Was ist Professionelles Storytelling? Und was ist es nicht?

Storytelling ist zu einem Buzzword (im negativen Sinne) verkommen. Es wird viel Schaum damit geschlagen, dessen Luftbläschen als Inhalte verkauft werden. Storytelling muss für alles Mögliche in allen möglichen Bereichen herhalten: Storytelling im Journalismus, Storytelling im Content-Marketing, Storytelling im Wissensmanagement, im Changemanagement und überhaupt als Management-Methode, Storytelling in Präsentationen und Vorträgen, in Games und so weiter.

Storytelling ist die Anwendung der fiktionalen Dramaturgie in non-fiktionalen Kontexten.

Liest man die entsprechenden Bücher und Blogs, dann lässt sich feststellen, dass das, was dort geschrieben steht, alles nicht falsch ist – aber es ist bei weitem nicht alles. Aus Sicht eines Dramaturgen bieten die Werkzeuge und Arbeitsmethoden der fiktionalen Dramaturgie wesentlich mehr Potenzial für ein gutes – und professionelles – Storytelling.

Storytelling ist die Anwendung der fiktionalen Dramaturgie in non-fiktionalen Kontexten

Auf dieser Basis – Professionelles Storytelling ist die konsequente Anwendung der Werkzeuge und Arbeitsmethoden der fiktionalen Dramaturgie in non-fiktionalen Kontexten – werde ich in einer losen Folge von Artikeln beschreiben, was Professionelles Storytelling aus Sicht der fiktionalen Dramaturgie ist und werde einige konkrete Beispiele analysieren, um zu zeigen, wie Storytelling in der Praxis funktionieren kann.

Fiktionale Dramaturgie ist eine Methode der Wahrnehmung und Darstellung von Wirklichkeit

Fiktionale Dramaturgie ist eine bestimmte Methode der Wahrnehmung und der Darstellung von Wirklichkeit. Die Realität ist zwar nicht immer so wie in der Fiktion. Aber ziemlich oft. Das hat seinen Grund darin, dass Fiktion die Verdichtung von Realität ist. Fiktion ist Mimesis, die Nachahmung von Realität. Zwischen der realen Welt und der fiktiven Welt besteht eine „Strukturhomologie“. Deshalb kann man die Werkzeuge der fiktionalen Dramaturgie auf die Realität anwenden: Sie beschreibt die Prozesse, Beziehungen, Dynamiken und Entwicklungen, aus den Realität entsteht, und macht sie anwendbar, sowohl fiktional als auch non-fiktional.

Professionelles Storytelling ist eine Methode der Content-Entwicklung

Wendet man die Werkzeuge und Arbeitsmethoden der fiktionalen Dramaturgie konsequent an, dann wird Storytelling zu einer umfassenden Methode der Entwicklung von Inhalten:

Storytelling ist eine Methode der Content-Entwicklung.

Mit ihr kann man zielgerichtet interessante und relevante Themen finden, das Storypotenzial von vorhandenen Themen einschätzen, fokussiert und effizient recherchieren, Sinn- und Bedeutungszusammenhänge besser her- und darstellen, tiefgreifendere Erkenntnisse über Themen und Menschen gewinnen, relevante von irrelevanten Informationen unterscheiden und Inhalte so entwickeln und gestalten, dass das Interesse des Publikums geweckt, gesteigert und befriedigt wird.

Mittels Professionellem Storytelling wird Abstraktes konkret, Sachliches lebendig und Komplexes einfach. Es erreicht das Publikum nicht nur auf der kognitiven, sondern auch auf der emotionalen Ebene. Dadurch sind Informationen besser erinnerbar.

Wie funktioniert das?

Storytelling als dramaturgische Fragetechnik

Die Werkzeuge der fiktionalen Dramaturgie lassen sich als ausdifferenzierter Fragekatalog darstellen. Dessen Fragen können in fiktionalen genauso wie in non-fiktionalen Projekten angewendet werden und gehen beispielsweise im Journalismus weit über die klassischen W-Fragen hinaus.

