Evolution des Helden: The Heroine’s Journey

Der klassische Held der Filmdramaturgie ist nicht mehr das, was er mal war. Ein Held ist er immer noch, doch folgt er nicht mehr konsequent den klassischen Verhaltensregeln wie noch in Filmen der 50er und sogar 80er Jahre. Wenn wir uns moderne Beispiele wie Tribute von Panem, Grüße aus Fukushima oder Toni Erdmann ansehen, müssen wir feststellen, dass die Kategorien, nach denen ein Held (oder eine Heldin) handelt und sich entwickelt, sich verschoben haben, weichgezeichnet sind in der Perspektivveränderung der Moderne.

Trotzdem ist die Heldenreise, der Hero’s Journey oder Monomythos nach Joseph Campbell, den wir aus seinem Werk The Hero with a Thousand Facesund aus Christopher Voglers The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers kennen, noch immer Status Quo, wenn es um die Definition des Helden geht.

Neue Helden braucht das Land: Meet the Heroine

Umso interessanter, dass Keith Cunningham und Tom Schlesinger mit ihrer Adaption der Heldenreise, die sie The Heroine’s Journey nennen, das altbekannte dramaturgische Prinzip auf eine neue Entwicklungsstufe heben – aufbauend übrigens auf früheren Konzepten der weiblichen Heldenreise u.a. nach Maureen Murdoch. Worin aber besteht die Entwicklung im Vergleich zur klassischen, „männlichen“ Dramaturgie, und ist die „neue“ Heldenreise wirklich geschlechtsspezifisch weiblich, lässt sich allein auf Frauenfiguren anwenden?

Die Antwort ist „Nein“. Es geht nicht darum, eine Heldenreise zu kreieren, die ausschließlich auf weibliche Helden passt, vielmehr steht die Art der Heldenreise, also der Entwicklung, die der Held oder die Heldin im Laufe seiner Geschichte durchmacht, im Mittelpunkt. Schließlich beobachten wir heute weibliche Helden, die im Sinne der klassischen Heldenreise einen eher „männlichen“ Weg gehen, z.B. Katniss Everdeen (Tribute von Panem), die aber bei aller Weiblichkeit im Grunde durch für Frauen eher untypische Merkmale wie Furchtlosigkeit und großen Mut gekennzeichnet ist.

Während sie nach außen stark sein muss, um in einer feindlich gesinnten Welt zu überleben, durchleben andere moderne Helden und Heldinnen eine eher „weibliche“ Reise, die sie in ihr Innerstes führt. Das ist z.B. Marie in Grüße aus Fukushima, deren Leben dank zerplatzter Lebensträume aus Sorgen, Fragen und Unsicherheiten besteht.

Worin unterscheidet sich die Heroine’s Journey vom Klassiker?

Der hauptsächliche Unterschied, der heute den weiblichen Helden vom männlichen abgrenzt, ist die zentrale Frage der Heroine’s Journey: „Wohin gehöre ich?“ und „Wie kann mein inneres Selbst aus meiner Reise entstehen?“ Beide Modelle sind sich von ihrer Struktur her zunächst ähnlich, wollen aber etwas anderes. Während der männliche Held, überspitzt gesagt, am Ende den Feind besiegt und die Welt rettet, findet der weibliche Held als Folge einer als spirituell zu begreifenden Reise zu sich selbst.

Ausgehend von einer männlich konnotierten Rolle, die weibliche Helden in der von Männern dominierten Welt einnehmen müssen, werden dabei maskuline Attribute in die weibliche Heldenreise integriert und gelangen sozusagen zu einer Synthese. So geht es auch Marie: Um wieder leben zu können, muss sie erst mal über ihren Schatten springen und unbekanntes Terrain erklimmen, muss sich dann aber, anstatt in männliche Klischees zu verfallen und „die Welt zu retten“, auf eine Reise zu sich selbst begeben. Dabei wird sie geführt von einer Mentorenfigur (auch da zeigt die Heroine’s Journey eine Parallele zur klassischen Heldenreise), die sie wieder ins Gleichgewicht bringt.

Wie auch die klassische Heldenreise ist die weibliche Reise als Kreislauf angelegt. Dabei spielen die äußere (engl. Day World) und die innere Welt (engl. Night World) eine wichtige Rolle. Als Frau müssen weibliche Helden in der äußeren Welt ihre maskulinen Attribute ausleben, um gegen die männlich dominierte Welt bestehen zu können. Obwohl die männliche Seite essenziell ist, um dort zu überleben, führt aber gerade diese äußerliche Stärke zu einer innerlichen Leere – und an dieser Stelle, in diesem scheinbar unauflösbaren Dilemma beginnt die eigentliche Heroine’s Journey:

  • die männliche Seite/Stärke, die die Heldin in der äußeren Welt auslebt, entfremdet sie von ihrer eigenen Weiblichkeit (bei Cunningham/Schlesinger auch als das Göttliche bezeichnet)
  • in der Folge wird die Energie der Heldin unterdrückt und führt zu Wut
  • diese Wut, von der die Heroine’s Journey ausgeht, muss im Laufe der Heldenreise geheilt werden
  • um die Weiblichkeit wiederzufinden, muss die Heldin die Tagwelt/Day World verlassen und sich auf eine Reise in die Nacht begeben, die für ihr Inneres steht
  • in dieser inneren Welt begegnet die Heldin der Göttin bzw. ihrem inneren Selbst
  • die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst führt zur Wiedergeburt – dabei stirbt auf einer inneren Ebene, wer die Heldin glaubte zu sein, und macht Platz für das eigentliche Selbst

Am Ende der Reise steht also ein inneres Wachsen, das zum Wiederfinden des eigenen Selbst bzw. zur Wiedervereinigung mit diesem führt. Als Startpunkt der Heroine’s Journey begreifen wir den Schmerz, der aus der Entfremdung entsteht, bzw. aus dem Begreifen dieser Entfremdung. Auf einer spirituellen Reise in das Innere unserer Figuren erfahren wir mit Ihnen, woher der Schmerz kommt und wie wir die Heldin heilen können.

Bedeutet Heroine’s Journey eine Rückkehr zur Realität und echten Beziehungen?

Auch der männliche Held der klassischen Heldenreise macht eine Entwicklung durch. Die wirklich spirituelle Reise ins Innere ist aber die Heroine’s Journey, und diese ist sowohl auf männliche als auch weibliche moderne Helden anwendbar.

Die Aufgabe, der wir uns als Autoren stellen müssen, liegt darin, eine Geschichte zu kreieren, deren Fokus auf der Frage liegt: WO GEHÖREN WIR HIN? Um diese gesellschaftlich essenzielle Frage mit einem Script beantworten zu können, müssen wir fort von Heldenutopien und wieder näher an reale Geschichten und Beziehungen heran. Stellt sich die Frage: Welche sind die grundlegenden Qualitäten, die der modernen Gesellschaft fehlen und die wir als Autoren in eine Geschichte einbauen können?

Im Zentrum aller Geschichten, die sich für die Heroine’s Journey eignen, stehen folglich die Qualitäten zwischenmenschlicher Beziehungen. Indem wir die Gesellschaft als Makro-Familie begreifen, müssen wir herausfinden, was diese „Familie“ braucht, um weiterhin bestehen zu können. Der Fokus der Figurenmotivation muss sich also verlagern: Weg vom Heldenepos, in dem wir den sprichwörtlichen Drachen töten müssen, um zu überleben, hin zu einem Überleben innerhalb der Familie/Gemeinschaft/Gesellschaft.

 

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