Theorie tl;dr: Über Bedeutung auf der Bühne

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute Ausschnitte aus „Das Schauspiel: Licht, Farbe, bewegliches Bild und Gegenstandsszene“ von Fernand Léger.

In 140 Zeichen (Was ist das?):

Fernand Legér: Die #Szene hat zum Spielplatz schöpferischer #Phantasie zu werden und der Mensch dafür in die Reihe der Dinge zurückzutreten. — filmschreiben (@filmschreiben) 22. Januar 2016

In 50 Worten (Was ist das?): Angesichts des (mechanisch) vielbewegten zeitgenössischen Lebens fordert Legér, die Bedeutung des Schauspielers auf der Bühne zu verringern, und die des Szenenbilds zu erhöhen. Der individuelle Mensch und Schauspieler habe sein Repertoire erschöpft, während die Bühnen-Dinge in Bewegung und Interaktion gebracht gehörten. Der Künstler habe sich an beidem gleichermaßen zu bedienen.

Der Autor: Fernand Léger (1988 – 1951) war ein französischer Künstler. Im selben Jahr, in dem er im vorliegenden Text über das Schauspiel schrieb, 1924, veröffentlichte er den Experimentalfilm Le ballet méchanique. In der Wikipedia wird diese ganze Schaffenszeit als période méchanique bezeichnet – Kunst unter dem Eindruck der Kriegsmaschinerie des Ersten Weltkriegs, bei dem Legér 1917 fast durch deutsches Senfgas gestorben war.

Die Erkenntnis: Wie fasziniert die Menschen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der schon seit zwei Jahrhunderten andauernden stetigen Mechanisierung waren. Vermutlich besonders unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs, der alle Technologie und Wissenschaft korrumpiert hatte – so ähnlich heißt es in Alex Capus‘ Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer, wenn ich mich recht erinnere. Der betreffende Protagonist (Felix Bloch) beschließt dann aus Pazifismus ein Fach zu studieren, das nicht im Dienst des Krieges steht: Atomphysik.

Wie überträgt sich das auf die Bühne? Auch die wurde mechanisch und beweglich: Mit Drehbühnen und Hubböden und vielen Bühnentechnikern. Allerdings ist deren Nutzung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts fast schon wieder überholt, und auch mit seiner Forderung nach eine strikten Trennung von Zuschauerraum und Bühne scheint Léger eher konservativ zu sein. Seine Forderungen wurden ja offenbar ignoriert: Das Theater reduziert und konzentriert sich auf den Menschen, während die Dinge von einem anderen Medium bewegt werden, das selbst mal ein mechanisch bewegtes Ding war: Dem Film.

Schade, dass Léger nur den zeitgenössischen und nicht den visuellen oder dramatischen Wert bewegter, belebter Dinge nennt. Das wäre uns heute sehr viel hilfreicher, denn Film gewinnt sehr daran. Bis zur Digitalisierung waren bewegte und bewegende Dinge grundsätzlich visuell und haptisch, wie geschaffen für den Film. Und sie bewegten sich schnell, noch schneller als der Mensch, davon leben Actionfilme. Und sie haben durchaus dramaturgischen, weil oft emotionalen Wert, das merkt man spätestens dann, wenn sie zu Bruch gehen.

Das Zitat:

Während der winzige Akrobat Abend für Abend in den metallenen Wölbungen dieses scheinwerferbestirnten «Planetariums» einsam sein Leben aufs Spiel setzt, sitze ich zerstreut auf meinem Platz. Trotz der halsbrecherischen Leistungen, die ihm ein sattes Publikum, das recht selbstzufrieden seine Rauchwolken zu ihm hinaufpafft, grausam abfordert, achte ich kaum auf ihn, vergesse ihn bald mitsamt der rotangelaufenen Zuschauervisagen, denn mich fasziniert das ihn umgebende Gegenstandschauspiel. Ich stehe im Bann dieser einzigartigen Architektur aus bunten Masten, metallenen Röhren und sich überschneidenden Drähten, die dort oben im spielenden Lichte agieren.

Das letzte Wort:

Diese beinah grenzenlose Schauwut und Vergnügungssucht müssen wohl als Reaktion auf die harten Anforderungen des modernen Lebens gewertet werden, eines kalt berechnenden Lebens, das keine Schonung kennt, auf alles und jedes die Mikroskope richtet, Menschen und Dinge unter die Lupe nimmt, Raum und Zeit als harte Realitäten einkalkuliert, Sekunde und Milimeter zum geläufigen Grundmaß erhebt und in seiner mitreißenden Jagd nach Perfektion selbst das schöpferische Genie bis an die Grenzen des Möglichen treibt.

Fernand Léger: Das Schauspiel: Licht, Farbe, bewegliches Bild und Gegenstandsszene. In: Mensch, Maschine, Malerei. Übersetzt und eingel. [Tschuldigung. Was heißt eingel.?] von R. Füglister. Konnte ich lesen in: Manfred Brauneck: Theater im 20. Jahrhundert. Online zum Selberlesen leider nicht gefunden.

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