Weltverstehen und Radikalisierung: Das Storytelling der AfD – Teil 3: die Storys der AfD

Wieso findet eine reaktionäre, ausländerfeindliche und tendenziell antidemokratische Partei wie die AfD so viel Zustimmung? Weil ihr Storytelling die Ängste und Sehnsüchte vieler Menschen widerspiegelt und deren Frust, Wut und Hass artikuliert.

(Dieser Artikel ist der dritte Teil der vierteiligen Artikelreihe über das Storytelling der AfD.  Für eine detaillierte Beschreibung der Inhalte der anderen Teile siehe die Einleitung des ersten Teils. In der Reihe „Weltverstehen und Radikalisierung“ sind bisher erschienen: „Das Storytelling der AfD – Teil 1: Die Core Story“, „Das Storytelling der AfD – Teil 2: Charakterentwicklung und Radikalisierung“, „Das Storytelling des Islamischen Staates“, „Das Storytelling des Brexit“ und „Wie Journalisten das Storytelling des Islamischen Staates und der AfD betreiben“.)

Die AfD gewinnt immer mehr Anhänger – im Juni 2016 liegt sie laut Forschungsgruppe Wahlen bei immerhin 13%. Die Umfragewerte sind jüngst zwar etwas gefallen, vermutlich aufgrund der internen Querelen des baden-württembergischen Landesverbands. Aber das dürfte wahrscheinlich nur vorübergehend sein. Eine Partei wird gewählt, wenn die Menschen sich von ihrer Politik ein besseres Leben versprechen. Eine wirksame Methode, um Hoffnung auf ein besseres Leben zu erzeugen, ist das Erzählen von Geschichten. Deshalb analysiere ich in dieser vierteiligen Artikelreihe das Storytelling der AfD:

Im ersten Teil habe ich anhand der Entwicklung der Core Story der AfD gezeigt, wie sich die Partei zunehmend radikalisiert – von der ursprünglichen Lucke-Version der Core Story, deren Ziel vor allem die ökonomische, aber auch politische und gesellschaftliche Rettung des (National)Staates war, über die Petry-Version, in der es um die Rettung der (Kultur)Nation geht, zur Höcke/Gauland/Poggenburg-Version, in deren Zentrum die Rettung des deutschen Volks(körpers) vor dem „Volkstod“ steht.

In dieser Entwicklung zeigt sich die Radikalisierungsdynamik der AfD als zunehmende Verengung der Kriterien für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft: Wer gehört zu uns und wer gehört nicht zu uns? Die Lucke-Version hat diese Frage politisch beantwortet: Die Bürgerinnen und Bürger des Staates bilden die Gemeinschaft. Die Petry-Version beantwortet sie kulturell: Menschen einer bestimmten kulturellen Herkunft mit gemeinsamen Merkmalen wie Sprache, Tradition, Sitten und Bräuchen gehören zur Gemeinschaft. Die Höcke/Gauland/Poggenburg-Version verengt die Antwort weiter auf ethnische bzw. metaphysische Merkmale: Nur die Menschen, die von einem bestimmten Volk abstammen, sind Mitglieder der Gemeinschaft.

Im zweiten Teil habe ich diese Radikalisierungsdynamik detaillierter dargestellt. Dabei hat sich gezeigt, dass es bislang sieben Radikalisierungsschübe gab und die Partei sich einmal gespaltet hat: Ein Großteil der liberalen Vertreterinnen und Vertreter – darunter einige Gründungsmitglieder wie Bernd Lucke – sind aus der Partei ausgeschieden und den Nationalisten unter Frauke Petry das Feld überlassen. Außerdem hat sich gezeigt, dass ein weiterer Radikalisierungsschritt und eine zweite Spaltung bevorstehen. Hauptopfer dieser Spaltung dürfte Frauke Petry sein, die den Völkischen Gauland, Höcke und Poggenburg weichen müssen wird. Petry ist zwar opportunistisch genug, um den Schritt von den Nationalisten zu den Völkischen – von der zweiten zur dritten Generation der AfD – zu schaffen. Sie ist jedoch genau wie Bernd Lucke die Gallionsfigur für eine bestimmte Färbung der Partei und wird deshalb ebenfalls die Führung abgeben und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden müssen, damit die dritte Generation die Partei führen und dominieren kann.

In diesem dritten Teil geht es nun um das Storytelling der AfD und um ihre Anhänger: Welche Storys erzählt die AfD? Warum sind diese Storys erfolgreich? Was macht ihr Identifikationspotenzial und ihre Anziehungskraft aus? Gibt es bestimmte Merkmale, die die AfD-Anhänger kennzeichnen, so etwas wie eine gemeinsame „Mentalität“? Welche politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Konflikte thematisieren die Storys der AfD? Welche Lösungen schlägt sie für diese Konflikte vor? Also welches bessere Leben versprechen sie?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, analysiere ich das Storytelling der AfD mit den Werkzeugen der fiktionalen Dramaturgie. Die fiktionale Dramaturgie ist mehr als lediglich ein System aus Prinzipien, Erfahrungswerten, Denk- und Handlungsweisen, derer sich fiktional arbeitende Autorinnen und Autoren bedienen können, um ihre Drehbücher, Romane, Theaterstücke und Hörspiele zu entwickeln. Sie ist eine Methode, mit der man die Realität wahrnehmen, Ursachen analysieren, Zusammenhänge erkennen, Dynamiken verstehen und letztlich die Welt und das Leben darstellen und gestalten kann. Als solche nenne ich sie Storytelling – die Anwendung der Werkzeuge der fiktionalen Dramaturgie in non-fiktionalen Kontexten.

Das Storytelling der AfD

Die AfD ist erfolgreich, weil ihr Storytelling bei vielen und immer mehr Menschen auf Resonanz stößt, indem es Ängste aufgreift und zuspitzt und sie in pseudorationale Argumente mit einer einfachen Problemlösung als Konklusion kanalisiert.

Merkmale der AfD-Storys

Die Storys der AfD haben folgende Merkmale:

„Anti“-Storys: Die AfD-Storys sind Anti-Storys. Sie sind gegen etwas: gegen die Elite, die Politiker, die Medien, Europa, gegen den Islam, Ausländer, Flüchtlinge, Homo- und Transsexuelle etc.

Feindbilder: Damit die Anti-Storys wirken können, müssen diejenigen, gegen die sie sind, als Feindbilder etabliert werden, auf die die Menschen ihre Enttäuschung, ihren Frust, ihre Wut und ihren Hass projizieren können.

Ängste: Damit ein Feindbild funktionieren kann, muss Angst vor ihm erzeugt werden. Deshalb sprechen die AfD-Storys gezielt universelle Werte an – Kontrolle, Identität, Sicherheit, Selbstbestimmung, Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Gerechtigkeit-, und behaupten, dass diese Werte durch die Feindbilder zerstört werden. Auf diese Weise verknüpfen sie die existenziellen Ängste vor Kontroll- und Identitätsverlust, Fremdbestimmung, Ungerechtigkeit und Unsicherheit mit diesen Feindbildern.

Alarmismus: Die Storys der AfD malen den Teufel an die Wand. Sie beantworten die in der Dramaturgie wichtige Entwicklungsfrage „Was ist das Schlimmste, was der Hauptfigur passieren kann?“ mit einer absoluten Zuspitzung: „Wir werden zwangsislamisiert, Frauen werden Kopftücher tragen müssen, Schweinefleisch und Alkohol werden verboten sein. Unsere Kultur und Tradition werden zerstört, wir werden unsere Herkunft verlieren und damit unsere Identität und unsere Zukunft.“ Mit diesem Alarmismus schürt die AfD Ängste vor dem Neuen und dem Anderen und macht sie größer. Damit das Versprechen, die Ängste aufzulösen, wirken kann, müssen diese Ängste so groß gemacht werden, dass die einfachen Lösungen, die die AfD anbietet, als einzig mögliche erscheinen.

Einfachheit: Die Storys der AfD versprechen Einfachheit und damit Orientierung, Kontrolle, Sicherheit, Gemeinschaft und ein Ende der Ohnmacht, indem sie das Alte als das Bessere beschwören. In einer Welt, die so schnell, global und überkomplex ist, dass sie nicht mehr „lesbar“ und rational zu greifen ist, stellen diese vermeintlich einfachen Lösungen eines vermeintlich einfach zu lösenden Konflikts ein Versprechen auf ein besseres Leben dar, die eine emotionale Wirkung entfalten und deshalb so verlockend sind: „Der Islam bedroht uns? Schmeißen wir ihn raus.“  Tatsächlich bedeutet diese Einfachheit jedoch eine Radikalität, die destruktiv wirkt.

Aus der Perspektive des Drei-Akt-Modells als grundlegendes Muster für die Entwicklung von Konflikten betrachtet, spitzt die AfD im zweiten Akt – der Konfliktaustragung – einen Konflikt zu, um dann im dritten Akt – der Konfliktauflösung – eine einfache Lösung zu versprechen. Den ersten Akt, in dem es um die Entstehung eines Konfliktes geht, beleuchtet sie jedoch auffallend schwach und wenn, dann mit uneindeutigen Allgemeinplätzen wie „Gesellschaftsexperimente“, „Gender-Mainstreaming“, „Multikulti-Ideologie“, „Erziehungsbeliebigkeit“ etc. Nicht immer, aber sehr häufig kann man einen Konflikt aber nur dann lösen, wenn man seine Ursachen kennt und sie behebt. Würden die AfD-Storys auch den ersten Akt erzählen, würde offenbar werden, dass ihre Lösungen die Konflikte nicht beenden, sondern verschärfen. Das spricht dafür, dass es ihr nicht um die Lösung von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Problemen geht, sondern darum, Macht zu erlangen – was bei einer Partei, die von der Angst vor Kontrollverlust durchdrungen ist und mittels dieser Angst seine Anhänger rekrutiert, nicht wundert – und eine Ideologie durchzusetzen.

