Dein Film als Kurzgeschichte auf 10 Seiten

Wir sind in der Phase, wo die Geschichte, die wir erzählen wollen, immer mehr Gestalt annehmen muss, damit wir es riskieren können, an das Drehbuch zu gehen. Welche Art Geschichten-Erzähler sind Filmschaffende eigentlich? Sie sind zu einem großen Teil Dramatiker, denn der Spielfilm ist in gewisser Weise ein nachfolgender Bruder des Theaterstücks. Aber Film ist auch eine kleine nachfolgende Schwester des Romans.

Diese Vergleiche hören sich poetisch an, aber Poesie gehört eben auch zu unserem Metier. Zwei Zitate zur Erläuterung. Anton Tschechow rät den Dramatikern:

Am besten ist es jegliche Beschreibung einer seelischen Verfassung zu vermeiden. Man muss versuchen, sie durch Handlungen begreiflich zu machen!

Und der Philosoph George Santayana bringt den Unterschied von Drama und Roman auf den Punkt, wenn er sagt:

Der Romancier sieht die Geschichte durch das Medium fremder Hirne, während uns der Dramatiker das Hirn anderer Menschen durch das Medium der Geschehnisse sehen lässt.

Als die Drehbuchautorin Lida Winiewicz nach einigen Theaterstücken und über hundert Drehbüchern zum ersten Mal Prosa schrieb, empfand sie es unerwartet als extrem anstrengend, da sie in dem für sie neuen Metier alles ausführlich beschreiben musste, auch, was im Theater die Schauspieler mit ihrer Kunst zeigen und auch, was die Bilder im Film leisten. Einiges an Mehrarbeit!

Was nun aber nicht bedeutet, dass ein Filmautor nicht mehr wissen muss, als das, was er auf den ca. 100 Seiten seines Drehbuches geschrieben hat. Er muss nur nicht alles hinschreiben, da die dramatische Form Unvollständigkeit nicht nur erlaubt, sondern fordert.
Die Logik der Sprache ist nicht die Logik der Bilder.
Nach diesen Vorbemerkungen kommen wir nun endlich zu unserem Punkt: warum es nützlich sein kann, seinen Film zunächst als eine Kurzgeschichte von 10 bis 15 Seiten nieder zu schreiben.

Erst einmal, weil von vielleicht ein paar Bildern, die man schon im Kopf hat abgesehen, die Geschichte zunächst aber doch in Sprache ausgedacht wird. Und sie damit der Logik der Sprache folgt, die nicht unbedingt die Logik der Bilder ist. Es ist gar nicht leicht, eher sogar harte Arbeit, vieles in Bilder zu übersetzen, gerade weil deren Logik meist eine viel einfachere ist.

Also darf man sich in der Expose & Treatment-Phase ruhig noch erlauben, mehr seinem Sprachvermögen nachzugeben. Man sollte es einfach als Vorarbeit betrachten – insofern eine Technik –, die einen zwingt, tiefer in seine Figuren hineinzukommen, da man ja in der Prosa im Hirn der Figuren sein darf.

Übrigens nehmen sich gerade geniale Autorenfilmer wie beispielsweise Ingmar Bergman oder Woody Allen die Freiheit, passagenweise sogar im Film im Hirn ihrer Figuren zu sein, indem sie sie innere Monologe sprechen lassen oder ,voice over‘ über Bilder legen. Sie ersparen sich so gerade in der Expositionsphase umständliche und lange Szenen und kommen schnell zur Sache.
Film hat, mehr als Theater-Drama, auch epische Züge.
Und noch etwas ist auffallend: es gibt einige Regisseure und Produzenten, die in ihrer Karriere ausschließlich Romanvorlagen verfilmt haben. Warum haben Sie das wohl getan?

Weil die ausführlicheren Schilderungen der Prosa ihnen große Sicherheit über das Funktionieren der Geschichte gegeben haben. Viel Risiko war dann nicht mehr da, handelte es sich doch fast immer um Bestseller. Und Film hat ja doch, mehr als Theater-Drama, auch epische Züge. Denn Schauplatz- und Zeitwechsel über Schnitt haben ja Strukturen, die uns an Romantechnik erinnern.

Die empfohlene Schreibtechnik MEIN FILM ALS KURZGESCHICHTE ist von niemand besser und häufiger praktiziert worden als von Doris Dörrie. Alles, was sie überhaupt interessierte, hat sie zunächst als eine Kurzgeschichte geschrieben. Ganz frei übrigens, da sie einen Verlag hatte, der das als Buch herausbrachte. Und dann konnte sie die Geschichten, die sich gut zu Film eigneten, zu einem Drehbuch weiterentwickeln, was heißt umarbeiten. Aber alles wirklich Wichtige hatte sie schon bei der Arbeit an der Prosa kennengelernt.

Was man dem „normalen“ Drehbuchautor aber abschließend sagen muss: Zwar sprachlich zu erfassen suchen, aber keinen literarischen Ehrgeiz entwickeln. Auf blumige Adjektive verzichten, Metaphern und Sprachbilder jetzt in Expose und Treatment nur da einsetzen, wo sie für Figur und Handlung klärend sind. Und nicht ausschweifen, sich kurz halten. Kurzgeschichte! Es hilft gar nicht die Seiten mit Sätzen, die hochliterarisch sind, voll zu machen, weil die später unverfilmbar wären.

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