Theorie tl;dr: Über fraktale Fragmente

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute das Essay „Videowelt und fraktales Subjekt“ von Jean Baudrillard aus Philosophien der neuen Technologie von 1989.

In 140 Zeichen (Was ist das?):

#Baudrillard: Unsere liebe Not an uns selbst angeschaltet zu sein ist nicht Ausdruck von Narzissmus sondern von verzweifelter Selbstreferenz — Arno (@filmschreiben) 7. Januar 2015

In 50 Worten (Was ist das?): Schwierig. Computer als Prothesen des eigenen Körpers (Mc Luhan), Videostadium statt Spiegelstadium heißt Kamera und Videobildschirm inszenieren den Körper zur Selbstreferenz an der Oberfläche ohne Selbstflexion in der Tiefe. Durch den Bildschirm, das Tele-Bild hindurch gibt es ständige Kommunikation, jedoch keinen Kontakt. Notwendigkeit eines Bildschirms bedeutet nicht Notwendigkeit eines Blicks.

Die Erkenntnis: Wörter und Phrasen wie „also“ oder „daraus folgt“ bedeuten nicht immer, dass sich der folgende Satz (bei Baudrillard die folgende Halbsatzmasse) schlüssig auf den vorherigen (die vorherige) bezieht. Ein gekürztes Beispiel, bei dem ich versucht habe, das Verständnis des Inhalts durch die Kürzung zu erleichtern, nicht zu erschweren (was ihr mir vielleicht gleich vorwerfen werdet): Das virtuelle Bild ist weder wahr noch falsch. „Daraus folgt“ die Auflösung der Gestalten des Körpers.

Da ich heute drohe mit der Überzeugung zu scheitern, dass man aus jedem Text etwas für sich und seine Arbeit, gerade als Autor, herausziehen kann, auch bei fehlendem Verständnis (entschuldigt!), versuch ich folgendermaßen euch etwas von Wert mitzugeben: Mehrere winzige Teilstücke (fraktale Fragmente!) des Textes haben in mir eine Art Verständnis zumindest berührt. Mal sehen: Die Faszination des Menschen darüber, wie wohl ein Gedanke funktioniert. Das Spielen und Vorstellen mit dem Spiegel, das beim Bildschirm oder seiner Nutzung durch uns verloren geht. Unsere ständige Notwendigkeit zur äußersten, verzweifelten Selbstreferenz. Die Intensität an der Oberfläche und die Bedeutungslosigkeit in der Tiefe. Die Notwendigkeit des Bildschirms ohne die Notwendigkeit eines Blicks. Die eigentümliche, unüberwindliche Entfernung zwischen Bildschirmbild, Telebild und Betrachter. Der Wert der Entfremdung des Arbeiters durch die Maschine, die durch das intuitive Interface verloren geht.

Das Zitat:

Wenn die Menschen – wider jede Einsicht – von genialen und schöpferischen Maschinen träumen, so weil sie an ihrer eigenen Schöpferkraft verzweifeln oder weil sie es vorziehen, sich Ihrer Schöpferkraft zu entledigen, um sie erst vermittelt durch Maschinen auszuüben und zu genießen. Denn was die Maschinen bieten, ist zuvorderst das Schauspiel des Denkens, und im Umgang mit ihnen frönen die Menschen lieber dem Schauspiel des Denkens als dem Denken selber.

Von besonderem Interesse ist vielleicht dieses Zitat, das mich an einen wissenschaftlichen Text erinnert (vielleicht in einem künftigen Theorie tl;dr, wenn ich ihn wiederfinde), in dem es hieß, memes seien die Nachfolger von genes, Informationen würden künftig nicht mehr über das Erbgut kopiert, sondern digital. Was dann über kurz oder lang Fortpflanzung zum Erhalt von Informationen überflüssig machen würde. Denn das sei alles, worum es ginge: Die Generierung von Information, ihre Speicherung und ihre Vervielfältigung. Als hätten Informationen eine innere Notwendigkeit, geteilt zu werden, und wir sind solange nützlich, solange wir sie am effektivsten teilen. Wer weiß schon, warum wir neugierig sind?

Und umgekehrt gibt es keine Tat und kein Ereignis, das sich nicht im technischen Bild aufhebt und auslöscht; keine Handlung, die nicht danach strebt, fotografiert, gefilmt, aufgenommen, visualisiert zu werden, um in jene software einzufließen und unendlich reproduzierbar zu werden. Der Anspruch ist, überall potenziell zu existieren und auf allen Bildschirmen und in allen Programmen präsent zu sein; dieser Zwang wird zum magischen Bedürfnis.

Gutes Schlusswort: Ja ja, zurück an die Arbeit.

So ringen Studenten und Forscher mit ihren Computern, korrigieren, überarbeiten und verbessern unablässig und machen dergestalt aus der Arbeit eine Art unendlicher Psychoanalyse, sie speichern alles, um jeden Schluss und Entschluss zu umgehen, mittels fortdauerndem Feedback und unaufhörlicher Interaktion mit der Maschine, deren Funktion mit der eines Gehirns identifiziert wird, versuchen sie, das unausweichliche Schicksal des Todes und den ebenso fatalen Moment des Schreibens aufzuschieben.

Jean Baudrillard: Videowelt und fraktales Subjekt. In der hier genutzten Fassung ins Deutsche übersetzt von Matthias Rüb. Einen kurzen Auszug gibt es beim Ars Electronica Katalog Archiv.

We can cover that by a line of dialogue...

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