Struktur, Dramaturgie: und/oder (achja, und Liebe)

Es war vor etwas über einem Jahr als ich eine Drehbuch-Software ausprobierte, die versprach den Autoren auch dramaturgisch zu unterstützen, das ich dachte: „Nein, Struktur ist eben noch keine Dramaturgie.“ Die Handlung entsprechend eines Modells wie der Heldenreise zu strukturieren schien mir nicht sinnvoller, als die Szenen alphabetisch nach ihren Anfangsbuchstaben zu sortieren. Ohne Frage auch eine Struktur, ohne Frage ohne jeden dramaturgischen Sinn.

Vielleicht liegt der Fehler schon bei der Wahrnehmung von Dramaturgie als Struktur. So habe ich im Studium Dramaturgie wahrgenommen, Kommilitonen auch, Dozenten vielleicht auch, und vielleicht war es ein großes Missverständnis. Vielleicht erklärt das, warum Dramaturgie manchmal als Korsett empfunden wird, und manchmal als „Malen nach Zahlen“ geschmäht. Vielleicht erklärt das, warum auch auf Tagen der Dramaturgie Modelle wir die Heldenreise mal eben als nicht hilfreich abgetan werden.
Was ist Interesse denn anderes als Liebe?
Woher dieses Missverständnis? Vielleicht weil oft ein Grundgedanke verloren geht. Wir nennen eine Erzählung doch dann dramaturgisch stark, wenn sie uns berührt, und das nicht besonders zimperlich: wenn sie uns packt. Packend heißt mitreißend – wieder eine eher unsanfte Berührung –, heißt spannend, heißt interessant. Und nachdem ich im jüngsten Theorie tl;dr-Artikel Freud besprochen habe, der Erziehung (auch die durch Therapeuten!) kurzerhand auf „Liebe“ runterbricht, mache ich das hier einfach auch (natürlich mit annähernd gleicher Kompetenz).

Was ist Interesse denn anderes als Liebe? (Keine Ahnung, da mir auf Anhieb keine Antwort einfällt, folgen wir einfach dieser polemischen rhetorischen Frage und schauen wo sie uns hinführt.) Wenn wir uns für eine Geschichte interessieren, dann liegt das doch daran, dass sie unsere Liebe berührt. Daran, dass wir Figuren kennen- und lieben lernen, deren Schicksal uns betrifft. Und die selbst lieben. Und selbst wenn wir nicht lieben sondern hassen berührt die Geschichte unsere Liebe: Wir hassen den, der die bedroht, die wir gerade lieben gelernt haben, oder den, der eine Idee bedroht, die wir lieben (Beispiel Gerechtigkeit).

Irgendjemand Kluges hat gesagt: Man kann einen Menschen nicht nicht lieben, dessen Geschichte man kennt. (Ich wüsste wirklich gern wer, vielleicht hat jemand eine Idee?) Und darum geht es in der Dramaturgie. Sie soll dem Autor helfen die Geschichte seiner Figuren den Lesern und Zuschauern zu vermitteln, damit sie seine Liebe für sie teilen können. (Oder? Wagt jemand so einer schönen Aussage zu widersprechen?)
Eine Handlung hat schon Struktur, ganz unabhängig von jeder Dramaturgie.
Das heißt nicht, dass eine Handlung automatisch dann dramatisch ist, wenn sie unsere Liebe berührt, es heißt, dass eine Handlung nicht dramatisch sein kann, wenn sie nicht unsere Liebe berührt. Es gibt andere Aspekte einer Handlung, die ihr ihr dramaturgisches Gewicht geben. Aspekte, die uns aus den bekannten Drehbuchtheorien und Strukturmodellen vielleicht bekannter sind, als Liebe (pfff).

Andere dramaturgische Aspekte einer Handlung sind ihre Motivation, die Anstrengung (Stärke des Protagonisten gegen Stärke des Antagonismus), der mögliche Gewinn und auch der mögliche Verlust (Einsatz). Struktur gehört nicht dazu. Protagonist und Ziel, zwei bekannte dramaturgische Aspekte, ebenfalls nicht. Die Wahl des Protagonisten der Handlung ist erst einmal beliebig dafür, wie dramatisch die Handlung ist. Sie bestimmt zwar Motivation und Anstrengung, aber die beiden Aspekte sind ja auch vertreten. Auch das Ziel beeinflusst die Dramaturgie ja eigentlich nicht, es könnte beliebig geändert werden und würde zwar den Sinn nicht aber das dramaturgische Gewicht der Handlung beeinflussen.

Struktur ist natürlich auch ein Aspekt einer Handlung, aber kein dramaturgischer. Vor allem ist nicht Dramaturgie die Struktur. Eine Handlung hat schon Struktur, ganz unabhängig von jeder Dramaturgie: Zielsetzung, Planung, Entscheidung zur Durchführung, Durchführung, anschließender Erfolg oder Misserfolg. Daran setzen einige dramaturgische Modelle an, damit wir kleine und große Schritte einer Handlung nicht vergessen. Der erste Wendepunkt in der Drei-Akt-Struktur ist die Entscheidung zum Handeln. Die Verweigerung in der Heldenreise das Zögern und die Zweifel davor. Die Romance-Sequenz in den 8 Sequences kann eine Überarbeitung der ursprünglichen Zielsetzung und des ursprünglichen Plans sein.
Weil Malen nach Zahlen einfacher ist.
Deshalb können solche Strukturmodelle auch kein Korsett sein: Sie sperren uns nicht ein, sondern sie erinnern uns nur an das, was eh schon da ist. Aber auch der erste Wendepunkt, die Verweigerung und die Romance-Sequenz haben an sich kein dramaturgisches Gewicht sondern erhalten sie erst durch ihre Bedeutung für den Protagonisten und damit für den Leser und Zuschauer: Durch Motivation, Anstrengung und Einsatz. Das ist Dramaturgie.

Wie ist aus Liebe also Malen nach Zahlen geworden? Ich fürchte die Antwort ist: Weil Malen nach Zahlen einfacher ist. Es ist einfacher, jemandem beizubringen bestimmte Plot Points abzuarbeiten, als ihn dazu zu bringen uns ehrlich zu zeigen was er liebt, ihn dazu zu bringen uns zu seiner Liebe einzuladen. Und ihm dann zu erklären, warum Plot Points sinnvolle Schritte in dieser Einladung sind.

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