Der Unterschied zwischen fiktionalem Arbeiten und non-fiktionalem Arbeiten mit diesen Fragen ist: Fiktionale Autorinnen und Autoren müssen die Antworten auf sie erfinden, non-fiktionale Autorinnen und Autoren müssen sie finden, irgendwo in der Realität. Im Fiktionalen müssen alle Fragen beantwortet werden, im Non-Fiktionalen kann es sein, dass es auf einige Fragen keine Antworten gibt.

Je weniger Fragen beantwortet werden können, umso geringer ist das Storypotenzial eines Themas. Das Storypotenzial eines Themas einzuschätzen, ist der erste Schritt im Storytelling. Hat ein Thema kein hohes Storypotenzial, macht es keinen Sinn, weiter mit der Methode Storytelling zu arbeiten. Wann ein Thema ein ausreichend hohes Storypotenzial hat, lässt sich leider nicht exakt benennen. Minimalanforderungen sind eine klare eigene Erzählintention in Form eines inhaltlichen und eines emotionalen Themas, einer zentrale Frage und einer Botschaft, ein interessanter Protagonist mit einem klaren Ziel, großer Fallhöhe, starker antagonistischer Kraft und einem tiefen Konflikt (im Detail dazu später mehr).

Storytelling ist keine Allzweckwaffe

Storytelling ist keine Allzweckwaffe. Es ist lediglich eine bestimmte Methode. Neben vielen anderen. Wann macht es keinen Sinn, mit ihr zu arbeiten?

Wenn es keine Story gibt, ein Thema also kein Storypotenzial hat (siehe oben). Dann sollte man auch keine mutwillig konstruieren. Dass es keine Story gibt, heißt noch lange nicht, dass ein Thema uninteressant ist.

Storytelling ist keine Allzweckwaffe.

Wenn es keine gute Story gibt. Schlechte Geschichten können ein interessantes Thema verderben. Deshalb lieber keine Geschichte als eine schlechte.

Wenn eine gute Story nicht erzählbar ist. Wenn sich beispielsweise für eine TV-Reportage kein geeigneter Protagonist oder keine starken Bilder finden lassen und die Geschichte nur aus dem Off erzählt werden kann. Eine schlecht erzählte Geschichte kann ein interessantes Thema ebenfalls verderben. Deshalb lieber keine als eine schlecht erzählte.

Wenn man nichts zu sagen hat oder nichts aussagen will. Geschichten – sofern sie vom Publikum als ein sinnvolles Ganzes verstanden werden und alle Fragen, die sie aufwerfen, beantworten – treffen immer eine Aussage. Sie nehmen einen Standpunkt ein und teilen dem Publikum etwas mit: über das Menschsein, das Leben, die Gesellschaft, die Welt, über die Werte, nach denen wir leben wollen. Sie können nicht anders. Das bedeutet zugleich: Wer Geschichten erzählt – wer mit Storytelling arbeitet – hat Verantwortung.

3 Comments

  1. «Lieber keine Geschichte als eine schlechte.» Genau. Oder wie es Wolf Otto Pfeifer sagt: «Nicht jede Erzählung ist auch eine Geschichte».

    29. März 2015
  2. helga

    Man sagt, die Frauen lieben Geschichten, die Männer Geschichte. Dies veranschaulicht unterschiedliche Interessen bei den Kunden, so dass die Storrytelling dies zur Acht nehmen muss. Ohne Erfahrung auf diesem Gebiet bleibt die Entwicklung unter dem Fragezeichen. Danke für die Anregungen!

    17. Januar 2019
  3. Als Dramaturg und/oder Storytelling-Consultant gehört es dazu, die zu beratenen ErzählerInnen und die angestrebte Zielgruppe kennenzulernen. Damit das nicht bloß über Stereotype passiert, empfehle ich gern das Character Mapping von Laurie Hutzler nicht nur auf fiktionale Figuren sondern auch reale Personen oder Personengruppen anzuwenden: https://www.etbscreenwriting.com/character-map/screenplay/

    22. Januar 2019

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