben! Existentielles.

Aber was ist der Archetyp? Liebe an sich?

Ein Kommentar

  1. Manfred

    Hallo Frank,

    Archetypen können in den Minimalzusammenfassung deiner beiden Filmstoffe nicht auftauchen.

    Archetypen sind eine Art Grundidee von Figuren und deren Funktion – wenn man es mal als „Instrumentarium“ auf das Schreiben fiktionaler Texte beschränkt. Dabei bilden die im Roman/Drehbuch schriftlich fixierten Figuren jeweils eine von vielen möglichen Ausprägungen der Archetypen.

    Sieht man es psychologisch, sitzen die Archetypen tiefer, sind vor-bewusst. Damit können Autoren schlecht arbeiten, also nutzt man verallgemeinernde, bereits beschriebene Ausprägungen von Archetypen, z.B. gestützt auf Märchen- und Sagengestalten, die als die Ausprägungen von Archetypen angenommen werden. Damit befindet man sich schon auf halber Strecke zum Stereotypen.

    Hier ist das Geschick des Autors gefordert, die vorgegebenen Ausprägungen von Archetypen so geschickt einzubinden und zu variieren, dass sie zu was eigenem werden, komplex und wahr.

    Natürlich könnte der Autor auch auf das über Archetypen niedergeschriebene verzichten und aus sich selbst schöpfen. Denn irgendwo in ihm stecken die echten Archetypen, unentdeckt und unverstellt von märchen- und sagenhaften Ausprägungen oder psychologischen Beschreibungen. Damit schlösse sich der Kreis: Der Autor müsste seinem Inneren vertrauen und das zulassen, was es zu Tage fördert.

    Was nicht heißt, dass er auf das strukturierte Wissen etablierter Drehbuchliteratur bzw. das Erlernen des Handwerks verzichten muss.

    21. November 2014

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