Star Wars: Die Radikalisierung des Anakin S.

Die Radikalisierung junger Männer gehört zu den drängenden Problemen unserer Zeit und wir fragen uns immer wieder, wie es dazu kommt. Dabei müssen wir – wie so oft – eigentlich nur Star Wars aufmerksam schauen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf meinem Blog Charakter-Neurosen, für den ich populäre Film- und Serienfiguren auf die Psychoanalyse-Couch bitte. Zum Thema Radikalisierung erscheint dieses Wochenende auf filmschreiben auch ein Interview mit mir (hier gehts zur bereits veröffentlichten Kurzfassung).

Der junge Anakin Skywalker wächst als Kind einer alleinerziehenden Mutter auf, die Vaterschaft ist ungeklärt. Da er nichts anderes kennt, erlebt er die Sklaverei in der er lebt als nicht weiter bedrückend und nutzt die Spielräume, die ihm seine Kreativität und Intelligenz eröffnen, im Rahmen des möglichen weidlich aus, um sich und seine Freunde zu unterhalten. Man mag annehmen, dass einem Jungen von seinen Begabungen die Zwänge der Sklaverei irgendwann bewusst und zu eng geworden wären – zum Zeitpunkt des Eintreffens von Qui-Gon Jinn ist davon jedoch noch nichts zu spüren.

Dieser Qui-Gon Jinn ist nun ein außerordentlich überzeugter und spiritueller Jedi. Glaubt er doch an eine alte Prophezeiung, die selbst innerhalb des Ordens umstritten ist, nach der ein Auserwählter die Macht ins Gleichgewicht bringen wird. Diesen Auserwählten meint er in Anakin gefunden zu haben. Zumindest dürfte ihm klar sein, dass Anakin – Prophezeiung hin oder her – das Potential zu einem mächtigen Krieger hat, welchen auf die eigene Seite zu ziehen, von Vorteil sein sollte.

Die Entschiedenheit, mit der Qui-Gon den jungen Anakin aus seinem alten Leben heraus und in die Ausbildung als Jedi hinein holt, zeigt ein wesentliches, nicht unproblematisches Charakteristikum der Jedi: Sie sind vorbehaltlos davon überzeugt, auf der einzig richtigen Seite zu stehen. Zugegebenermaßen mit guten Argumenten: Demokratie, Genügsamkeit, Kontemplation sind ehrbare Prinzipien. Dennoch: Qui-Gon übersieht völlig, in welchen inneren Konflikt er Anakin stürzt, der sich, folgt er dem Ruf des mächtigen Jedi – und damit der vermeintlichen Selbstverwirklichung – von seiner Mutter, der bis dahin wichtigsten, ja einzigen Bezugsperson in seinem Leben trennen muss. Die Halbherzigkeit des Versuchs, auch die Mutter zu befreien, lässt angesichts der eigentlich Macht Qui-Gons, den Schluss zu, dass es sogar sein eigentliches Ziel ist, den Jungen von seinen weltlichen Bindungen loszureißen um ihn ganz und gar seiner religiösen Bestimmung zuzuführen.
Von den selbstgefälligen Eliten beschämt und herabgewürdigt.
Es ist der erste Punkt in Anakins Entwicklung, an dem er von seinen Meistern kein Verständnis für seine Gefühle und seinen Wunsch nach liebevoller Bindung erfährt. Weitere werden folgen. Obi-Wan, Windu und Yoda geben Anakin immer wieder zu verstehen, dass seine Angst um seine Mutter, sein Wunsch diese zu retten, seine Liebe zu Padme, seine Sorge um diese und ihre Kinder, seine existenzielle Angst davor, ein zweites Mal die wichtigste Person in seinem Leben zu verlieren, unreif, falsch und verwerflich seien.

Dies ist das Versagen der Jedi. Und für uns die erste Lektion über Radikalisierung:

Natürlich ist es die Pflicht, gut ausgebildeter, saturierter und gesellschaftlich hoch angesehener Eliten (wie der Jedi), edle Werte und hohe moralische Ansprüche zu vertreten. Geschieht dies jedoch ohne Verständnis und Respekt für zutiefst menschliche Gefühle, Ängste und innere Konflikte (wie sie nicht nur den jungen, entwurzelten Anakin plagen), bleiben zu viele mit dem Gefühl allein, in diesem Wertesystem keine Heimat zu haben, von den selbstgefälligen Eliten beschämt und herabgewürdigt zu werden.
Die Jedi machen es dem Verführer Palpatine leicht.
Damit machen es die Jedi dem Verführer Palpatine allzu leicht. Als erste Autoritätsperson gibt er Anakin das Gefühl, dass seine Emotionen legitim sind, dass er sie gar verstehen könne und Anakin sich dieser nicht zu schämen brauche. Der zweite Schritt der Verführung Anakins für Palpatines Zwecke ist, dass er ihm eine vermeintliche, in Wahrheit aber unrealistische, Lösung für seinen inneren Konflikt anbietet. Auf der dunklen Seite könne er beides haben: Macht, Ansehen und Selbstverwirklichung sowie den Schutz seiner großen Liebe – selbst über den Tod hinaus. Das klingt wunderbar und Anakin, der seine Angst und auch seinen Stolz so lange beschämt verbergen musste, saugt jedes Wort auf.

Dies ist die wahre Macht der dunklen Seite. Und für uns die zweite Lektion über Radikalisierung:

Wenn die helle Seite, die für Demokratie und Menschenrechte eintritt, die Ängstlichen und innerlich Zerrissenen nicht wahrhaft annehmen, sondern nur umerziehen will, treibt sie diese der dunklen Seite mit ihren vereinfachenden Antworten direkt in die Arme.
Vader ist kein böser Mensch.
So einfach ist das. Aber man muss es immer wieder sagen: Darth Vader ist kein böser Mensch. Er ist einfach nur ein Mensch. Er möchte geliebt werden und verbunden sein. Erst mit seiner Mutter, dann mit seiner Frau, schließlich mit seinem Sohn. Das Entscheidende an seinem Wunsch gemeinsam über die Galaxis zu herrschen, wie er ihn fast wortgleich sowohl Padme (Episode III) als auch Luke (Episode V) offenbart, ist die Gemeinsamkeit, nicht das Herrschen. Darum entscheidet er sich als junger Jedi für die dunkle Seite. Und darum wendet er sich schließlich gegen sie für einen letzten friedlichen Moment mit seinem Sohn.

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