„Immer auf Papier“

Fiktionen spinnen, neue Wirklichkeiten entwerfen, Film schreiben – das Entstehungsmoment von guten Geschichten bleibt ein Mysterium. Für interfilm erzählen junge Drehbuchautor*innen wann, wie und wo sie schreiben – und geben kurze, aber erfrischende Einblicke in eines der individuellsten Arbeitsfelder.

Dies ist ein Gastbeitrag von Nele Luise Fritzsche, seit 2013 Leiterin des internationalen Drehbuchwettbewerbs Script Pitch und Ko-Gründerin des Script Labs, das im Rahmen des 32. Internationalen Kurzfilmfestivals interfilm Berlin stattfindet. Nele arbeitet als freie Kuratorin und Programmgestalterin.

Acht Autor*innen aus Jordanien, Schweden, dem Libanon, Deutschland, Italien, Bulgarien und Madagaskar reisen mitsamt ihrer Skripte nach Berlin um sich in einer intensiven Woche gemeinsam mit Dramaturginnen, Drehbuchberaterinnen und Schauspielerinnen ihren Drehbuchentwürfen zu widmen. Die Finalisten des Script Pitch Programms werden im Rahmen des interforums zum vierten Mal dazu eingeladen, während des Festivals an ihren Ideen zu arbeiten und sie abschließend auf der Bühne des Grünen Salons der Volksbühne zu präsentieren.

Wenn Autor*innen aus so unterschiedlichen Teilen der Erde aufeinander treffen, scheint es umso eindrucksvoller, wie sie beim Schreiben zusammenkommen. Die diesjährige Auswahl wird durch die omnipräsente Frage nach dem Zusammenspiel von Realität und Fiktion geprägt. Wie umgarnen die Fäden fiktionaler Erzählung die Wirklichkeit? In diesem Spannungsfeld entwickeln die Autor*innen neue Welten, erschaffen neue Wirklichkeiten. Realität wird überzeichnet, wenn „Magic Shields“ vor der Brutalität des Kriegsalltags schützen, die pure männliche Wut zu Futtermittel wird oder Schafs-Menschen Choreographien tanzen.

Wie entstehen diese Geschichten? Wie pflanzt man den Keim?

©RAND BEIRUTY – HOW DO YOU WRITE?
©RAND BEIRUTY – HOW DO YOU WRITE?

Writing is for me a process of observation. This is why I would say I capture moments and I collect them. Afterwards comes the actual work – putting everything in order.
Klara Stoyanova, Bulgarien

Dem wachsenden Archiv eines Fotografen ähnelnd, sammelt Klara Stoyanova (Bulgarien) Momente, die sie später miteinander in Beziehung setzt.

Auch Patrick Eriksson (Schweden) skizziert das Schreiben als langsames Ausloten von Themen und Motiven, die durch wiederholendes Puzzeln zu Geschichten wachsen: „I write very slowly. I try to write scenes, situations or images with no particular purpose, other than revolving around the theme or setting of the story. Later I organize things trying out different orders, giving the string of scenes a meaning as a whole. I try to get writing done during the first half of the day, before taking care of mundane things.“

Im Gegensatz zu Erikssons Versuch morgens mit freiem Kopf zu schreiben, schreibt sich Hussen Ibraheem (Libanon) den Kopf frei. „I always start writing late at night because I get the whole day experience in my head. And for me writing them down clears my mind for the next coming day, besides it is much calmer to write at night. I usually write twice or three times a week.“

©RAND BEIRUTY – HOW DO YOU START YOUR DAY?
©RAND BEIRUTY – HOW DO YOU START YOUR DAY?

Auch den Beginn einer Geschichte setzt Ibraheem auf eine gänzlich andere Art: „My process of writing is directly starting with the script or the dialogues even before the story itself.“ Auf diese Weise lassen Dialoge im Drehbuch Personen, Momente, Welten entstehen noch bevor diese vielleicht gänzlich skizziert sind. Johanna Rottenmaier (Deutschland) beschreibt unabhängig davon wann sie schreibt, den Drang regelmäßig und so viel wie möglich zu schreiben.

As an artist I’m very disciplined and utilize every time slot I can grab, whenever and wherever it’s possible. Maybe this doesn’t sound very artistic-romantic, but for me it’s very effective and satisfying. Most of the time.
Johanna Rottenmaier, Deutschland

Auch Giovanni Rubino (Italien) schreibt viel und überall, geht jedoch zudem auf die Rahmenbedingungen und äußeren Umstände ein, die das Schreiben maßgeblich prägen: „(I write) wherever, whenever and however the piece at hand requires me to approach it. As long as lots of planning is involved. My last project, for example, was outlined on a door and written in an airport.“

Beobachten, Recherchieren, Entwerfen und Entwickeln sind beim Schreiben eng miteinander verwoben. Besonders deutlich wird das in Rubinos Antwort auf die Frage, welches Geschichte er in 24 Stunden entwickeln würde:

God, hopefully I‘ll never have to. I‘d have to ditch the whole research process and focus on what I have direct experience with. Which would make for a terrifyingly personal piece. WAITING is probably the closer I‘ve ever been to it, having written the first draft on a plane in a couple of hours, but loads of ‚perspiration‘ went into it since.
Giovanni Rubino, Italien

Rottenmaier kontert die Frage mit: „First you give me the 24 hours – then I tell you what I will write.“

©RAND BEIRUTY – 24 H?
©RAND BEIRUTY – 24 H?

Die Drehbücher, an denen die Autor*innen im Script Pitch arbeiten hatten deutlich mehr als 24 Stunden Entwicklungszeit. Ob Beobachtungen, fiktive Dialoge oder persönliche Erlebnisse den Kern der Geschichte bilden – es gibt eine Gemeinsamkeit der acht finalen Bücher. In feinen Mikrokosmen nähern sich die Geschichten eigenen Wirklichkeiten an, die nicht selten verwundern, überraschen, provozieren.

Die endlose Suche nach dem verschollenen Vater, die von Schweden bis nach Beirut im Libanon führt, die mystische Verwünschung des Mannes an sich am einsamen Seeufer, die sterile Abwicklung vom Ankauf von Menschenleben einer internationalen Organisation – durch starke Atmosphären und eindrucksvolle filmische Bilder nutzen die Autor*innen Absurdität, Provokation und Fantasie, um in ihren Geschichten Fiktion und Realität zu verflechten.

Alle Interviews in voller Länge gibt es hier.

Am Freitag, 18. November 2016 präsentieren Rand Beiruty, Patrik Eriksson, Hussen Ibraheem, Johanna Rottenmaier, Giovanni Rubino, Klara Stoyanova Annette Seipp und Firoza Zaire Houssen von 11:00 Uhr bis 13:00 Uhr ihre Drehbuchideen in einem Story-Pitch. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung unter interforum@interfilm.de wird gebeten. 

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