Demütigung: Der Subtext der AfD-Storys behauptet eine permanente Demütigung durch eine ungerechte Behandlung mit der Folge einer Entwertung und Entwürdigung einer Person und deren Leben. Damit erreicht sie Menschen, die tatsächlich gedemütigt wurden oder sich gedemütigt fühlen, und stachelt sie an, wodurch eine Radikalisierungsspirale in Gang gesetzt wird. Insbesondere der Aspekt der Demütigung ist für das Verständnis der Motivation von AfD-Anhängern, den Erfolg der AfD und mögliche Strategien in der Auseinandersetzung mit ihr von zentraler Bedeutung. Das emotionale Thema Gerechtigkeit und die Angst vor Ungerechtigkeit sind damit die zentralen Motive der AfD.

Die Storys der AfD

Insgesamt lässt sich das Storytelling der AfD in zwei Master-Storys – die Anti-Eliten-Story und die Anti-Egalität-Story – mit jeweils mehreren Sub-Storys einteilen. Diese Storys überschneiden sich teilweise und verstärken sich dadurch gegenseitig.

Die Anti-Eliten-Story

Sie ist die klassische Underdog-Story: Wir hier unten gegen die da oben. Ihre Sub-Storys sind die Anti-Politiker- und Parteien-Story, die Anti-Europa-Story und die Anti-Medien-Story:

„Die Politiker verarschen uns, verfolgen auf unsere Kosten ihre eigenen Interessen, stopfen sich die Taschen voll und belügen uns. Sie sind die Handlanger der Wirtschaft, wir sind ihnen total egal und haben nichts mehr zu sagen. Wir dürfen ihnen deshalb nicht mehr vertrauen. Also lasst uns das politische System ändern und Volksentscheide und Direktwahlen einführen. Dann müssen sie uns ernst nehmen und wir haben wieder die Kontrolle.“

„Unsere Stimmen in einer Wahl bewirken nichts mehr, weil alles aus dem undemokratischen Brüssel diktiert wird. Um unsere Souveränität wieder zurückzugewinnen, müssen wir also die EU auflösen.“

„Die Medien sind verlogen und werden gesteuert. Sie sind Teil einer großen Verschwörung gegen die einfachen Menschen, an der außer ihnen die Politiker, der Islam, die EU und das Finanzkapital beteiligt sind. Also lasst uns diese Lügenpresse abschaffen und stattdessen unsere Wahrheitspresse installieren. Dann haben wir wieder Kontrolle.“

Die emotionalen Themen dieser Storys sind Kontrolle, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Anerkennung. Sie zielen auf Menschen, die sich nicht gesehen, unterdrückt, ungerecht behandelt und ohnmächtig fühlen und einen Schuldigen dafür suchen.

Die Anti-Egalität-Storys

Die Anti-Egalität-Storys richten sich gegen das, was anders ist und werten es ab: Islam, Ausländer, Homo- und Transsexualität, Kinderlose, Unverheiratete etc. Die zwei prominentesten Sub-Storys sind die Anti-Islam- und die Anti-Ausländer-Story.

Die Anti-Islam-Story

Die Anti-Islam-Story dürfte auf lange Frist die erfolgreichste AfD-Story sein, da sie wie keine andere auf die Angst vor Identitäts- und Kontrollverlust abzielt und der AfD die größtmögliche mediale Präsenz garantiert.

„Der Islam ist eine rückständige Religion. Er ist gewalttätig, blutrünstig und unterdrückt Frauen und Andersdenkende. Er hat einen Masterplan, demzufolge wir islamisiert werden sollen und unsere Identität, Kultur, Tradition und Sprache verlieren. Also lasst uns den Islam zurückdrängen, indem wir seine Religionsfreiheit beschneiden.“

Im zweiten Teil des Artikels – die „Charakterentwicklung“ der AfD – habe ich dargelegt, dass die AfD mit der Anti-Islam-Story ein Dauerthema gefunden hat und sich damit inhaltlich festigt. Das ursprüngliche Thema der ersten AfD-Generation – die Euro-Krise und die Rettungspolitik der Bundesregierung – war im Hinblick auf seine mediale Präsenz zeitlich befristet. Griechenland und die Euro-Krise waren 2015 nicht mehr der große Aufreger wie noch die Jahre zuvor. Mit dem Verschwinden dieses Themas aus den Medien wäre die Gefahr groß gewesen, dass auch die AfD verschwindet. Durch den Wechsel zur Flüchtlingskrise als Hauptthema der zweiten AfD-Generation konnte das verhindert werden. Außerdem war das Flüchtlingsthema an das Griechenland-Thema anschlussfähig: Saßen in der Euro-Rettung die faulen Ausländer, die nur unser Geld wollen, noch in Griechenland, stehen sie nun vor unserer eigenen Haustür oder sogar schon mitten im Haus. Das ist dramaturgisch betrachtet geradezu eine klassische Konfliktsteigerung, die die AfD für sich zu nutzen wusste.

