Dies ist ein Gastbeitrag von Robert Hummel, Krimi- und Thriller-Autor für Film, Fernsehen, Bühne, Radio. Die Szene mit dem Titel „Ich stell‘ mal eine ketzerische Frage“ war Keynote der Podiumsdiskussion »Zu Gast auf der FSE: Der Verband Deutscher Drehbuchautoren. Kommunikation in der Stoffentwicklung« (Besprechung hier) auf FilmStoffEntwicklung, dem diesjährigen Tag der Dramaturgie. Vielen Dank!
Konferenzraum Innen/Tag
Auf dem Tisch: Kekse, Wasser, Kaffee und ein Telefon. Der AUTOR (Mitte 40, blass, Rundrücken) kommt mit der DRAMATURGIN (Ende 20, wunderschön, Brille) herein.
Dramaturgin
Oder „True Detective“… So was mal in Deutschland…!
Autor
Hab ich versucht. Der Sender sagte: Wenn es in Schweden spielen würde, ja – aber im Schwarzwald?
Die PRODUZENTIN (Ende 40, elegant) kommt herein.
Produzentin
So nun kann’s losgehen. Alles gut?
Bevor der Autor antworten kann, erscheint der REGISSEUR, 50, Basecap.
Regisseur
Servus! Sie sind der Autor?
Der Autor nickt und schaut den Regisseur erwartungsvoll an.
Regisseur
Ah-ja.
Produzentin
Auf geht’s.
Die Dramaturgin stellt die telefonische Verbindung zur Redaktion her, die Redakteurin meldet sich über den Lautsprecher des Telefons.
Redakteurin (per Telefon)
Hallo, Ihr Lieben!
Allgemeines Begrüßungsgemurmel.
Redakteurin
Das ist so schade, dass ich nicht bei euch sein kann! Aber egal. Gehen wir doch gleich in medias res: Der Titel. Wir haben den Titel in der MaFo getestet. ABGRUND HAMBURG… ich finds ja immer noch ganz großartig, aber in der MaFo kam er nicht so gut an. Zu düster.
Produzentin
Da finden wir sicher was Helleres. Ähm… was sagst du zur ersten Fassung des Pilotbuchs?
Redakteurin
Fangt ihr doch heute mal an!
Produzentin
Ähm, ja…. (zur Dramaturgin) Dorothea?
Die Dramaturgin ist überrumpelt, schaut hektisch in ihre Notizen.
Dramaturgin
Ja, also, ich, ähm… Want & Need unserer Heldin sind noch unklar. Die Wendepunkte finde ich nicht sehr prägnant, und ich habe auch nicht erkannt, wo die Weigerung der Heldin ist.
Regisseur
Was für eine Weigerung?
Dramaturgin
Im Modell der „Heldenreise“ ist die Weigerung der Schritt vor der Begegnung mit dem Mentor.
Autor
Moment! Unsere Heldin ist Kriminalkommissarin, warum sollte sie sich weigern zu ermitteln?
Dramaturgin
Wenn ihr „Need“ vielleicht wäre, dass sie, ähm…
Produzentin
Reden wir doch erst mal über die Big Points… Ich bin eigentlich ganz d’accord, nur die Hafenszene….
Regisseur
Die Hafenszene ist die einzige, die genauso bleiben kann!
Der Autor schluckt.
Regisseur
Kennt ihr HEAT von Michael Mann? Wenn Pacino mit seinen Jungs da steht und deNiro beobachtet ihn von oben? Sowas mach ich, aber besser! Mit ner Drohne! Ich fang über dem Hafen an, Hammer-Totale, wir fliegen über die Kräne, dann runter, zwischen den Containerstapeln durch – und peng! bin ich close auf dem Gesicht. Kino im Fernsehen! Geil!
Produzentin
Weißt du, was dieser Drehtag im Hafen kostet?
Redakteurin
Ich hatte das größte Problem mit dem Antagonisten. Der Anschlag auf die Elbphilharmonie, das ist schon sehr extrem.
Autor
Soll es doch auch sein!
Redakteurin
All die Konzertbesucher… Also ich würde das nicht tun.
Autor
Natürlich nicht! Weil du eine glücklich verheiratete Frau bist und kein einsamer Ex-Elitesoldat, der seine Familie verloren hat!
Dramaturgin
Wenn wir vielleicht mehr aus der Backstory über sein Need erfahren würden?
Regisseur
Ich will da nicht irgendwelche Erklärbär-Dialoge, ich mache kein Bügelfernsehen!
