Im Zuge unseres Themenwochenendes zur Radikalisierung und unseres ersten Weltverstehen-Interviews mit Psychologe Dr. Niklas Gebele möchte ich einen Film, der in diesem Interview zur Sprache kam und seine Dramaturgie näher untersuchen: Martin Scorseses und Paul Schraders Taxi Driver.
Denn Taxi Driver lässt sich viel Zeit mit der Radikalisierung seines Protagonisten, besser: nimmt sich genau die Zeit, die sie braucht. Für ihn, Travis Bickle, und für uns, den Zuschauer, um die Entwicklung nachzuvollziehen. Und das gibt uns in diesem Artikel Raum für unser Thema und bietet dazu eine hochinteressante Erzählstruktur: Denn wie schafft es ein Film, der als Medium per Definition doch kaum Zeit hat, sich Zeit zu nehmen?
Ich gehe davon aus, dass der Film ausreichend bekannt ist, deshalb nur in Kürze: Travis Bickle ist Vietnam-Veteran, leidet unter Schlafstörung und arbeitet nachts als Taxifahrer. Er verguckt sich in die Wahlhelferin Betsy, die ihn aber schließlich zurückweist. Er beschließt, seine Energie in die Rettung der minderjährigen Prostituierten Iris zu stecken, doch auch die weist ihn zurück, sie will nicht gerettet werden. Er hat jedoch seine Entscheidung schon getroffen: Er will als sein eigener Held untergehen und als es ihm nicht gelingt den Präsidentschaftskandidaten zu erschießen, für den Betsy Wahlkampf macht, ermordet er Iris‘ Zuhälter.
T. verzichtet auf eine gesellschaftliche Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Zunächst: Ich verstehe Taxi Driver als Melodram. Was bedeutet, dass ich gleich auch erläutern muss, was ich unter Melodram verstehe, weil es wenig ungenauere Genrebezeichnungen gibt. Taxi Driver wird für gewöhnlich mal als Drama, mal als Krimi und mal als Thriller bezeichnet. In Kombination macht das insofern Sinn, als dass man so auch die Zutaten des Film Noirs bezeichnen könnte, und von dem erbt Taxi Driver den entfremdeten Veteran und seine existentialistischen Fragen.
Nimmt man dem Film Noir seinen Krimi – und eine Ermittlung ist in Taxi Driver ganz offensichtlich nicht enthalten – bleiben Drama und Thriller: bleibt das Melodram. Welches sich aus dem Drama die Werteverhandlung borgt und aus dem Thriller den Gesellschaftsbezug. Das ist in Kürze mein Verständnis der Melodrams: Während das Drama innere Bedürfnisse verhandelt, verhandelt das Melodram mit ihnen die Bedürfnisse der Gesellschaft.
Das Bedürfnis der Gesellschaft in Taxi Driver? Ihr Erhalt. Travis‘ Radikalisierung ist nicht bloß eine Distanzierung von der Gesellschaft, die wohl auch auf Augenhöhe stattfinden könnte. Stattdessen fühlt er sich ihr zunächst unterlegen und als er nicht Teil haben, Teil werden kann, überhebt er sich über sie. Er verzichtet auf eine gesellschaftliche Lösung der gesellschaftlichen Probleme, die er identifiziert hat, und wählt Gewalt. Und wohl nichts stellt gesellschaftliches Selbstverständnis so sehr in Frage, wie die Anwendung (illegitimer und nicht-staatlicher) Gewalt, die daraus resultierende Bedrohung für ihre Mitglieder und das daraus resultierende Misstrauen aus Selbstschutz. (Klingt nach einem Thema für künftiges Weltverstehen.)
Die Spannung liegt zwischen Bedürfnis und Verständnis für dieses Bedürfnis.
Und Travis Bedürfnis? In Tagebucheinträgen versucht er es zu artikulieren: „Ich wusste, was mir fehlte war ein Mensch.“ Und tatsächlich, als wir Travis kennenlernen ist er völlig vereinsamt: Kein Kontakt zu seiner Familie, keine Freunde, keine Liebesbeziehung. An Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen hat er bloß als neidischer Beobachter teil. Sein Lösungsansatz heißt Betsy und das ist insofern ein Problem, als dass er zwischenmenschliche Beziehungen auf diese eine Form intimer und vor allem sexueller Beziehungen reduziert. Und alle anderen ignoriert. Statt sich seinen Kollegen anzunähern, heißt seine einzige Hoffnung Betsy, und diese Hoffnung wird schließlich enttäuscht.
