Wie funktionieren Liebesgeschichten? – Die Liebe zwischen Oben und Unten

Die Engel, die nennen es Himmelsfreud, die Teufel, die nennen es Höllenleid, die Menschen, die nennen es Liebe.

Was Heinrich Heine so treffend in diesem Zitat formuliert dürfte der Grund sein, warum kein anderer lebensweltlicher Bereich in Romanen und Filmen häufiger zum Thema wird als die Liebe: Sie kann „Himmel auf Erden“ und „Hölle aus Eis“ sein, sie stimmt uns himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Und da wohl jeder Mensch in seinem Leben sicher schon einmal das erste erfahren durfte und das zweite durchleiden musste und daher weiß, wie sich beides anfühlt, kommen Liebesgeschichten bei uns Lesenden und Zuschauenden so gut an: Wir erkennen uns in den Geschichten und ihren Figuren wieder, indem sie diese starken Gefühle erwecken oder wiederbeleben und Wege zu unseren tiefsten Sehnsüchten und unverarbeiteten Verlusten ebnen, da sie uns an Ereignisse, Erfahrungen und Traumata aus unserer Vergangenheit erinnern.

Liebesfilme erwecken starke Gefühle in uns und ebenen Wege zu unseren tiefsten Sehnsüchten und unverarbeiteten Verlusten.

Nicht jeder Liebesgeschichte gelingt dies jedoch, nicht jede sorgt für eine solche Widerspiegelung, trifft ins Herz, lässt uns unweigerlich zum Tränentaschentuch greifen, mit den Liebenden mitleiden und freudejauchzen.

Die Frage ist also: Wie schafft eine Liebesgeschichte das? Wie muss sie erzählt werden, müssen Figuren und Konfliktaufbau entwickelt sein, damit Leserschaft und Publikum emotional involviert werden und sich in der Geschichte wiederfinden?

Die Antwort auf diese Frage geht von der Grundannahme aus, dass sich aus den scheinbar unendlich vielen Formen der Liebe doch nur eine begrenzte Anzahl von Liebesszenarien und dementsprechend archetypischen Handlungsabläufen ergibt. Liebesgeschichten sind demnach so erfolgreich, weil ihnen stets wiederkehrende psychologische und erzählerische Muster zugrunde liegen, die in abgewandelter Form immer wieder aufs Neue erzählt werden und die allesamt unsere eigenen Liebeserfahrungen widerspiegeln.

Liebesgeschichten liegen stets wiederkehrende psychologische und erzählerische Muster zugrunde, die unsere eigenen Liebeserfahrungen widerspiegeln.

Eines dieser Liebesszenarien ist die Liebe zwischen oben und unten. Filme wie PRETTY WOMAN (der sehr stark an JANE EYRE erinnert), EMAIL FÜR DICH (die moderne Version von Lubitschs RENDEZVOUS NACH LADENSCHLUSS (1939), der wiederum die moderne Version von STOLZ UND VORURTEIL erzählt), DIE GROSSE LIEBE MEINES LEBENS (1957), EIN OFFIZIER UND GENTLEMAN, RITA WILL ES ENDLICH WISSEN und die Romane JANE EYRE von Charlotte Bronte, Jane Austens STOLZ UND VORURTEIL und Daphne DuMaurieres REBECCA (und die gleichnamige Verfilmung von Alfred Hitchcock) bauen auf diesem Liebesszenario auf.

Die Liebe zwischen Oben und Unten ist die Aschenputtel-Version für Erwachsene. Sie erzählt von Missverständnissen und Fehleinschätzungen, deren Ursachen darin liegen, dass die Liebenden über eine trennende soziale Kluft hinweg miteinander kommunizieren müssen. Der Mann macht Annäherungsversuche, die die Frau unter- oder überschätzt. Geht die Geschichte glücklich aus, überwindet er die sozialen Hindernisse und geht eine Verbindung mit ihr ein. Er zeigt, dass er stark genug ist, sich ein eigenes Urteil zu bilden und frei zu entscheiden. Sie entdeckt, dass er trotz seines arroganten oder einschüchternden Verhaltens im Grunde empfindsam und zärtlich ist. Die beiden Liebenden müssen also zuerst hinter der äußeren Erscheinung den wahren Wert und Charakter des anderen entdecken. Sie erkennen sich an und lieben sich, weil sie die sind, die sie sind und nicht wegen ihres Geldes oder ihrer gesellschaftlichen Stellung.

Die Liebe zwischen Oben und Unten ist die Aschenputtel-Version für Erwachsene.

Im Zentrum dieser Geschichten steht eine Frau, die es – durch ihre angeborene Begabung und Charakterstärke – mit einem mächtigen Mann aufnehmen kann und dessen Liebe erringt. Sie ist in der Gesellschaft heimatlos und hat keine Familie oder eine so schreckliche, dass sie ihr entfliehen muss. Sie ist eine selbständige Frau, die sich auf ein Liebesverhältnis mit einem Mann aus dem Landadel bzw. dessen moderner Entsprechung einlässt. Und sie merkt, dass auch er wunde Punkte hat.

Unabhängig, ob die Männer wesentlich älter oder gleichaltrig sind, verfügen sie über großen Reichtum und sind bedeutend, während sich die Hauptfigur in einer machtlosen Position befindet. Auf diese Weise verkörpert der Mann die patriarchalischen Strukturen. Er hat die Macht, fremde Not übersehen und andere Menschen herumschubsen zu können. Die Hauptfigur gewinnt die Zuneigung des mächtigen Mannes erst, wenn sie ihre wahre Kraft und Unabhängigkeit unter Beweis stellt. Sie muss ihn wissen lassen, dass sie jeden Mann, der sie nicht mit Respekt behandelt, wegschickt – egal wie reich und bedeutend er ist: Jane Eyre, Elizabeth Bennet und die Heldinnen aus PRETTY WOMAN und EMAIL FÜR DICH erteilen den Männern erst eine Abfuhr und müssen durch einen Heiratsantrag wieder gnädig gestimmt werden.

So verliebt sich in Jane Austens Roman STOLZ UND VORURTEIL die Hauptfigur Elizabeth Bennet – eine intelligente Frau aus der Mittelschicht – in Mr. Darcy, den reichen, arroganten Freund eines Nachbarn, obwohl der sie anfangs mit seinem versnobten und abweisenden Benehmen beleidigt. Darcy erkennt allmählich Elizabeth´ Qualitäten und verliebt sich in sie trotz seiner Abneigung gegen ihre vulgäre, geldgierige Mutter und der Einwände seiner Familie gegen ihren niedrigen gesellschaftlichen Rang.

Eine Ausnahme zu dieser typischen Hauptfigur ist Daphne DuMauriers Roman REBECCA, dessen Ich-Erzählerin keine Unabhängigkeit und keinen Schwung besitzt. Sie ist schüchtern, unscheinbar, ungelenk und ängstlich. Doch nach und nach gewinnt sie an Kraft und begreift, dass der Mann noch verletzlicher ist als sie, woraufhin sie die führende Rolle übernimmt und der stärkere Partner in der Ehe wird.

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