Autor
Ich hab es genauso geschrieben wie im Treatment und da fanden es alle –
Redakteurin
Das stimmt, aber unser Programmdirektor meint, wir müssen aufpassen, dass wir unsere Zuschauer da nicht zu sehr verschrecken.
Autor
Aber diese Übervorsicht ist doch genau der Grund, warum uns nur noch Leute über 60 zusehen! Wenn wir nach Amerika schauen –
Produzentin
Thomas, jetzt nicht wieder die Grundsatzrede, dass Autoren mehr Macht brauchen!
Redakteurin
Was ich noch sagen wollte: Der Sendeplatz! Da gibt es eine kleine Unsicherheit: Wir wollen das ja eigentlich am Donnerstag in der Late Prime Time zeigen.
Produzentin
22:15, nach MORD IN BERLIN.
Redakteurin
Genau. Aber es könnte auch sein, dass wir auf die Access-Prime-Time am Dienstag gehen.
Regisseur
Access Prime Time?
Redakteurin
Vor der Prime Time.
Regisseur
Vorabend???
Redakteurin
Um Gottes Willen! 19 Uhr 30. Als Lead in für „KINDER, KÜCHE, KIRCHE“.
Autor
Diese Comedy mit der Pfarrerin?
Redakteurin
Dramedy! Aber das ist aber noch nicht entschieden. Ich sag euch Programmplanung… das wollt ihr nicht wissen!
Das I-Phone des Regisseurs summt. Der Regisseur schaut aufs Display und geht hinaus um zu telefonieren.
Redakteurin
Ich stelle mal eine ketzerische Frage –
Der Autor schluckt –
Redakteurin
Könnten wir ABGRUND HAMBURG – oder wie auch immer – weniger düster und mehr, ich sag mal komödiantisch erzählen?
Der Autor schaut die Produzentin entgeistert an.
Redakteurin
Komödiantisch nicht im Sinne von Schenkelklopfen, sondern im Sinne von… ich sag mal… RIZZOLI AND ISLES: Alltag, Beziehungsprobleme… also nicht Probleme im Sinne von Probleme, sondern im Sinne von Humor!
Dramaturgin
Vielleicht gibt es eine Unresolved Sexual Tension innerhalb unseres Teams?
Redakteurin
Ja, es muss ja nicht Sexual im Sinne von Sexual sein, sondern im Sinne von –
Autor
Also tut mir leid, aber –
Der Autor stockt, weil die Produzentin hektisch mit den Händen wedelt –
Autor
Ähm –
Redakteurin
Was?
Die Produzentin macht ein bittendes Gesicht zum Autor –
Autor
Gut, ich werde mal sehen…
Dramaturgin
Womit wir allerdings eine weitere Horizontale hätten?!
Redakteurin
Oh ja. – Mhm. – Also dann nur ganz klein!
Produzentin
Wie siehts denn mit der Besetzung aus?
Redakteurin
Unser Programmdirektor hätte für den Antagonisten gern Elyas M’Barek.
Der Autor schaut entgeistert.
Produzentin
Ja… Macht der denn überhaupt Fernsehen?
Redakteurin
Och… Wenn das Buch gut ist?! Was sagt unser Regisseur dazu?
Produzentin
Der ist… gerade kurz draußen.
Die Produzentin bedeutet der Dramaturgin gestisch, den Regisseur reinzuholen. Die Dramaturgin huscht hinaus.
Produzentin
Aber ich glaube, er findet das ganz okay.
Autor
Moment! Aber der Antagonist ist 50 und das muss er auch sein, wegen seiner Stasi-Backstory und –
Redakteurin
Achso, Stasi finde ich sowieso irgendwie….
Die Dramaturgin kommt wieder herein, ohne den Regisseur.
Autor
Aber die Stasi-Backstory hatten wir doch ausführlich besprochen?
Redakteurin
Ja, aber es gab schon WEISSENSEE und bald kommt DEUTSCHLAND 86… lasst uns das einfach noch mal ganz neu denken!
Produzentin
Du, immer gerne! Nur: Elyas M’Barek… Ich weiß nicht, ob unser Budget…
Autor
Moment, also selbst wenn, und selbst wenn ich die Rolle jünger mache – das ist ein traumatisierter Killer! Das passt doch gar nicht zu Elyas M’Barek!
Redakteurin
Zur Not nehmen wir Fahri Yardim!
Der Regisseur ist hereingekommen, hat das Letzte gehört.
Regisseur
Mit Fahri bin ich mal geflogen, super Typ!
Dramaturgin
Also, ich find den auch ganz süß, so…
Redakteurin
Gut, Ihr Lieben, dann machen wir das so. Fein! Ich freu mich auf die nächste Fassung! In einer Woche?