Aber auch das Flüchtlingsthema war in der für die AfD wichtigen medialen Öffentlichkeit ein zeitlich befristetes. Zwar wird es auf Jahre hinaus unsere Gesellschaft prägen und die Politik beschäftigen. Aber sein Erregungspotenzial und seine mediale Präsenz sinken bereits (aktuell insbesondere durch das Ergebnis des Brexit-Referendums) und dürften – sofern nichts Ungewöhnliches passiert – bis zu den Landtagswahlen dieses und nächstes Jahr und der Bundestagswahl weiter kontinuierlich sinken. Beides braucht die AfD jedoch wie jede junge Partei: Erregung und mediale Aufmerksamkeit.

Beides erzielt sie mit ihrem Wechsel von der Flüchtlingshetze zur Islamablehnung als Hauptthema. Denn es gibt nicht nur viele Menschen in Deutschland, die Angst vor dem Islam und vor Muslimen haben. Noch wichtiger ist, dass der Islam immer wieder ein emotional aufgeladenes Thema in den Medien sein wird, sobald der Islamische Staat einen Anschlag verübt. Denn dadurch wird das Storytelling der AfD beflügelt: Jeder Bericht über den Islamischen Staat erzählt automatisch die Anti-Islam-Story der AfD (über die gegenseitige Abhängigkeit des Storytelling des IS und der AfD siehe meinen Artikel „Das Storytelling des Islamischen Staates“).

Das ist das große Dilemma des Journalismus derzeit, an dem er regelmäßig scheitert, indem er sich ohne Not zum Verbündeten des Storytelling des IS und der AfD macht und damit unverantwortlich handelt (siehe hierzu meinen Artikel „Wie Journalisten das Storytelling des IS und der AfD betreiben“).

Die Anti-Ausländer-Story

Die Anti-Ausländer-Story wird in drei Varianten erzählt: In der ersten ist mit der Anti-Islam-Story verwandt, indem die Ängste der Menschen vor Identitäts- und Kontrollverlust bedient. Allerdings vergrößert sie den Kreis derjenigen, die angeblich unsere Identität und Selbstbestimmung bedrohen, um eine nationale und ethnische Komponente. Sie ist weniger erfolgreich, weil die Anti-Islam-Story mit dem Islam ein konkreteres Feindbild aufbaut.

„Flüchtlinge und Migranten überfremden uns. Wir verlieren unsere Kultur und Tradition, unsere kollektiv bindenden Identitäten, kulturellen Orientierungsmuster und unser einigendes Heimatbewusstseins infolge von Zuwanderung und einer verbreiteten „Multikulti-Ideologie. Um uns dagegen zu wehren, müssen wir die Grenzen dicht machen und keinen mehr reinlassen. Und von denen, die schon hier sind, müssen wir so viele wie möglich so schnell wie möglich rauswerfen oder sie dazu zwingen, sich vollständig an uns anzupassen.“

Die emotionalen Themen dieser Story sind wie in der Anti-Islam-Story Identität und Selbstbestimmung. Beide verfangen bei unsicheren Menschen mit einer schwachen Ich-Identität, einem wackeligen Selbstbild, die sich nach einer starken homogenen Gemeinschaft sehnen, in der es klare Regeln gibt, die ihnen und ihrem Leben Stabilität und Orientierung geben.

In der zweiten Variante erzählt die Anti-Ausländer-Story die von Neid geprägte Story vom sozialen Abstieg: „Die Flüchtlinge und Migranten kommen hier her, um uns auszunutzen. Sie bringen uns nichts, kosten nur Geld und wollen ein Stück vom Kuchen, der nur uns zusteht und von dem wir schon zu wenig abbekommen.“

In dieser Story geht es um die emotionalen Themen Wohlstand und sozialer Status. Sie wirkt bei Menschen, die sich als Opfer sehen oder tatsächliche Opfererfahrungen gemacht haben, die glauben, zu kurz gekommen zu sein und das Gefühl haben, dass ihnen noch etwas zusteht.

Die dritte Variante ist die vom gefährlichen Wilden aka kriminellen Ausländer, „der uns ausraubt, unsere Frauen vergewaltigt und unsere Kinder tötet. Recht und Gesetz gelten nicht mehr, die Polizei ist durch permanente Kürzungen zahnlos geworden, seit die etablierten Parteien eine ideologiegetriebene Multikulti-Politik betreiben, die ein Asyl-Chaos verursacht und unsere Sicherheit und öffentliche Ordnung bedroht.“

Diese Story erzählt das emotionale Thema Sicherheit. Sie richtet sich an Menschen, die Angst vor dem Neuen und vor Veränderungen haben. Ereignisse wie die in der Silvesternacht in Köln sind ein Jubelfest für die die AfD, denn sie bestätigen die vermeintliche Wahrheit dieser Story. Die Täter haben den Flüchtlingen und Migranten also den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen.

Die Anti-Islam- und Anti-Ausländer-Storys werden in der dritten Generation der AfD um Bernd Höcke, André Poggenburg und Alexander Gauland gestützt von der Story vom Volk als starker und existenzrettender Gemeinschaft. Im Zentrum dieser Story steht das emotionale Thema Identität und die zentrale Frage: Wer gehört zu uns und wer gehört nicht zu uns?

