Das Problem Netflix am Beispiel The Laundromat

Als Oldie vermeide ich es aus prinzipiellen Gründen ,große‘ Filme auf dem Computer anzuschauen oder gar, ein no go, auf dem Smartphone. Bei einer VeDRA-Diskussion auf dem Münchner Filmfest, wo es um neue Produktionsmöglichkeiten von Serien ging, fragte der Moderator am Ende, ob die Autoren und Regisseure nicht Probleme damit hätten, dass Ihre Werke nicht mehr im Fernsehen und Kino gezeigt würden. Offensichtlich waren die Macher mit dieser Frage überfordert, sie hatten sich darüber einfach noch keine Gedanken gemacht.

Ein 90-Minuten-Drehbuch portionieren

Man weiß zwar was man will, man kennt seine Story und seine Figuren schon ziemlich gut, aber wenn man die erste Seite schreibt, dann liegen noch ca. 90 Seiten in der amerikanischen Schreibweise (1 Seite = 1 Min Film) vor einem. Das ist wie ein Berg, den man ersteigen muss. Da hinaufzuschauen kann einen schon … Weiterlesen

Terror – Ihr Urteil: Auch eine Frage der Dramaturgie

Terror – Ihr Urteil, der Fernsehfilm aus der Feder von Jurist Ferdinand von Schirach nach seinem gleichnamigen Theaterstück, ist nach seiner Ausstrahlung am Montag vor zwei Wochen viel diskutiert worden – in Hinblick auf seine Fragen des Rechts und der Moral, nicht aber solchen der Dramaturgie. Dabei ist er dahingehend höchst interessant, aus verschiedensten Gründen … Weiterlesen

Weltverstehen: Radikalisierung – ein Interview mit Dr. Niklas Gebele

Film ist Mittel, Autoren sind Mittler, Schreiben ist Vermittlung. Schreiben bedeutet, Andere am eigenen Verständnis teilhaben zu lassen – für eigenes Verständnis braucht es Verstehen. Aus dem dokumentarischen Theater gibt es deshalb die Forderung an Autoren, sich zur wissenschaftlichen Arbeit zu befähigen. Das ist nicht immer möglich, doch glücklicherweise haben wir viele kluge Mitmenschen. Mit … Weiterlesen

Radikalisierung: Das Interview mit Dr. Niklas Gebele in der Kurzfassung

Für unsere neue Reihe Weltverstehen habe ich mit Psychologe und Filmschreiben-Autor Dr. Niklas Gebele über Radikalisierung gesprochen. Das vollständige Interview wird morgen früh auf filmschreiben erscheinen. Ich hatte viele Fragen, deshalb vorab eine Kurzfassung. Lieber Herr Dr. Gebele, fangen wir klein an, bei uns allen: Sind wir selbst schon mal radikal, vielleicht ohne es zu … Weiterlesen

Das Wesen einer Geschichte – Charakterentwicklung

Was braucht man, um gute Ideen zu finden, aus guten Ideen gute Geschichten zu entwickeln und gute Geschichten gut zu erzählen? Man braucht Wissen darüber, was eine Geschichte ist, wie sie funktioniert, welche dramaturgischen Werkzeuge zu ihrer Entwicklung und Erzählung es gibt und wann man sie wie anwendet, wie Autorinnen und Autoren denken, mit welchen Methoden sie arbeiten und welche Fragen sie sich stellen.

Seit wann die Menschen Geschichten erzählen, wann also die erste Geschichte überhaupt erzählt wurde, wissen wir nicht. Die älteste schriftlich überlieferte Geschichte ist das GILGAMESCH-Epos, fast 4000 Jahre ist es alt. Es erzählt von Gilgamensch, dem tyrannischen Herrscher von Uruk, der sich auf die Suche nach Unsterblichkeit macht, auf seiner Reise jedoch keine Unsterblichkeit findet, sondern Weisheit erlangt und als gütiger Herrscher nach Uruk zurückkehrt.

Das ist natürlich eine geradezu unzulässige Superkurzzusammenfassung des Epos´. Aber es ist eine Geschichte, die wir heute im Grunde noch genauso erzählen: Jemand begibt sich auf eine Reise – das muss keine körperliche, sondern kann auch eine emotionale, mentale oder seelische seine –, auf der er Konflikte durchlebt, die ihn verändern. Am Ende der Geschichte ist er ein anderer Mensch geworden. Er ist ganz geworden. Er ist heil geworden. Geschichten erzählen von einer Heilung, einer Ganzwerdung. Die Hauptfigur ist am Anfang der Geschichte nicht im Zustand der Ganzheit, ihr fehlt etwas, sie ist verwundet, am Körper, im Geist, im Herzen, in der Seele, im Laufe der Geschichte heilt sie diese Wunde und ist am Ende wieder im ursprünglichen Seins-Zustand der Ganzheit.