Der Autor schüttelt entsetzt den Kopf, die Produzentin sieht ihn flehend an.
Autor
Ich… kanns versuchen.
Die Produzentin lächelt erleichtert.
Redakteurin
Super, Danke euch für das schöne Gespräch, Tschü-hüs!
Alle atmen kurz durch. Aber dann hören sie die Stimme der…
Redakteurin
Herr-gott…
Alle schauen auf das Telefon. Offenbar hat die Redakteurin vergessen aufzulegen.
Redakteurin
Wenn das schief geht, lande ich wieder im Vorabend.
Die Produzentin beendet die Verbindung.
Autor
(zur Produzentin) Wieso sollte ich denn eben nichts sagen?
Produzentin
Unter uns: ich hab noch zwei Neunziger bei der Redaktion liegen, die noch kein grünes Licht haben, du verstehst?
Der Regisseur erhebt sich.
Regisseur
Ich muss. Mein Flieger.
Produzentin
Du hast weiter keine Anmerkungen?
Regisseur
Hauptsache visuell! Den Rest mache ich in der Regiefassung!
Der Autor schluckt. Der Regisseur geht hinaus.
Produzentin
Fein, dann ist ja alles klar: Hafen raus, Elyas rein. Stasi vielleicht, aber nicht wie in WEISSENSEE, Sexual Tension, aber nicht zu sexual, Horizontale ja, aber nur klein.
Der Autor schluckt.
Produzentin
Das wird gut, Thomas! Die großen Bögen sind jetzt klar, und wenn du Fragen hast, rufst du Dorothea an!
Die Produzentin rauscht hinaus. Die Dramaturgin schaut den Autor aufmunternd an.
Dramaturgin
Wollen wir noch mal über Want und Need der Heldin reden?
Ich habe mich köstlich amüsiert, musste dauernd lachen – obwohl das ja wirklich sehr traurig ist. Vor allem für den Autor! Es ist zwar satirisch überspitzt, aber alles, was da vorkommt habe ich nicht in der Summe, aber in Details in 40 Jahren Dramaturgen-Tätigkeit erlebt, alles! Was mir natürlich nicht gefallen kann ist, dass diese Dramaturgin so dooof ist. Andererseits, dass es überhaupt eine gibt, meistens machen das doch die Redakteure mit, oder hat sich das inzwischen verändert? Und die mächtigen Lektoren sitzen ja nicht mit am Tisch…
Seht ihr – und genau deswegen schaue ich keine deutschen Produktionen!
Sorry, aber ihr versaut es euch selber
Hervorragend. Vielen Dank, Robert.
Herrlich traurig! So etwas wie ein komischer Alptraum. Das habe ich letztes Jahr in einem Essay ganz ähnlich fiktiv zusammengefasst, obwohl ich gar nicht den Erfahrungshintergrund habe. Aber was Hummels schreibt, bestätigt meine Karikatur noch einmal: „Das [ein Drehbuchautor] ist in Deutschland, wo Regisseure und Redakteure das Filmbusiness beherrschen, nichts anderes als ein Story-Drive-In, wo der Autor den Regisseur/Redakteur an der Ausgabe freundlich fragen darf: »Was darf ›Story-to-Go‹ Ihnen heute anbieten?«. Eine prototypisch unwirsche Antwort könnte etwa so lauten: »Etwas mit Pferden. Und einer Frau. Nicht älter als 40 und nicht jünger als 30. Irgendwas mit Geld, aber ohne Geschäftssinn, Zahnärztin vielleicht. Ach ja, und in Süddeutschland, Bodensee oder so.« »Mit einem Mord?« »Was für eine blöde Frage. Natürlich Mord!» Die Gereiztheit des Regisseurs kommt auch daher, dass er sowieso alles noch umschreiben muss, weil er ja der bessere Autor ist. “ http://genrefilm.net/deutsches-genre-sucht-hollywood/
lovely
Wie willst du denn dann feststellen, wenn „wir“ es besser machen?
Eine Frage: Warum erschießt er sich nicht, der Kerl. (Ich meine damit den Autor.)
Aber Moment mal und Entschuldigung: Hat diesen Satz nicht eine bekannte Persönlichkeit längst schon vor mir gesagt?
Mit besten Grüßen aus Rosenheim
Horst Berger
Großartig :-)
Haha… Auf den Punkt! Wenn nicht so traurig wäre…
DAS sollte mal verfilmt werden.
Erinnert an die Redaktionsbesprechungen in Schtonk!