Weitere Anti-Egalität-Storys

In der Antwort auf diese Frage zeigt sich die Radikalisierung, die die AfD in den letzten drei Jahren gemacht hat (siehe hierzu Teil 2 dieses Artikels). Sie zieht die Grenzen um die Gemeinschaft immer enger und schließt damit immer mehr Menschen aus. Der Grund dafür ist, dass die Angst vor Identitätsverlust sich nicht einfach auflöst, indem man die Grenzen der Gemeinschaft eng zieht. Egal, wie eng die Grenzen bereits sind, die Angst vor Identitätsverlust muss sie immer enger ziehen und immer mehr Menschen ausgrenzen. Das Anderssein ist die größte Gefahr für die Angst vor Identitätsverlust. Deshalb muss das Gleichsein anhand immer weniger Kriterien definiert und die Abweichung abgewertet werden. Auf Resonanz stößt die AfD damit bei Menschen mit einer schwachen Ich-Identität, die sich durch das Andere bedroht fühlen.

Mit dem Kriterium der Volksabstammung kommt diese Radikalisierungsdynamik jedoch noch nicht zu ihrem Ende. Das Grundsatzprogramm zeigt, dass sie sich bereits fortsetzt und die AfD davon ausgeht, dass eine Gemeinschaft umso besser funktioniert, je gleicher ihre Mitglieder sind. Deshalb strebt sie in letzter Konsequenz eine maximal homogene Gesellschaft mit klar verteilten Rollen an. In ihr werden der Andersartigkeit nicht die gleichen Rechte zugesprochen, da die egalitäre Behandlung des Anderseins eine Ungerechtigkeit darstellt: Egal wie weiß, wie deutsch, wie christlich und wie vermögend jemand ist – wenn er homosexuell ist, ist er nicht gleichwertig und soll nicht heiraten und keine Kinder adoptieren dürfen. Denn dadurch werden die klassische Ehe und die traditionelle Familie benachteiligt.

Die anti-egalitäre Grundhaltung der AfD drückt sich also dadurch aus, dass sie Ungleichheit bewertet und dem einen einen höheren Wert zuspricht und das andere abwertet. Die Politik, die die AfD anstrebt, bevorzugt und fördert entweder das ein oder sie benachteiligt das andere:

So haben beispielsweise bestimmte partnerschaftliche Lebensformen einen höheren Stellenwert und sollen deshalb bevorzugt behandelt werden: Ehe und Familie statt Unverheiratete und Kinderlose. Zitate aus dem Grundsatzprogramm: Bekenntnis zur traditionellen Familie als Leitbild / Das traditionelle Familienbild darf dadurch [die ideologische Beeinflussung durch das „Gender-Mainstreaming“] nicht zerstört werden / Insbesondere Ehe und Familie garantieren als Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft den über Generationen gewachsenen gesellschaftlichen Zusammenhalt und genießen daher zu Recht den besonderen Schutz des Staates. / Es sollte wieder erstrebenswert sein, eine Ehe einzugehen.

Im Hinblick auf sie sexuelle Orientierung werden Homo-und Transsexualität abgewertet: Nein zu “Gender-Mainstreaming” und Frühsexualisierung / Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht lehnen wir ebenso entschieden ab wie die ideologische Beeinflussung durch das „Gender-Mainstreaming“.

Die deutsche Kultur soll als Leitkultur genauso bevorzugt werden wie die deutsche Nationalität gegenüber anderen Nationalitäten: deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus / Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen; Mehr Kinder statt Masseneinwanderung.

Das Christentum ist höherwertig als der Islam: Keine öffentlich-rechtliche Körperschaft für islamische Organisationen / Der Islam gehört nicht zu Deutschland. / Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt. Minarett und Muezzinruf stehen im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander [sic!] der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren.

Die AfD spricht sich zwar für die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus, wendet sich aber nicht nur gegen aktuelle Maßnahmen zur Realisierung dieser Gleichberechtigung, sondern betrachtet auch das traditionelle Geschlechterverhältnis als Ideal: Geschlechterquoten sind leistungsfeindlich und ungerecht. / Die AfD vertritt die Meinung, dass Quoten kein geeignetes Mittel zur Gleichberechtigung von Mann und Frau darstellen. / gegen die vom „Gender-Mainstreaming” propagierte Stigmatisierung traditioneller Geschlechterrollen / Die Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und wirkt damit traditionellen Wertvorstellungen und spezifischen Geschlechterrollen in den Familien entgegen. Das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau soll durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen systematisch „korrigiert“ werden. Die AfD lehnt diese Geschlechterpädagogik […] ab.

Auch bestimmte soziale Schichten haben für die AfD eine Bevorzugung verdient: Vermögen- und Erbschaftsteuer abschaffen, Gewerbesteuer überprüfen / Obergrenze für Steuern und Abgaben / Bank- und Steuergeheimnis wiederherstellen.

Überschreibung bestehender Storys

Ein interessanter Aspekt des AfD-Storytellings ist die Überschreibung von bestehenden Storys, beispielsweise die unserer Nationalfarben schwarz-rot-golden. Sie waren ein wichtiges Symbol während der Märzrevolution 1843, wo sie von den Verfechtern der Demokratie und Freiheit getragen wurden. So war beispielsweise die Schärpe, mit der die ersten frei gewählten Parlamentarier wie Robert Blum in die Paulskirche in Frankfurt einzogen, in schwarz-rot-gold gehalten. Auch während des Hambacher Festes zuvor wurden schwarz-rot-goldene Fahnen von Demokraten und Liberalen getragen. Schwarz-rot-gold ist also ein Revolutions-, Freiheits- und Demokratie-Symbol, das von AfD, Pediga und Co. angeeignet und auf diese Weise mit einer anti-liberalen, anti-demokratischen, nationalistisch-völkischen Bedeutung aufgeladen und überschrieben und damit in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Der wohl öffentlichkeitswirksamste Akt dieser Überschreibung stammt ausgerechnet von dem zentralen Vertreter des völkischen Flügels Bernd Höcke während der Talk-Show bei Günter Jauch, als er die Deutschland-Fahne aus der Tasche zog und über seine Stuhllehne hängte. Indem er die Fahne auf diese Weise für sich beanspruchte, vermittelte er im Subtext dieser symbolischen Handlung, dass sie nicht die anderen Talk-Show-Gäste repräsentiert, die mehrheitlich gegen ihn waren und liberale und demokratische Standpunkte vertraten. Das Schlimme daran ist nicht die storytellingrelevante Handlung von Höcke, sondern die Sprachlosigkeit der anderen Talk-Show-Gäste, mit der sie zulassen, dass Höcke die Farben schwarz-rot-gold okkupiert und mit einer völkischen Bedeutung auflädt.

Voraussetzungen für den Erfolg der AfD-Storys

Voraussetzungen für den Erfolg der AfD-Storys sind bestimmte gesellschaftliche, politische und ökonomische Umstände, die konfliktbeladen sind, vor denen viele Menschen Angst haben und für die die AfD einfache Lösungen anbietet. Aber warum wenden sich so viele und immer mehr Menschen der AfD zu und nicht den anderen Parteien? Warum glauben sie den Storys der AfD mehr als denen der anderen Parteien?

Der Grund dafür liegt nicht in der AfD, sondern in den anderen Parteien: in ihrer Verfasstheit, ihrem Politikstil, der immer mehr Menschen anwidert, und ihren Programmen, das aus Sicht vieler und immer mehr Menschen die wichtigen Konflikte nicht lösen können. Die Folge davon ist, dass ihr Storytelling nicht mehr funktioniert, zumindest nicht mehr hinreichend. Viele Menschen glauben nicht mehr daran, dass ihr Leben durch die Politik der anderen Parteien besser wird.

Stattdessen machen sie gegenteilige Erfahrungen: All die Milliarden und Rettungsschirme haben eben nicht dazu geführt, dass es mit Griechenland aufwärts geht. Die Regulierung der Banken nach der Finanzkrise hat das Finanzsystem eben nicht stabiler gemacht, sondern stattdessen Schattenbanken und noch mehr Hedgefonds entstehen lassen, die genauso wenn nicht noch wilder spekulieren und wetten, so dass der nächste Finanzcrash eine logische Notwendigkeit ist. Globalisierung und Europäische Union haben eben nicht dazu geführt, dass der Wohlstand aller Menschen gestiegen ist, sondern nur der einiger weniger noch größer geworden ist. Eine noch schnellere und tiefere europäische Integration hat eben nicht dazu geführt, dass die Menschen sich als Teil einer großen länder- und nationenübergreifenden Gemeinschaft verstehen, in der sie sich sicher fühlen und Solidarität erwarten können. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat eben nicht dazu geführt, dass die Flüchtlingsproblematik gelöst wird, er lässt zwar weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dafür aber umso mehr im Mittelmeer ertrinken. Die Politik der anderen Parteien hat eben nicht dazu geführt, dass die Gesellschaft und die Welt ein gerechterer Ort geworden sind. Im Gegenteil: Aus Sicht vieler Menschen ist nichts besser, sondern alles schlechter geworden. Statistiken hin, Statistiken her. Sie fühlen sich durch die Politik der anderen Parteien, die Europäische Union und die Globalisierung in ihrer Identität bedroht, verunsichert, ungerecht behandelt, nicht ernst genommen, gedemütigt und fremdbestimmt. Und das Schlimme daran ist: Ihre Gefühle sind nicht aus der Luft gegriffen.

Ein weiteres Problem der anderen Parteien ist, dass ihr Storytelling die Ängste und Sehnsüchte der Menschen nicht ausreichend adressiert oder sie nicht ernst genug nimmt: „Ihr habt Angst vor dem Islam? So ein Quatsch, der Islam ist eine friedliche Religion, für terroristische Attentate ist er nicht verantwortlich. Also stellt euch nicht so an. Ende der Diskussion.“ „Ihr habt das Gefühl, dass in Brüssel über eure Köpfe hinweg entschieden wird und ihr keinen Einfluss habt? Glaubt uns, es ist nur zu eurem besten. Außerdem dürft Ihr doch alle paar Jahre wählen. Also seid zufrieden. Ende der Diskussion.“ „Ihr habt das Gefühl, dass die Globalisierung Ungerechtigkeit erzeugt und nur die Reichen und die Wirtschaft davon profitiert? Ihr irrt euch, früher oder später wird der wachsende Reichtum der Reichen bis zu euch runtertröpfeln. Und was für die Wirtschaft gut ist, ist auch immer gut für euch. Das solltet Ihr doch langsam eingesehen haben, so oft wie wir es euch schon gesagt haben. Also hört auf zu jammern.“ „Ihr fühlt euch in eurem eigenen Land fremd? Aber Ihr wisst doch, dass Diversität die Lösung aller Probleme und auch zu eurem Besten ist. Außerdem wollt Ihr doch im Alter eine gute Rente bekommen, oder? Eben, genau dafür brauchen wir die Flüchtlinge. Ende der Diskussion.“ „Ihr habt Angst, euren Job zu verlieren und sozial abzusteigen? Dann bildet euch eigenständig weiter, denn Fachkräfte werden immer gesucht. Und wer das nicht schafft, ist selbst verantwortlich. Schließlich leben wir in einer individualisierten und leistungsorientierten Gesellschaft. Ende der Diskussion.“

Ein weiterer Grund für den Erfolg der AfD ist, dass die anderen Parteien nicht nur die Ängste der Menschen nicht ernst nehmen, sondern sogar bestimmte Konflikte tabuisieren, entsprechend keine Lösungsvorschläge anbieten und keine Storys dazu erzählen können, beispielsweise das Thema Islamkritik. Es gibt nun aber einmal viele Menschen, die Angst vor dem Islam haben und sich von Muslimen bedroht fühlen, insbesondere jene, die keinen Kontakt zu ihnen haben. Die Angst vor dem Fremden lässt sich nun aber einmal nicht wegschweigen. Und diese Menschen als engstirnig und intolerant zu beschimpfen, ist auch keine Lösung.

Die Angst vor dem Fremden lässt sich nur auflösen, indem das Fremde vertraut wird. Vertrauen entsteht durch gemeinsame Erfahrungen. Diese Erfahrungen haben viele Menschen mit Muslimen und Muslimas aber nicht gemacht. Dennoch haben sie ein recht klar geprägtes Bild von ihnen. Dieses Bild haben sie – wie soll es anders sein – hauptsächlich durch die Medien. Und wen wundert es, dass dieses Bild Ängste hervorruft, wenn in den Nachrichten nahezu ausschließlich negativ über den Islam als gefährlich, blutrünstig, frauenverachtend etc. berichtet wird, im fiktionalen Programm Muslime und Muslimas unterrepräsentiert sind und die wenigen, die in Spielfilmen und Serien eine größere Rolle spielen und nicht nur am Rand als Staffage auftauchen, die total Assimilierten sind. Kulturell traditionell und religiös lebende Muslime und Muslimas kommen so gut wie gar nicht vor, und wenn, dann werden sie meistens als rückständig und nicht in unserer Gesellschaft angekommen gezeichnet. Die Programmgestalter – sei es fiktional oder non-fiktional – tragen einen großen Anteil am weitverbreiteten negativen Bild vom Islam und an einer gescheiterten Integration vieler Muslime und Muslimas. Ihr Handeln ist unverantwortlich.

Die anderen Parteien haben derzeit also nichts gegen die AfD in der Hand, um deren Storytelling zu entkräften. Gegenwärtig scheint die Glaubwürdigkeit der AfD-Storys nur durch das Verhalten des Führungspersonals geschwächt werden zu können, wenn es den eigenen Storys widerspricht, indem es sich beispielsweise der verhassten Elite annähert oder gemeinsame Sache mit ihr oder die gleiche Sache wie sie macht: Interessanterweise sind es nicht die Radikalen und Extremisten wie Höcke, Poggenburg oder Gauland, die hier ein Risiko darstellen.

Anders ist es bei Frauke Petry: Über die Lügenpresse herzuziehen und dann mit ihrem neuen Lebensgefährten und Chef des Landesverbandes NRW Marcus Pretzell auf den Presseball zu gehen, ist nicht überzeugend und glaubwürdig. Dass sie Fraktionsgelder missbraucht haben soll, schwächt ebenfalls das AfD-Storytelling, selbst wenn es nicht wahr sein sollte. Denn das ist etwas, was die anderen Parteien machen, aber nicht die Recht-und-Ordnung-Partei AfD. Und Petry hat sich noch nicht in eine Position gearbeitet, in der ihre Anhänger ausschließen, dass sie zu so etwas fähig wäre.

Auch dass Petry sich von ihrem Ehemann – ausgerechnet einem Pastor – getrennt hat und sich scheiden lassen will, dürfte dem christlich-reaktionären Vertretern und Anhängern der Partei nicht gefallen. Zu ihrem Glück wurde ein Passus, der das Schuldprinzip bei Ehebruch in Scheidungsverfahren wiedereinführen sollte, doch nicht ins Parteiprogramm aufgenommen. Denn demnach müsste derjenige, der ein schwerwiegendes Fehlverhalten gegen die eheliche Solidarität begangen hat, bei der Scheidung benachteiligt werden. Frauke Petry hätte damit nicht den Maßstäben der Partei entsprochen.

Ihr Verhalten beim Treffen mit dem Zentralrat der Muslime war auch ein Storytelling-Schuss, der nach hinten losging. Sie wollte mit ihrem Abbruch der Gespräche die Story beweisen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, da er nicht dialogfähig ist. Dann wurde jedoch bekannt, dass ihr Abbruch des Gesprächs von vornherein geplant war.

Aus der Perspektive des Storytelling ist Frauke Petry damit eine der spannendsten Personen des AfD-Führungspersonals: Einerseits ist sie eine wichtige Gallionsfigur, die mit ihrem Sieg über Bernd Lucke auf dem Essener Parteitag eine Richtungsänderung eingeleitet hat, andererseits ist sie ein Risikofaktor für die Partei. Dass sie deswegen immer wieder vor allem vom rechten Parteiflügel angegangen wird, wundert nicht. Und es würde nicht wundern, wenn die Rechten sie irgendwann stürzen werden.

Die AfD als Chance

Darauf verlassen, dass die AfD die Glaubwürdigkeit ihres Storytelling selbst zerstören wird, können sich die anderen Parteien jedoch nicht. Das Beste, was sie gegen die AfD tun können, ist eine bessere Politik zu entwickeln, eine Politik, die die angstverursachenden Konflikte thematisiert und löst. Das ist natürlich das Ziel einer jeden Partei. Aber offensichtlich treffen sie dieses Ziel nicht. Dabei stellt die AfD eine gute Gelegenheit dar, in die richtige Richtung zu zielen. Denn ihr Erfolg zeigt den anderen Parteien, wo ihre politischen Entwürfe nicht überzeugen, ihre Politik nicht funktioniert oder sogar falsch ist.

Aus der Perspektive des dramaturgischen Modells der Heldenreise betrachtet, übernimmt die AfD hier die Funktion des Schattens. Der Archetypus „Schatten“ steht einerseits für die Ängste, Zweifel und inneren Konflikte der Hauptfigur. Andererseits spiegelt er ihr ihre blinden Flecken, ihre Schattenseite wider, also jene Aspekte, die die Hauptfigur an sich selbst nicht sehen will. Ist einem das bewusst, kann man mit einem Schatten konstruktiv umgehen, etwas über sich lernen und sich weiterentwickeln. Ist es einem nicht bewusst, ist die Reaktion auf einen Schatten heftige Ablehnung. Schließlich will man nicht sehen, was er einem zeigt. Daraus erklärt sich die harsche und ungestüme Reaktion vieler Politiker und Journalisten auf die AfD. Das ist jedoch ein Fehler. Stattdessen sollten sie die AfD als Chance begreifen, ihr Handeln zu überdenken und zu optimieren.

Denn die AfD spiegelt ihre Schwächen im politischen Handeln wider. So verweist sie beispielsweise auf den Vertrauensverlust vieler Menschen in die Eliten der Politik (befeuert u.a. durch die undemokratischen Geheimverhandlungen über TTIP), der Medien (verstärkt durch ihr Verhalten nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht) und der Wirtschaft (begründet vor allem dadurch, dass sich viele Wirtschaftslenker der Verantwortung für ihren Misserfolg entziehen und sich stattdessen obszöne Boni ausbezahlen). Sie spiegelt die nach wie vor mangelhafte Integrations- und Einwanderungspolitik wider, die Mängel in der Gestaltung der Europäischen Union, insbesondere ihr strukturelles und institutionelles Demokratiedefizit und ihre wuchernde Komplexität, die explosiven Ungerechtigkeiten, die durch eine manische Globalisierung und die Hemmungslosigkeit deregulierter Finanzmärkte erzeugt werden, und die Tabuisierung des Themas Islamkritik.

Im Hinblick auf eine bessere, vor allem gerechtere Gestaltung unserer Gesellschaft und der Realisierung der zentralen Werte Gemeinschaft, Gerechtigkeit etc., sollten wir in gewisser Weise sogar dankbar sein, dass es die AfD gibt. Sie macht uns auf viele Probleme aufmerksam und zeigt Lösungen, die wir ausschließen können, da sie destruktiv sind, womit wir auf der Suche nach einer konstruktiven Lösung einen Schritt weiter kommen.

Um die AfD als Chance zu begreifen, muss man ihre Storys kennen und verstehen, welche Konflikte sie erzählen und wie sie gelöst werden sollen. Dazu habe ich mit diesem Teil des Artikels hoffentlich beigetragen.

Im nächsten und letzten Teil dieser Artikel-Reihe geht es um die antagonistischen Kräfte der AfD, also die anderen Parteien und Medien, und die Fragen, welche Strategien sie in der Auseinandersetzung mit der AfD verfolgen, warum diese Strategien erfolglos sind und wie erfolgreiche Strategien aussehen können.

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