Geschichten erzählen von der Heilung einer verletzten Figur.

In Little Miss Sunshine ist die Familie – es handelt sich hier um einen Plural-Protagonisten – anfangs am Arsch, es gibt keinen Zusammenhalt, Vertrauen und Liebe fehlen (die Herzfunktion ist also zerstört), am Ende ist sie wieder eine Einheit geworden, die Familienmitglieder unterstützen sich. In American Beauty ist ebenfalls das Herz des Protagonisten zerstört – er hasst seine Frau und hat den Kontakt und die Liebe zu seiner Tochter verloren -, zusätzlich ist seine Seele stark in Mitleidenschaft gezogen, er ist seiner Lebendigkeit und Authentizität beraubt. Am Ende hat er seine Vaterliebe wieder gefunden und erst sie macht ihn glücklich (wenn auch nicht lange), nicht sein Jugendwahn, sein durchtrainierter Körper, seine Drogen und sein Traumauto. Cahit ist in Gegen die Wand am Anfang ein Wrack, alkoholabhängig, depressiv, ohne Kontakt zu seinen Wurzeln, am Ende hat er sich um 180 Grad gedreht: Er trinkt nicht mehr, hat sich wieder seiner Religion zugewandt und seinen Frieden mit sich geschlossen.

Was ist mit den Geschichten, die keine Charakterentwicklung erzählen? Action, Horror beispielsweise, wobei auch hier meistens Charakterentwicklungen erzählt werden, wenn auch nur kleine, und auch wenn sie nicht der Zweck der Erzählung sind, der Grund der Filmemacher, diese Geschichte zu erzählen. Sie mögen kommerziell erfolgreich sein, aber es ist schade um die viele kreative Energie und die Unmenge an Lebensenergie, die die Beteiligten damit verschleudert haben.

Sie machen den Bock zum Gärtner, das Mittel zum Zweck, indem sie lediglich unterhalten, und das riesige Potenzial, das Geschichten haben, ungenutzt lassen: Wissen vermitteln, Traditionen bewahren, soziale Identitäten und damit Zugehörigkeit stiften, soziale Gemeinschaften konstituieren und zusammenhalten (man denke nur an die religiösen Schriften), Orientierung im Leben geben und so weiter. Das sind die Gründe, warum Geschichten erzählt werden. Unterhaltung ist nur ein Mittel, zweifelsohne ein notwendiges und ein klasse Mittel, aber eben nur ein Mittel. Die Zwecke einer Geschichte werden über die Charakterentwicklung eingelöst. Indem wir sehen, wie die Hauptfigur sich verändert, lernen wir etwas über das Menschsein, fühlen uns zugehörig, überdenken Verhaltensweisen, revidieren Wertesysteme, wissen wir, wer wir sind.

Wie sollen wir handeln? Wie leben wir richtig? Wie werden wir glücklich?

Der Ausganspunkt oder zumindest eine sehr frühe Frage, die man sich in der Stoffentwicklung stellen muss, ist also die nach der Charakterentwicklung der Figur. Damit hat man dann im Grunde automatisch die Aussage der Geschichte, die letzten Endes immer eine Antwort auf die Fragen ist: Wie sollen wir handeln? Wie leben wir richtig? Wie werden wir glücklich?

Wie erzählt man nun eine Charakterentwicklung? Wann verändern wir uns? Nicht, solange wir ungestört in unseren Komfortzonen hängen und alles irgendwie im Gleichgewicht ist und mehr oder weniger läuft. Wir verändern uns durch Konflikte, durch Konflikte, die wir so wie wir sind, also mit unserer aktuellen psychologischen, charakterlichen Disposition, nicht lösen können, die wir nur lösen können, wenn wir uns verändern.

Figuren verändern sich durch Konflikte, die sie mit ihrer gewohnten Verhaltensweise nicht lösen können.

Wenn das Zentrum einer guten Geschichte eine Charakterentwicklung ist, dann ist das Zentrum einer Charakterentwicklung ein Konflikt, der die Figur zwingt, sich zu verändern. Der die Figur, wenn sie ihn löst, ganz, heil, glücklich werden lässt.