Hier liegt die innere Spannung des Films. Es ist keine formulierbare dramatische Frage, die zum Schluss beantwortet werden kann. Und es ist auch nicht der Widerspruch eines konkreten, bewussten Ziels und eines verborgenen, unbewussten Bedürfnisses, der zum Dilemma führt. Es ist die Spannung zwischen Travis‘ Bedürfnis und seinem Verständnis für dieses Bedürfnis. Das ist tragischer als bei vielen anderen Protagonisten, denn Travis ist nicht ignorant, er nimmt sein Bedürfnis ja wahr, er ist bloß unfähig es zu lesen. Und so, wie er an dieser Aufgabe verzweifelt, gibt er wohl sein Möglichstes.
Diese Spannung, diese innere Anspannung Travis‘, auf die seine Schlafstörung ein Hinweis ist, die trägt den Film. Und dass ich hier Travis‘ Schlafstörung mit ins Spiel bringe, hat einen Grund: Er leidet schon in der ersten Szene darunter, und hat schon lange vor der ersten Szene darunter gelitten. Zu Beginn des Films ist Travis‘ Anspannung, die Spannung des Films also schon da, sie muss nicht erst ausgelöst werden und bedarf keiner Entscheidung durch den Protagonisten. Ich behaupte: Der erste Wendepunkt von Taxi Driver liegt demnach noch vor der ersten Szene. Travis‘ Wendepunkt ist seine Rückkehr aus Vietnam in die USA.
Wir spüren dem ersten Akt nach, brauchen wir ihn nicht zu sehen.
Das macht auch in Hinblick auf eine mögliche Heldenreise Sinn. Für Veteran Travis ist das zivile Amerika die Außerordentliche Welt, die Schwelle dorthin hat er längst überschritten (wobei die Stadt New York ja selbst fast wie eine Schwelle wirkt). Der nächste Schritt wäre laut Vogler, die Regeln der neuen Welt zu lernen und Verbündete zu finden, sich also in die oder in eine Gesellschaft zu integrieren. Travis wird das versuchen und scheitern. (Und er wird ja auch kein Held; das Beispiel der Heldenreise bringe ich wegen ihres Verständnisses für den ersten Wendepunkt, nicht weil sie sich auf den Film anwenden lässt.)
Der große Vorteil dieses Wendepunkts in der Hintergrundgeschichte des Films ist der gesparte erste Akt, dessen Zeit der Film stattdessen auf sein emotionales Thema und die Charakterentwicklung von Travis verwenden kann. Wir werden dem ersten Akt nachspüren, dafür brauchen wir ihn nicht zu sehen. Der Moment, in dem Travis Betsy entdeckt und in ihr Leben tritt, der vermutlich oft als erster Wendepunkt begriffen wird, ist bloß einer von zwei Versuchen, mit der Gesellschaft umzugehen. Auch in dem Modell der acht Sequenzen ist dieser „First Try“ als dritte Sequenz schon im zweiten Akt angesiedelt, nicht davor. Und tatsächlich würde uns dieser erste Wendepunkt auch auf eine falsche Fährte führen: Denn auf seine Beziehung zu Betsy hat dieser Film keine Antwort.
Stattdessen teilen Travis Bickles zwei Versuche, mit der Gesellschaft und seiner Isolation umzugehen den zweiten Akt in seine zwei bekannten Teile. Im ersten heißt sein Weg Integration, im zweiten heißt er Radikalisierung. In meinem Interview mit Dr. Gebele beschreibt er Travis diesbezügliche Gefühle: »Er möchte ja […] ein sogenanntes „normales“ Leben. Erst als ihm das verschlossen bleibt, entwickeln sich Neid und Hass auf diejenigen, die es haben. Ich denke, dass das eine recht häufige Ausgangssituation für Radikalisierung ist. «
Travis fühlt sich nicht nur enttäuscht, er fühlt sich verraten.
