2001 verbrachte ich einen Monat als Tourist in New York. Von Mitte April bis Mitte Mai. Irgendwann in dieser Zeit stand ich auch vor dem World Trade Center, sah die vielen Menschen, die hineinströmten und sagte mir: „Vielleicht beim nächsten Mal!“
Ich hatte nicht mit dem 11. September gerechnet.
Lange glaubte ich, aus dieser Erfahrung etwas gelernt zu haben. Darüber, dass alles sich ändert. Immerzu. Dass man nie weiß, was morgen ist und deshalb besser heute erledigt, was man meint erledigen zu müssen. EVERYTHING. EVERYONE. EVERYWHERE. ENDS.
Jetzt ist es mir wieder passiert. Am vergangenen Samstag fand in den Reinhardtstraßen-Höfen in Berlin-Mitte der „Tag der Dramaturgie“ statt und ich hatte mir fest vorgenommen, an meinem nächsten freien Tag einen Rückblick zu verfassen.
Inzwischen ist Trump Präsident. Leonard Cohen ist tot. Und die Welt, auf die ich zurückschauen wollte, irgendwie nicht mehr da. Genau wie die Zwillingstürme des World Trade Centers ist sie eingestürzt. Und der Staub und die Emotionen, die dieses weltpolitische Beben aufgewirbelt haben, sie sind noch nicht wieder verflogen.
Dass Trump, der „sexistische Rassist“ (Spiegel), Hillary Clinton tatsächlich gefährlich werden könnte, wurde mir spätestens nach dem ersten TV-Duell der beiden klar. Während Clinton immer wieder auf den „Fact checker“ auf ihrer Website verwies, der ihren Kontrahenten Lügen strafen sollte, inszenierte sich Trump konsequent als der „Rächer der Enterbten“, als Underdog, der dem politischen Establishment aber mal so richtig den Stinkefinger entgegenstreckt. Fakten versus Fiktion. Die Wahl hat gezeigt, was beim Publikum mehr Eindruck macht.
Die amerikanische Autorin Muriel Rukeyser schrieb: „The world is not made of atoms, but of stories.“ Auch Präsidenten werden nicht aus Fakten gemacht, sondern aus Geschichten. Donald Trumps Pitch war anmaßend, klischeehaft und unglaubwürdig, doch er war auch einprägsam. Hillary Clintons war fundiert, differenziert und sachlich, doch ohne Emotionen. Es ist keine Überraschung, dass Trump die Wahl gewonnen hat.
Trumps Kampagne folgte aufs Wort dem Erfolgsrezept anderer Rechtspopulisten in Russland, der Türkei, Ungarn und Frankreich: Vermeintlich simple Lösungen, die die Abschaffung des korrupten Systems versprechen, gepaart mit ein bisschen Hetze gegen Migranten und Minderheiten. Etwa 50 Millionen Menschen haben Trump gewählt, 40 Prozent davon Frauen. Das sind etwa 20 Millionen Frauen, die kein Problem damit zu haben scheinen, dass ein alter weißer Mann denkt, es sei sein Privileg, ihnen an die Pussy zu greifen, wann immer es ihm beliebt.
Beim Tag der Dramaturgie wurde viel über die Zukunft gesprochen. Die Zukunft des Fernsehens hauptsächlich. Und sie hieß, wie so oft, Amerika. Netflix. Amazon. HBO. Ich bin erstaunt, dass so viel Innovation aus einem Land kommen kann, dass politisch gerade um Jahrzehnte zurückgefallen ist. Und ich frage mich, wie wir jemals den Abstand zur Spitze verkürzen wollen, wenn es unsere Strategie ist, den Führenden immer nur hinterherzulaufen.
Hillary Clinton hätte eine bessere Story zu erzählen gehabt. Eine, die vom Ende der Unterdrückung handelt. Der Unterdrückung der Frauen. Der sozial Schwachen. Der Schwarzen. Der Latinos. Der Schwulen und Lesben. Der Muslimen. Sie hätte von einem neuen Zeitalter erzählen können, von einem wirklich großartigen Amerika. Sie hätte dazu vielleicht der Anleitung eines fähigen Dramaturgen bedurft. Es hätte sie nur einen Bruchteil dessen gekostet, was sie insgesamt für ihre Kampagne ausgegeben hat. Es hätte ihr und uns eine Menge Ärger erspart.
Jetzt ist alles anders gekommen. Um es mit den Worten Leonard Cohens zu sagen:
They locked up a man / Who wanted to rule the world / The fools / They locked up the wrong man.
Aber hey, was soll’s! Vielleicht beim nächsten Mal.
You want it darker, we kill the flame.