Die einzige Regel, die ich hatte, war: keine Smartphones. Das hat nicht nur mit dem Sujet von ,Transit‘ zu tun. Mein Sohn hat mir einmal die Augen geöffnet, als er meinte: Es gibt zwei Sachen, die man nicht machen darf: man darf keine Animationen benutzen und keine Smartphones, weil das die Filme wahnsinnig altern lässt. Ich habe mit dem Ausstatter besprochen: wir nehmen keine Smartphones, keine Computer.
So beschrieb Christian Petzold in einem Interview mit der epd Film 2018 die grundsätzliche Herangehensweise an die Ausstattung in seinem Kinofilm Transit. Da es sich bei Transit um eine Adaption von Anna Seghers Roman Transit handelt, der während des zweiten Weltkriegs in Frankreich spielt, stellt sich ohnehin die Frage des Zeitbezugs. Petzold inszeniert einen Zeithybrid, der weder modern noch historisch ist, oder eben beides. Ein zeitloser Film ist ihm damit allemal gelungen. Aber ist die anachronistische Ausstattung in Transit nicht ebenfalls Ausdruck der Schwierigkeit, digitale Kommunikationsformen darzustellen? Der Film vermeidet digitale und „unfilmische“ Kommunikationsformen.
Sicherlich wollte Petzold zwei Fallen aus dem Weg gehen: Dem x-ten deutschen Nazi-Film sowie einer modernen Übersetzung einer literarischen Vorlage. Nichtsdestotrotz geht es meiner Meinung nach Petzold nicht allein darum, Zeitzeugnisse zu vermeiden. Diese gab es schließlich schon immer, wenngleich weniger schnell wandelnd. Ich unterstelle dem Film eine Vermeidungsstrategie von neuen und vor allem „unfilmischen“ Kommunikationsformen. Die Frage nach digitaler Kommunikation in Geschichten wälze ich auch deswegen auf Transit ab, weil ich selbst schuldig bin. In meinem letzten Projekt, einer Mockumentary, bemerkte ich erst während des Drehs die hohe Anzahl an Telefonaten. Gab es keine anderen Lösungen für die Szenen? Was macht Telefonatsszenen interessant?
Grundsätzlich natürlich der Dialog. Gelungene Dialoge zu verfassen, ist wohl eines der schwierigsten Unterfangen beim Drehbuchschreiben. Immer wieder schreibt man sie neu, kürzt sie, nur um sie zu verändern. Nicht immer werden sie dadurch besser (wie dieser Text). Ganz nebenbei, aber doch natürlich, sollen die Figuren, jede für sich, einen unterschiedlichen Sprachduktus besitzen. Ein beliebter Tipp in Drehbuchratgebern ist daher, sich in der Bahn oder in Cafés Gespräche anzuhören, um ein Gefühl für Pausen, Rhythmus, Wortschatz, Sprachmilieus und Rhetorik zu bekommen. Doch in diesen Räumen ist es, auch dank der Digitalisierung, still geworden. Wo soll man also lauschen? Wo sind die originellen Dialoge? Etwa im Messaging?
Die Gleichgültigkeit beim Messaging
Die Frage, wie Messaging im Film bildlich umgesetzt wird, soll zunächst aufgeschoben werden. Erst einmal sollen zwei Thesen zur Rezeption von Messaging im Film in die Waagschale geworfen werden. Ich halte es für möglich, dass sich in der Filmwahrnehmung ein Generationenkonflikt fortsetzen kann. Die ältere Zielgruppe (ich spreche von der unsinnigen Unterteilung in 14-49 Jahre und ab 50 Jahre) bildet in ihrem Alltag nicht selten das Vorurteil heraus, „junge Menschen“ würden ausschließlich vor dem Handy hängen. Warum sollten sie sich damit zusätzlich im Fernsehen oder Kino auseinandersetzen wollen? Mag sein, dass Autor*innen mit Hilfe von Messaging facettenreiche und „authentische“ Jugendliche erzählen können. Aber lässt sich damit überhaupt die ältere Generation emotional ansprechen, die in dieser Darstellung vor allem ihre Vorurteile und damit ihre Missverständnisse bestätigt sieht.
