Dialoge schreiben am Beispiel INGLOURIOUS BASTERDS

Spannende Dialoge zu schreiben ist eine hohe Kunst. Auf allen Wirkungsebenen gleichzeitig zu denken, kann schnell überfordern. Anhand einer konkreten Szene möchte ich euch den Zugang erleichtern und die wesentlichen Techniken aufzeigen, um in wenigen Schritten großartige Wortwechsel auf die Leinwand zu zaubern.

Bevor ihr diesen Artikel weiterlest, empfehle ich, beide Videos anzuschauen: Einmal die Szene an sich und einmal meinen Youtube-Kommentar, in dem ich sie auseinandernehme:

YouTube: Inglourious Basterds (5/9) Movie CLIP – Go Out Speaking the King’s (2009) HD

YouTube: Dialoge schreiben wie TARANTINO

Hier könnt ihr euch den Drehbuchauszug herunterladen: INGLOURIOUS BASTERDS Auszug

Zur Handlung habe ich bereits alles Nötige im Video gesagt. Weiter geht es mit der zweiten Ebene:

2. Funktionale Dialoge

So könnte der Dialog dieser Szene aussehen, wenn man ihn auf die reine Funktionalität herunterbricht:

ERIC

Wie viele Gläser?

LT. HICOX

Fünf.

MAJOR HELLSTROM

Für mich nicht.

BRIDGET

Ich auch nicht.

LT. HICOX

Drei Gläser.

MAJOR HELLSTROM

Ich habe genug davon. Haben Sie das gehört? Das ist das Geräusch meiner Walter, die direkt auf Sie gerichtet ist.

LT. HICOX

Warum richten Sie Ihre Walter auf mich?

MAJOR HELLSTROM

Weil Sie sich eben verraten haben.

LT. HICOX

Also, Sturmbannführer-

BRIDGET

-Herr Major-

MAJOR HELLSTROM

-Schnauze. Sie wollten was sagen?

LT. HICOX

Ich wollte sagen, dann sind wir zu zweit. Ich habe eine Pistole auf sie gerichtet, seit sie hier sitzen.

SGT. STIGLITZ

Und ab jetzt sind wir zu dritt.

MAJOR HELLSTROM

Scheint mir ein bisschen heikel, unsere Lage.

LT. HICOX

Sie werden jetzt aufstehen und mit uns durch diese Tür hinausgehen.

MAJOR HELLSTROM

Nein, das glaube ich nicht. Wir zwei werden nirgendwohin gehen.

LT. HICOX

Stiglitz.

3. Moralische Dialoge

Hellstrom spricht voller Inbrunst einen Toast aus: „Auf ein tausendjähriges Deutsches Reich“. Damit offenbart er die Wertvorstellungen eines überzeugten Nationalsozialisten. Entsprechend verhalten fällt die Reaktion seiner Gegner aus, die das Spiel mitspielen müssen.

Hellstrom unterbricht Bridget scharf — „Schnauze, du Schlampe“ –, für ihn hat sie das deutsche Volk verraten. Nachdem klar wird, dass er in der Patsche sitzt, wischt er den Spionen eins mit der Moralkeule aus: „Das ist wirklich schade um Oberfeldwebel Wilhelm und seine berühmten Freunde. Falls einer von euch vorhat, am Leben zu bleiben, werdet ihr sie auch erschießen müssen. Sieht so aus, als ob klein Max als Waise aufwächst. Wie traurig.“. Hellstrom macht das anscheinend gar nichts aus, aber Hicox treffen diese Worte.

Hicox resigniert, aber er lässt es sich trotzdem nicht nehmen, wenigstens ein letztes Getränk zu genießen, dazu sei er geradezu verpflichtet: „Es gibt eine spezielle Stufe in der Hölle, die für Leute reserviert ist, die guten Scotch verschwenden. Und jetzt, wo es so aussieht, als ob ich momentan an die Tür klopfe … Ich muss sagen, verdammt gutes Zeug, Sir.“.

Zum Schluss triumphiert Hicox immerhin darin, die Kontrolle über den Ausgang des Geschehens behalten zu haben: „Es scheint so, als gäbe es nur noch eine Sache für Sie zu tun.“. Damit meint er natürlich: zu sterben. Stiglitz, der froh ist, einen Nazi mit sich in den Tod zu reißen, schließt mit den Worten: „Sag „Auf Wiedersehen“ zu deinen Nazi-Eiern“.

4. Leitmotive:

Die Wiederholungen Hellstroms — „Nein, nein, nein …“ und „Sie und ich“ / „wir beide“ / „wir zwei“ — sind teil seiner persönlichen, individuellen Stimme und dienen dazu, seine Entschlossenheit zu unterstreichen.

Das „tausendjährige Deutsche Reich“ ist als Begriff an und für sich schon mit Bedeutung aufgeladen, offenbart hier aber, wie die Figuren auf beiden Seiten dazu stehen (achtet besonders auf die stumme Reaktion von Stiglitz, gespielt von Til Schweiger).

Scotch steht in dieser Szene einerseits für Genuß und Laster, andererseits für die Nationalität. Hicox ist eben „so deutsch, wie dieser Scotch“. Wenn er schon draufgeht, will er das auf seine Art und Weise tun, in seiner Muttersprache — „speaking the King’s (English)“ –, mit einer Zigarette und einem guten Glas Scotch.“

Interessant ist die Verwendung der militärischen Ränge: Wenn Hellstrom „Hauptsturmführer“ besonders betont, weil er Hicox als Spion entlarvt hat, ist das ironisch zu verstehen (in Wirklichkeit ist Hicox ja britischer Lieutnant). Als Reaktion darauf betont Hicox den Titel „Sturmbannführer“ so, dass klar wird: Ihre Ränge haben in dieser Situation ohnehin keine Bedeutung mehr.

Zentrales Leitmotiv sind selbstverständlich die Hoden. Die Szene dreht sich wortwörtlich darum, wer den anderen bei den Eiern hat. Hellstrom ist ein stolzer Nazi. Für Stiglitz ist es eine besondere Freude, diese Nazi-Eier ein für alle Mal auszulöschen.

2 Comments

  1. Michael Füting

    Das ist schon sehr o.k., was Sven Eric da ausbreitet. Das Allerwichtigste: zunächst nur sich klar machen, was in der Szene gezeigt wird – ohne Dialoge. Es ist Film, nicht Theater, die Bilder sind das Leitmedium, deshalb erst ein Bildertreatment schreiben, d.h zu 99% ohne Dialoge. Dabei genau wissen, was jede Figur will, weil Menschen – wie D. Mamet sagt – reden, um zu bekommen, was sie wollen. Und ihr Reden ist natürlich imprägniert von ihrem Leben. Und natürlich heisst nicht voll bewusst!
    Deshalb kleine Einschränkung bei dem, was Sven Eric dann vorführt. Er insinuiert, dass man das schematisch bewusst erzeugen kann. Ich würde aber sagen: lass die Dialoge kommen, nachdem die Schritte 1&2 gedacht wurden. Hab Vertrauen zu Dir und Deinem Unbewussten. Kunst, die bewusst bis ins letzte ausgezirkelt ist, ist fad, langweilig und vorhersehbar. Ich glaube, dass Quentin es nicht so gemacht hat, wie im Beispiel beschrieben. Das sieht nur als Ergebnis hinterher so aus…

    25. Mai 2016

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