Die beiden folgenden Plot Points, die keine tatsächlichen Wendepunkte sind, weil Travis im ersten Fall die Wende verwehrt bleibt und er im zweiten Fall auf eine Wende verzichtet, sind der Midpoint, der den zweiten Akt in die zwei genannten Hälften und Wege teilt, und die Entscheidung, die ihn in den dritten Akt führt (und die für gewöhnlich zweiter Wendepunkt genannt wird). Beide Punkte zeichnen sich durch ein gemeinsames dramaturgisches Schema aus, das ihnen voraus geht: Travis erreicht einen Tiefpunkt und sucht Hoffnung darin, sich für andere zu öffnen. Es gibt so etwas wie eine Inspiration und er entscheidet zu handeln.
Vor dem Midpoint erreicht Travis zunächst einen Höhepunkt, als er sich auf sein Date mit Betsy vorbereitet, und dann einen Tiefpunkt, als Betsy ihn zurückweist, nachdem er mit ihr ein Pornokino besuchen wollte: „Uns trennen Welten“. Während er vorher für einen Einsamen überraschend souverän im Umgang mit ihr war, verunsichert ihn diese Zurückweisung zutiefst. Er versteht sie nicht. Und schlimmer: Betsy reagiert mit der Abscheu, die er von seinen Gefühlen für viele andere, in seinen Augen schlechte Menschen kennt. Für ihn bedeutete Betsy seine Hoffnung auf Integration: Er fühlt sich nicht nur enttäuscht, er fühlt sich verraten. Sein schlimmstes Urteil? „Dass sie genauso war, wie alle anderen.“
Es folgt seine Öffnung, er bittet den Weisen, Wizard, einen Arbeitskollegen von ihm – denn wen kennt er schon sonst? – um einen Rat. In dieser Bitte liegt Travis‘ Wunsch nach einer Erkenntnis, nach Inspiration, die ihm den Weg der Integration wieder öffnet, seine Sehnsucht nach einer Wende. „Ich hab ein paar Ideen, ich hab gute Ideen, es wäre schade, wenn,“ er spricht den Satz nicht aus. Würde Wizard ihn verstehen, könnte er ihm helfen, wäre hier der Film vielleicht vorbei. Er hat noch den angesichts Travis‘ Anspannung doch eigentlich guten Rat „Schalt ab, mach mal ne Pause,“ aber da hat Travis schon begriffen, dass Wizard ihn auch nicht versteht und hört ihm nicht mehr zu.
Travis
Sometimes it gets so I just don’t know what I’m gonna do. I get some real crazy ideas, you know? Just go out and do somethin‘.
Wizard
The Taxi life, you mean.
Travis
Yeah.
Wizard
(Nods.) I know.
Travis
Like do anything, you know.
Paul Schrader: Taxi Driver. Faber and Faber Limited, Sight & Sound, London 1990.
Hatte er hier auf Inspiration gehofft, die seinem verunglückten Weg in die Gesellschaft die positive Wendung geben würde, folgt jetzt die Art Inspiration, die ihn noch weiter von der Gesellschaft wegführen wird: Er sieht die minderjährige Prostituierte (Iris) wieder, der er schon einmal begegnet war, als sie auf der Flucht vor ihrem Zuhälter in sein Taxi gestiegen war. In sein Tagebuch schreibt er: „Plötzlich geschieht etwas, plötzlich bekommt mein Leben einen neuen Impuls.“ Doch auch: „Ich bin Gottes einsamster Mann.“
Denn in Iris sieht er keine Chance auf Integration – als Prostituierte steht sie ja selbst sehr am Rand der Gesellschaft – sondern die Möglichkeit, sich über die Gesellschaft zu erheben, die ihn nicht haben will, und einen ihrer Fehler zu korrigieren. Der Entschluss zu dieser Korrektur ist die Entscheidung, die er trifft, ist der Midpoint. Das Gespräch mit Wizard ist die letzte relevante, gezeigte Begegnung zwischen Travis und seinen Kollegen bis nach seinem Amoklauf: Travis schottet sich gegen äußere Einflüsse ab.
Auch vor dem zweiten Wendepunkt, den wir der Einfachheit halber auch ohne Wende als Wendepunkt bezeichnen werden, folgt auf Travis‘ emotionalen Höhepunkt – wieder in Vorbereitung, also in Erwartung auf etwas, diesmal nicht auf ein Date, sondern auf den Kampf – ein Tiefpunkt: Er hatte beschlossen, Iris zu retten, und wieder all seine Hoffnung in diese Möglichkeit zur Korrektur der Gesellschaft und seiner Bedeutung für diese Gesellschaft gesteckt. Und dann sagt Iris, sie wolle gar nicht gerettet werden. Travis verzweifelt: „Ich verstehs nicht, ich weiß nicht weiter. Ich geb auf, ich habs versucht.“
Inzwischen sucht Travis gar nicht mehr nach einer Lösung.