Selbst wenn dieser Generationenkonflikt nur ein hochgekochtes Phänomen der Kommentarspalten ist und dementsprechend in der Filmwahrnehmung überhaupt nicht präsent sein kann: Wie sieht es mit der jüngeren Generation aus? Ich spreche von den 10 – 35-Jährigen. Sehen sich „junge Menschen“ in Figuren repräsentiert, die Messenger-Apps und Social Media ebenso selbstverständlich benutzen wie sie? Eine Identifikation mit diesen Figuren könnte schwer fallen. Ich wage zu behaupten, dass sie sich beim Betrachten von Smartphone-Versunkenen auf unangenehme Art und Weise selbst gespiegelt sehen. Es gibt genügend Menschen, die sich insgeheim über ihren zu hohen Smartphone-Konsum ärgern, oder ihn herunterspielen. Welche Konsequenzen hat das für die Geschichte? Ich weiß es nicht genau, aber vielleicht geht es sogar so weit, dass eine Identifikation mit diesen Figuren aufgrund der potenziellen Spiegelung schwerer fällt.
Dialog ist überall, nur wo genau?
Womöglich sind diese Thesen zu steil, um wahr zu sein, aber es existiert ein drittes Problem anderer Natur. Die Kommunikation mit dem Handy besitzt kaum eine mimetische bzw. räumliche Ebene. Es ist nahezu unmöglich die über den Smartphones gebeugten Gesichter zu lesen. Es fehlt die Kondensation des Gesagten. Autor*innen brauchen sich nicht mehr die Frage zu stellen, welche der passende Schauplatz für ihren Dialog ist. Drückt ihnen einfach diesen Mini-Screen in die Hand, das war’s. Wo sich diese Figuren damit befinden, ist egal. Schließlich ist eine der überstrapazierten Lektionen der Digitalisierung, dass man überall erreichbar ist, deshalb kann auch Dialog überall stattfinden, nur eben weniger verbal. Wie schafft man also eine empathische und ästhetische Darstellung von Smartphone-Nutzern im Film? Was bleibt den Autor*innen? Die kreative Darstellungsweise von Textnachrichten im Film?
Die Darstellung von Textnachrichten, ist nur bedingt eine Entscheidung der Autor*innen. Letztendlich ist es unfassbar langweilig, Menschen dabei zuzusehen, wie sie auf ihr Smartphone starren (ein gutes Beispiel dafür ist die ZDF-Jugendserie „Druck“). Dennoch drückt sie die Schwierigkeit aus, mit der Textnachrichten sichtbar und erfahrbar gemacht werden. Ist die Textnachricht in der Lage, den gleichgültigen Ausdruck einer Figur zu erzählen? Aber erzählt der Text dann nicht vielleicht nur sich selbst und nicht die Figur? Braucht es deshalb eine Verdeutlichung, damit Zuschauende mitempfinden können? Ein Grinsen, ein Kopfschütteln, das Runzeln der Stirn. Wäre das authentisch? Eher nicht. Messaging ist wirklich ein Problem, denn es ist unfassbar langweilig Menschen dabei zuzusehen, wie sie auf ihr Smartphone blicken.
Die Telefonie als Alternative
Interessant an der Telefonie ist, dass man sich längst an die fehlende Logik ihrer Darstellung zugunsten der Informationsvermittlung gewöhnt hat, dank dem „Point-of-Hearing-Shot“ (eine bessere Bezeichnung fiel mir nicht ein). Figur A telefoniert mit Figur B, die in der Szene nicht sichtbar ist. Die Zuschauenden hören, was Figur B sagt, obwohl Figur A ohne Lautsprecher telefoniert. Wie beim Point-Of-View-Shot stecken die Zuschauenden im Kopf der Figur.
Jener Point-Of-View-Shot ist eine Option die Textnachrichten „lesbar“ zu machen. Beliebter, weil distanzierter und somit bildsprachlich leichter zu integrieren, ist der Over-The-Shoulder-Shot. Eine weitere Option, die sich zunehmend durchsetzt, ist es, die Textnachrichten bzw. den Messenger über die Aufnahme zu blenden (Beispiele dafür sind „House Of Cards“ oder „Sherlock“); bildsprachlich betrachtet, die unkomplizierteste Version. Die On-Screen-Variante erlaubt es, Inhalt der Nachricht und Reaktion der Figur mehr oder weniger gleichzeitig zu erzählen. Sie ist zeitloser und die Post-Production freut sich über die Auswahl der Typographie. Eine Telefonszene mag zwar vor einer der Figuren etwas verbergen, aber nicht vor den Zuschauenden.
