Theorie tl;dr: Über Menschenrecht (I)

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute die Einleitung zum Buch Die Erklärung der Menschenrechte von Marcel Gauchet – ein Mitbringsel aus meinem jüngst begonnen Studium des Public Interest Design in Wuppertal. Wir mischen Kunst mit Soziologie und fragen uns, wie das, was wir gestalten und das, was ihr gestaltet auf uns alle wirkt. Und müssen dafür wissen, wer uns alle ist:

In 50 Worten (Was ist das?): Die Konstituante, die verfassungsgebende französische Nationalversammlung, stand 1789 vor großen Herausforderungen: Dem König und seiner historischen und religiösen Legitimität, die sie anzweifeln mussten, der eigenen zweifelhaften Legitimität, sie sie rechtfertigten mussten. Ihre Lösung sind Naturrecht und Souveränität der Nation. Sie scheitern an der notwendigerweise erklärten Einigkeit von Volk und Repräsentanten.

In 140 Zeichen (Was ist das?):

Marcel Gauchet: Um die Monarchie zu überwinden muss die franz. Nationalversammlung sich eine Kraft erklären, an der sie dann zu Grunde geht. — filmschreiben.de (@filmschreiben) 1. Januar 2017

Die Erkenntnis: Die Erklärung der Menschenrechte geht einher mit einer Erklärung der Nation: Die Gesellschaft, die sich selbst besitzt. Erst eine erklärte Nation und ihre erklärte Souveränität kann den Repräsentanten erlauben für mehr als diejenigen Franzosen zu sprechen, die sie gewählt haben, für eine ganze Gesellschaft zu sprechen. Und legitimiert erst dadurch eine Macht, die der des Königs mindestens gleichkommen muss, nach Möglichkeit übertrifft.

Storytelling: Die Macht des Königs wird durch eine Erzählung gestützt, die Delegierten müssen eine funktionierende Gegendarstellung erzählen.

Das gelingt auch. Doch ist dadurch eine Macht und Legitimität der Repräsentanten behauptet, die keiner Kontrolle mehr durch das Volk bedarf. Wenn Repräsentanten und Volk sich einig sind, eins sind, und diese Festlegung war ja nötig, um sich nicht vor dem König zu schwächen, dann braucht das Volk keine Instrumente gegen die Repräsentanten selbst, wie wir sie aus unserer Gewaltenteilung kennen. Jede Entscheidung der Repräsentanten ist schon allein durch ihre Wahl legitimiert.

Das Zitat:

In diesem Kampf um den letzten Urgrund der Autorität, in den sie [die französische Nationalversammlung gegen den König] sich verrannt hatten, war die Rechteerklärung ihre Hauptwaffe. Natürlich kann man solche papiernen Säbel mit rein imaginärer Schneide für lächerlich halten, und gewiss entschieden sie nichts ohne die Unterstützung einer gesellschaftlichen Bewegung, die ihr eine ganz materielle Umsetzung bot. Immerhin besitzen sie aber ihre eigentümliche Wirksamkeit, und ihr Gebrauch kann sich – wie hier – als folgenreich erweisen.

Von besonderem Interesse: Die Gründung des Nationalismus. Hier wird zum ersten Mal die Nation mystisch überhöht (wieder: Storytelling): Geschaffen durch ihre Mitglieder im Lauf der Jahrhunderte, die sie formten und ihr die Identität gaben, die sie jetzt habe. Zuvor bestimmten Könige über das Verhalten ihrer Staaten, die staatliche Identität war eine königliche Identität. Wenn aber dessen Volk, die Nation der eigentliche Souverän ist, ist jede Entscheidung Ausdruck einer völkischen, nationalen Identität.

Das letzte Wort:

Die Idee der Menschenrechte hat wirklich eine Welt hervorgebracht, doch sie hat dies blind getan, inmitten der Konvulsion und Irrwege, die sich aus der unendlichen Schwierigkeit ergaben, ihr eine kollektive Verkörperung zu geben, die praktisch wirksam und gesichert war. Und vor unseren eigenen Augen entgleitet die Vertiefung der Freiheit und Gleichheit in ihren wundersamen Wandlungswirkungen immer noch weiterhin den Akteuren, die sie betreiben.

Marcel Gauchet: Die Erklärung der Menschenrechte. Kann ich zum Umsonstlesen im Internet nicht finden. Mir liegt eine Veröffentlichung durch Rowohlt in der Übersetzung von Wolfgang Kaiser vor.

We can cover that by a line of dialogue...

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