Diese Vorbereitungen, die in anderen Filmen gerne vernachlässigt werden und in Taxi Driver zelebriert, und die dramaturgisch sehr wertvoll sind, weil sie Ausdruck einer Erwartungshaltung sind, sind auch thematisch interessant: Zu Travis Rassismus und dem faschistischen Wunsch, das dreckige New York abzubrennen oder „die Toilette runterzuspülen“ (Stichwort Sintflut) gesellt sich hier der historisch quasi obligatorische Körperkult: „Schluss mit der Zerstörung meines Körpers.“ Travis wird sich später einen Irokesenschnitt rasieren, was nicht nur bei amerikanischen Soldaten in Vietnam üblich war, sondern seinen Ursprung im zweiten Weltkrieg hat.
Auf Travis geäußerten Sintflut-Wunsch reagiert Präsidentschaftskandidat Palantine, als er in Travis‘ Taxi sitzt übrigens mit den Worten „Aber es wird nicht leicht sein. Ein paar Dinge müssen radikal geändert werden.“ Vielleicht sind dies die Worte, aus denen Travis später einen Regierungsauftrag ableitet. Er nimmt sich ihrer an: Der radikalen Veränderung der Dinge und des Nicht-leicht-werden, worunter Travis ein gemeinsames persönliches Opfer (seines und Palantines Leben) versteht.
Es entsteht nach demTiefpunkt wieder eine Situation der Öffnung – vermeintlich. Iris verabredet sich mit Travis zum Frühstück, doch Travis kommt nicht, um sich auf mögliche Alternativen zu Iris Rettung einzulassen, sondern um sich dessen Notwendigkeit zu vergewissern. Hier gibt es, anders als bei Wizard, der ihm ja keine Lösung bieten konnte, tatsächlich ein Lösungsangebot, ein window of opportunity, von Iris: Lass uns gemeinsam in eine Kommune ziehen. Doch inzwischen sucht Travis gar nicht mehr nach einer Lösung, er schützt den falschen Regierungsauftrag vor und lehnt ab, schließt das Fenster.
Iris
I think I’ll move to one of the communes in Vermont, you know? That’s where all the smart ones went. I stayed here.
Travis
I’ve never been to a commune. I don’t know. I saw pictures in a magazine, and it didn’t look very clean to me.
Iris
Why don’t you come to a commune with me?
Travis
Me? I could never go to a place like that.
Iris
Why not?
Travis
(Hesitant) I… I don’t get along with people like that.
Paul Schrader: Taxi Driver. Faber and Faber Limited, Sight & Sound, London 1990.
Hier wird das Drama zum Drama, weil Travis nicht mehr bloß Opfer der Gesellschaft ist, die ihn in den Krieg schickte, sondern ihm ein Integrationsangebot gemacht wurde, das er ablehnt: eine bewusste Entscheidung (und zweiter Wendepunkt), die ihn verantwortlich macht für die Taten, die folgen. Travis wird später behaupten, „Ich habe erkannt, das mein Leben nur auf einen Punkt fixiert ist, das ist jetzt klar. Ich hatte nie die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten,“ doch das ist falsch. Er hatte eine Wahl und er hat sich entschieden. Er ist für die Befreiung von Iris eher bereit Menschen umzubringen, als in eine Kommune zu ziehen. Seine Radikalisierung dient nicht mehr dem Zweck, sondern sich selbst.
Die Entscheidung gegen die Wende im Wendepunkt, die Entscheidung gegen eine Charakterentwicklung und die Bekräftigung des eigenen falschen Weges ist Hinweis auf eine Tragödie. Und genau das ist Taxi Driver. Und zur Tragödie gehört für gewöhnlich der Tod des Protagonisten: »Der eigene Tod (mit dem er ja rechnen muss) ist die Kapitulation angesichts seines Scheiterns bei der sozialen Integration und dem Versuch, geliebt zu werden. Das Attentat aber ist der gleichzeitige Versuch, sich über die Mehrheitsgesellschaft, welche ihn abgelehnt hat, zu erheben,« sagt Dr. Gebele im Interview.