Dennoch offenbart sich an dieser Stelle im Gegenzug die Stärke der Telefonie. Sie kann zugleich Information und (zwei) Reaktion(en) erzählen. Schweigen und Zögern werden zu Fluchtpunkten in der Auseinandersetzung, Flüstern zur Verschwörung durch den oder mit dem Hörer. Anders gesagt: Eine Telefonszene kann zwar vor einer der Figuren etwas verbergen, aber nicht vor den Zuschauenden. Das macht Telefonszenen erzählerisch interessant, sie sind in der Lage, Konflikte unmittelbar auszutragen und Informationen figurenspezifisch zu vermitteln. Mag sein, dass sich all das auf das Messaging übertragen lässt, mir fehlen dafür jedoch die Vorstellungskraft und die Kenntnis.
Es gibt Filme, deren Erzählkonzept zum Großteil auf der Telefonie beruht. Nicht zufällig handelt es sich dabei um Thriller. Titel wie Phone Booth (2002), Buried (2010) oder No Turning Back (2013) sind nur einige Beispiele. Und wenn in Horrorfilmen plötzlich das Telefon klingelt, ist das der Anfang vom Ende. Grundsätzlich spielt hier die Sichtbarkeit, die Möglichkeit die Stimme einer Person zuordnen zu können, eine wichtige Rolle (verwiesen sei hier auf den Begriff des „Acousmêtre“, der omnipotenten, nicht sichtbaren Stimme, den der Filmwissenschaftler und Komponist Michel Chion geprägt hat).
Messaging: Sujet oder Alltag?
Ist Messaging als gegenwärtiges Äquivalent ebenso in der Lage, zum dramatischen Momentum einer Geschichte zu werden? Können Textnachrichten als Katalysator des Plots funktionieren? In Luzie Looses Film Schwimmen (2018), ein Coming-Of-Age-Film, wird das Messaging, genauer das Verbreiten von kompromittierenden Videos der Mitschüler*innen, zur digitalen Waffe, zum dramaturgischen Brandbeschleuniger und zur Emanzipation der Hauptfigur. Aus dem Mobbing-Opfer wird eine, zumindest oberflächlich, selbstbewusste Teenagerin. Das Messaging in Schwimmen ist Alltag und Sujet zugleich. Dennoch: Es handelt sich weniger um Textnachrichten, sondern vorwiegend um Videos. Insofern wird statt Messaging eher die fragile Privatsphäre im Angesicht der Allgegenwart von Bildern und Videos reflektiert.
Ein konkreteres Beispiel ist Personal Shopper (2016), ein Thriller von Olivier Assayas. Maureen (Kristen Stewart), die als persönliche Ausstatterin für ein Supermodel arbeitet, erhält nach dem Tod ihres Zwillingsbruders Textnachrichten von einem Unbekannten, der ihr toter Bruder zu sein scheint. Genauso wie ihr Bruder versteht sich Maureen als ein spiritistisches Medium. Sie vermutet, dass die Seele ihres Bruders noch präsent ist. Da weder die Zuschauenden noch die Hauptfigur wissen, von wem die Nachrichten tatsächlich stammen, funktioniert die unbekannte, eventuell übernatürliche Bedrohung als Spannungselement. Leider ruht sich der Film auf dieser Ungewissheit zu lange aus. Finden Filmgeschichten zwischen den Momenten der digitalen Kommunikation statt? Dennoch ergibt sich daraus ein Konflikt, der in Maureens Figur angelegt ist. Kann sie den tragischen Tod trotz ihrer „spirituellen“ Verbindung zu ihrem Bruder hinter sich lassen?
Finden Filmgeschichten zukünftig zwischen den Momenten der digitalen Dialoge statt? Wird Messaging in Geschichten ausgeklammert werden, weil es nicht in der Lage ist, emotionale Inhalte angemessen zu transportieren? Ellipsen sind stets ein probates Mittel, um überflüssige Kommunikation zu umgehen. Die Vermeidung von Messaging ist der Zweck, der die Ellipse heiligt. Das gilt in Zukunft mehr denn je und kann dennoch nicht die Lösung sein.
Vielleicht geht es schlichtweg darum, an und in einem Raum zu erzählen, der abseits dessen geschieht. Ist ja nicht so, als gäbe es keine Gespräche mehr am Esstisch, in liebestrunkenen Betten, in schäbigen Hotelzimmern, lärmenden Clubs oder zwielichtigen Hinterhöfen. Entscheidende Gespräche, Kommunikation, die etwas auslöst, die erzählt, findet immer noch verbal statt. Die Unmittelbarkeit von filmischen Themen wie Leben und Tod, Liebe, Anerkennung und Verlust verlangt eine ebenso unmittelbare Kommunikation. Bislang bietet das Messaging maximal als Sujet erzählerische Reize, aber nicht im Alltag von Fiktionen. Doch je häufiger etwas Sujet ist, desto alltäglicher wird es.