Planting und Payoff: Lose Enden zusammenführen, ohne sich dabei zu verknoten

Wir nähern uns langsam dem Ende unserer Drehbucharbeit. Der Plot steht, die Figuren verfolgen ihre Ziele, Antagonisten stehen Protagonisten im Weg. Spätestens wenn wir den Midpoint unserer Handlung überwunden haben, ist es an der Zeit, alle offenen Fragen im Blick zu haben und in die Handlung einzuweben.

Vielleicht haben wir im ersten Akt kunstvoll Rätsel eingebaut, unsere Figuren überraschende Dinge tun lassen, die sich aus der Figur selbst noch nicht erklären lassen. Im Englischen nennt man das „Planting“: Einfach übersetzt, säen wir Informationsstückchen aus, die wir später noch einmal brauchen werden.

Aber wehe, wir vergessen auf der Zielgeraden eines dieser wertvollen Samenkörnchen: Wer sät, muss auch ernten, und das tun wir im Drehbuch mit dem sogenannten „Payoff“ (dt. Abrechnung). Als Payoff verstehen wir einerseits den großen Showdown am Ende eines Films, wenn sich, ganz klassisch, Held und Antiheld endlich gegenüberstehen. Andererseits kann ein Drehbuch aber auch viele kleine Payoffs enthalten, nämlich wenn wir zuvor geplanteten Elementen einen handlungsrelevanten Sinn geben.

Handlungselemente in den Plot einführen

Im Verlauf des Plots muss jedes Element, das in irgendeiner Form eine Relevanz für Handlung oder Figuren hat, eingeführt werden. Je nachdem, wie wir es einführen, ist seine Bedeutung direkt erkennbar – oder eben nicht. Je weniger ersichtlich die Bedeutung eines Elements ist, desto neugieriger können wir den Zuschauer machen – und desto überraschender können wir auch eine Auflösung gestalten.

Je wichtiger ein Element im Handlungsverlauf wird, desto mehr Sorgfalt müssen wir auf seine Exposition verwenden. So werden z. B. zentrale Elemente, die von Beginn an wichtig für jeden Handlungsschritt sind, sehr dezidiert eingesetzt und sind für den Zuschauer von Anfang an nachvollziehbar. Sie dienen dazu, den Zuschauer in das Geschehen hineinzuziehen, Identifikationsmomente zu schaffen und Anknüpfungspunkte bereitzustellen.

Anders verhält es sich mit Elementen, die wir zunächst eher beiläufig einführen, ohne ihnen (für den Zuschauer) eine besondere Bedeutung zu geben. Erst in einem zweiten Schritt, u. U. deutlich später im Verlauf der Handlung, belegen wir diese Elemente mit einer Relevanz, die der Zuschauer (im besten Fall) nicht erwartet hat.

Lose Enden im Auge behalten

Die hohe Kunst, die uns Drehbuchautoren so manche schlaflose Nacht kosten kann, ist, keines dieser Elemente aus den Augen zu verlieren. Das Ziel besteht darin, jeden losen Faden, den wir irgendwann im Verlauf des Schreiben aus der Hand gelegt haben, um ihn später wieder aufzunehmen, auch wirklich zu einem Ende zu führen, dem Zuschauer einen (und sei er noch so klein) Payoff zu präsentieren.

Bleiben lose Enden offen, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang des Films oder der Serie, und der Zuschauer bleibt im schlimmsten Fall unzufrieden vor dem Bildschirm zurück.

Wir müssen es also schaffen, offene Fragen, die den Zuschauer während des Sehens beschäftigen, oder die nach dem Sehen wieder nach vorne drängen, zu beantworten. Das kann ruhig nebenbei geschehen, es kann den Zuschauer überraschen, ihn mit einem zufriedenen Gefühl zurücklassen, richtig mitgedacht zu haben. Denn wir dürfen unserem Zuschauer ruhig etwas zutrauen. Und lose Fäden, die wir kurz vor Schluss auflösen, tragen dazu bei, ihn und seine grauen Zellen bei der Stange zu halten.

Von den Besten lernen: Planting und Payoff in der Praxis

Auf der Suche nach der perfekten Art und Weise, Elemente zu planten und einen überraschenden Payoff vorzubereiten, dürfen wir ruhig einen Blick auf die großen und erfolgreichen Filme und Serien werfen. Vor allem jüngere Serien spielen sehr bewusst mit lose gelassenen Fäden und offenen Fragen, die sie, wenn horizontal erzählt wird, gerne erst geballt in der letzten oder den beiden letzten Folgen einer Staffel auflösen.

Den wirklich klassischen Payoff kennen wir aus einschlägigen Actionfilmen, die oftmals nach demselben Prinzip verfahren: Der Held wird durch den Antihelden die gesamte Handlung hindurch aufgehalten, und immer ist ihm der Antagonist einen Schritt voraus. Kurz vor Schluss aber treffen die beiden im Showdown endlich aufeinander – der Zuschauer hat 80 bis 110 Minuten auf diesen Moment gewartet, und wird jetzt mit dem Payoff/Showdown belohnt. Von PAYOFF über FIGHT CLUB bis zum Klassiker STIRB LANGSAM sehen wir diese Art von Showdown immer wieder.

Etwas anders, aber nicht minder spannend, gehen Serien an das Thema Planting und Payoff heran. Was LOST mit offenen Fragen, die teilweise über mehrere Staffeln nicht gelöst wurden, vorgemacht hat, wenden heute auch andere erfolgreiche Serien wie SNEAKY PETE, PATRIOT oder MAN IN THE HIGH CASTLE an. Über viele Folgen einer Staffel werden Rätsel und Geheimnisse aufgebaut, die uns als Zuschauer nicht zuletzt dank gut gebauter Cliffhanger mit der Nase am Bildschirm halten. Erst die letzten Folgen werden dann dazu genutzt, die Knoten und Rätsel langsam aufzulösen und dem Zuschauer endlich Zugang zur ganzen „Wahrheit“ der Staffel zu geben.

Ein Kommentar

  1. TH

    „Als Payoff verstehen wir einerseits den großen Showdown am Ende eines Films, wenn sich, ganz klassisch, Held und Antiheld endlich gegenüberstehen. Andererseits kann ein Drehbuch aber auch viele kleine Payoffs enthalten, nämlich wenn wir zuvor || geplanteten || (korr. geplanten) Elementen einen handlungsrelevanten Sinn geben.“

    22. September 2023

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