Doch Travis rechnet nicht nur mit seinem Tod, er plant ihn ein: Bevor er den Mord an Palantine versucht, schreibt er eine Art Abschiedsbrief an Iris. Nachdem er Iris‘ Zuhälter erschossen hat, steckt er sich seine Pistole in den Mund, und muss dann feststellen, dass er sie zuvor leergeschossen hat. Er versucht eine zweite, doch auch die ist leer. Als Polizisten das Zimmer stürmen, hält er sich seinen Zeigefinger an den Kopf und „drückt ab“.
Travis‘ sinnlose Gewalt war sinnlos.
Dass Ende von Taxi Driver war mir lange ein Rätsel (und ist es scheinbar auch anderen). Natürlich steckt eine gewisse Ironie dahinter, wenn die „dreckige“ Gesellschaft den Amokläufer, der sie bedroht hat, zu ihrem Helden erklärt. Wenn er jetzt tatsächlich durch den Amoklauf die Integration geschafft hätte, in eine Gesellschaft, die er gar nicht mehr wollte. Hat sich etwas in seinem Umgang mit den Kollegen geändert? In seinem Umgang mit Betsy, die zu ihm ins Taxi steigt? Ja, denn seine Anspannung ist weg. Wegen des Amoklaufs?
Ich behaupte: Nein. Denn zu Travis‘ Amoklauf gehörte der Suizid, der ist nicht gelungen. Dass Travis‘ Leben nach seiner Tat einfach weitergeht, nimmt dem Amoklauf jede Wirkung. Denn das, was er jetzt hat, das hätte er auch ohne Amoklauf haben können. Und die mediale Aufmerksamkeit ist ohne nachhaltigen Wert. Seine sinnlose Gewalt war sinnlos. Und diese Erkenntnis, die nimmt ihm die Anspannung und löst die Spannung des Films.
Taxi Driver ist also neben seiner Erkundung des Radikalisierungsprozesses auch Beispiel dafür, dass eine starke unkonkrete, innerfigürliche Spannung einen Film genauso tragen kann, wie sonst die Spannung zwischen zwei konkreten, sichtbaren, greifbaren Optionen Ziel und Bedürfnis. Er ist ein Beispiel dafür, wie dramaturgische Struktur, wiederkehrende Erzählmuster, als Abbildung wiederkehrender Handlungsmuster des Protagonisten – Taxi fahren, Tagebuch schreiben – Bedeutung gewinnt. Er ist drittens ein Beispiel dafür, wie das emotionale Thema – die Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung – zwei doch eher verschiedene inhaltliche Themen – die Liebesbeziehung zu einer Frau, die Rettung eines Kindes vor der Ausbeutung – zu einem Film verbinden kann.
Und er ist Beispiel dafür, dass Empathie gegenüber des Protagonisten stärker sein kann als Identifikation. Wir kennen Travis‘ Vietnam-Trauma nicht, können nicht identifiziert sein. Und deshalb müssen wir Travis‘ Beweggründen selbst nachspüren. Er gibt uns zwar hilfreiche Hinweise in seinen Tagebucheinträgen, doch auch die sind immer durch seine Wahrnehmung gefälscht. Dieses Rätsel von Travis Charakter, das viele Zuschauer weit über den Film hinaus beschäftigt hat, ist die große Stärke der Empathie gegenüber der Identifikation. Das ist Taxi Driver.
Sehr spannender Einblick in die Kunst des Erzählens.
P.S.: „Die Entscheidung gegen die Wende im Wendepunkt, die Entscheidung gegen eine Charakterentwicklung und die Bekräftigung des eigenen falschen Weges ist Hinweis auf eine Tragödie.“ – Das erinnert mich sehr an die Serie Sons of Anarchy, die ja gerne als Adaptation der großen Tragödien Shakespeares gesehen wird.
P.P.S.: Palpatine ist der Sith-Lord aus Star Wars. Der Präsidentschaftskandidat in Taxi Driver heißt Palantine. Zufall? Drängt sich da eine vergleichende Analyse der Darstellung politischer Machthaber auf? ;-)
Ha! Dein Artikel hat einfach einen zu großen Eindruck auf mich gemacht. Korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis!