Tatort Drehbuch: Wie die ARD Autorinnen erst benachteiligt und dann ignoriert

In Tatort und Polizeiruf sind zu wenig Autorinnen beschäftigt: 2018 waren es 6,1 Prozent. Anfang des Jahres richteten sich 76 deutsche Drehbuchautorinnen in einem Brandbrief an die ARD-Sender, forderten eine 50-Prozent-Quote bis 2021 und boten dafür die Zusammenarbeit an einem runden Tisch an – bisher vergeblich. Die Beschäftigung von mehr Frauen scheitere an der »Qualitätsentscheidung« der Redaktionen, das ist das Argument der Sender.

Das ist keine Zuspitzung, sondern ein wortwörtliches Zitat. »Kreativität lässt sich nicht quotieren. Gutes Programm braucht am Ende immer eine Qualitätsentscheidung«, so steht es in der Antwort von WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn vom Mai. Diese Beleidigung lassen die Unterzeichner*innen des Brandbriefes, die sich unter dem Namen »Tatort Drehbuch« organisiert haben, unkommentiert. Auch in ihrer jetzt erschienenen Reaktion. Sie weisen lediglich daraufhin, dass Gleichstellung und Diversität Qualität begünstigen.
Ich möchte mich angemessen hysterisch empören.
Warum diese Rücksicht? Ich nehme an, aus Gründen der Diplomatie. Eine Diplomatie, die der Senderseite umgekehrt allerdings offenbar ziemlich wurscht ist. Vielleicht, das ist jetzt Spekulation, ist diese Zurückhaltung aber auch eine Art Selbstzensur, um von sexistischen Redakteuren und Redakteurinnen (!) nicht als hysterisch wahr- und nicht mehr ernstgenommen zu werden. Für diesen Fall möchte ich hier mein männliches Privileg nutzen und mich gehörig und absolut angemessen hysterisch zu empören.

Damit der bis die geneigte Leser*in sich gemeinsam mit mir empören kann, die Zahlen:

Die Autorinnen und die Zahlen

2016 waren noch 23,2% der Tatort- und Polizeiruf-Autor*innen weiblich, ein absoluter Spitzenwert, seitdem sind die Zahlen auf 15,2% (2017) und 6.1% (2018) gesunken (Quelle). Im ersten Halbjahr 2019 waren es immerhin 12,1% Tatort-Autorinnen – allerdings ausschließlich in der Zusammenarbeit mit Autoren. Vielen Dank an Belinde Ruth Stieve vom Schspin-Blog für die Recherche all dieser Zahlen.

Seit 2011 beträgt der Prozentsatz allein arbeitender Tatort-Autorinnen 7,9% gegenüber mehr als sieben Mal so viel allein arbeitenden Tatort-Autoren. Dazu kommen 0,7% weibliche Autorenteams gegenüber zweiunddreißig Mal so vielen männlichen Autorenteams. Teams mit Autor*innen aller Geschlechter haben 10,3% der Tatorte geschrieben (Quelle).
Wie lässt sich mit dieser massiven und systematischen Ungleichheit umgehen?
Weder der alte Berliner, der alte Frankfurter noch der alte Hamburger, weder der neue Frankfurter noch der neue Hamburger, weder der Dortmunder, Dresdener, Erfurter, Freiburger, Hannoveraner, Stuttgarter, Weimarer, Wiesbadener, weder der Norddeutsche noch der Schwarzwälder Tatort sind seit 2011 von einer allein arbeitenden Drehbuchautorin geschrieben worden – bei 110 Filmen (Quelle).

Wie lässt sich mit dieser massiven und ganz offenbar systematischen Ungleichheit umgehen? Mit der Frage habe sich die ARD »in den letzten Jahren« »besonders« beschäftigt, schreibt Schönenborn, und die Debatte »in den letzten Jahren sehr intensiv geführt«. Das Ergebnis klingt für mich, der ich hysterisch und empört bin, mehr als dürftig.

Damit der bis die geneigte Leser*in sich auch weiter mit mir empören kann, hier die Bemühungen der ARD:

Die Autorinnen und die Bemühungen der ARD

Als erste Anstrengung gegen das Diversitätsproblem im deutschen Fernsehfilm nennt Schönenborn in seiner Antwort auf den Brandbrief der Drehbuchautor*innen: das Speed-Dating mit Regisseurinnen. Eines, das die ARD am Rande der Berlinale »nun schon zweimal« durchgeführt habe. Für die Problematik bei den Autorinnen habe es zwei Workshops gegeben, die die ARD gemeinsam mit dem Verband Deutscher Drehbuchautoren beim Filmfest München veranstaltet hat.

Mit dieser einen, zwei Mal durchgeführten Idee für ein Problem, das laut Stieves Zahlen mindestens seit 2011 besteht (vorher wird es nicht besser gewesen sein, die bisherige Arbeit von Stieve reicht »nur« bis 2011) hat sich der Katalog an konkreten Maßnahmen, die im Brief genannt werden, als Ergebnis der »intensiven« Debatten bereits erschöpft. Etwaige Ergebnisse nennt Schönenborn nicht. Ich kann online nichts über diese Workshops herausfinden, z.B. wann sie stattfanden, auf die von Stieve vorgestellten katastrophalen Zahlen hatten sie offenbar keinen Einfluss.
Die ARD hat sich für mehr »Ermutigung« entschieden.
Schönenborn teilt mit, die ARD habe sich »für eine gezielte Ansprache und Ermutigung« der Autorinnen entschieden. »Ermutigung«, das schreibt »der Mann« wirklich. Die ängstlichen Frauen brauchen seine Ermutigung. Solche Appelle seien allerdings »leider verhallt«, schreibt er dann. »Ansprache«, »Appell«, das ist interessant: statt den ungehörten Autorinnen zuzuhören, will die ARD weiter selber reden. (Sender halt.) Dass Schöneborn sich gerade mit 76 Drehbuchautorinnen im Gespräch befindet, die man ob des beruflichen Risikos, das sie mit ihrer Kritik eingehen, durchaus als längst mutig bezeichnen kann, scheint ihm nicht aufgefallen zu sein.

Bei einem so einfalls- wie wirkungslosen Ergebnis der Überlegungen, die die ARD-Redaktionen doch über Jahre so intensiv geführt haben wollen, müssten sich die Verantwortlichen auf einen Austausch mit den betroffenen Kreativen und über konstruktive Vorschläge wie die Quote doch freuen. Würde man meinen. Weit gefehlt.

Für etwas Empörung des bis der geneigen Leser*in zum Schluss: die Reaktionen der ARD auf den Brandbrief, beziehungsweise ihr Fehlen, wie sie in einem aktuellen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dargestellt werden.

Die Autorinnen und die Ignoranz der Verantwortlichen

Auf die Veröffentlichung der erschreckenden Zahlen im Blog bei Belinde Ruth Stieve und den Brandbrief der Drehbuchautor*innen von Tatort Drehbuch mit Gesprächsangebot und Quotenforderung gab es natürlich eine Vielzahl an Reaktionen der neun Rundfunkanstalten und ihren Redaktionen: Das bereits erwähnte Antwortschreiben von Jörg Schönenborn.

Eine angekündigte Rückmeldung der »Gleichstellungskonferenz von ARD, ZDF, Deutschlandradio und DW« (Notiz: keine Google-Ergebnisse) fand nicht statt. Eine ebenfalls angekündigte Rückmeldung der ARD und ihres Vorsitzenden, vermutlich Adressat des Brandbriefes, Programmdirektor Volker Herres, fand ebenfalls nicht statt.
Die ARD will »die Zahlen gar nicht kommentieren«. Ach so?
Als Journalist Jakob Buhre nach einer ARD-Pressekonferenz im April Herres dazu befragt, will der »die Zahlen gar nicht kommentieren«, er habe sie nicht überprüft. Das macht ratlos: Sollte die ARD solche Zahlen gar nicht selbst erheben, fragt sich, auf welcher Grundlage denn all die Jahre so intensiv debattiert wurde. Mehr als zwei Wochen nachdem Herres und die ARD den Brandbrief erhalten haben, hat sich Herres nicht einmal ausreichend über das Problem informiert. Später bricht er das Interview ab.

Das war’s. Das ist, was es bisher an Reaktionen zum Thema von den Verantwortlichen gibt. Zur Erinnerung: Nichts und die Beleidigung, dass mit einer Frauenquote von 50% die Qualität der Filme in Frage stehe.

Die Autorinnen und das Argument der Verantwortlichen

»Gutes Programm braucht am Ende immer eine Qualitätsentscheidung«, schreibt Volker Schönborn und versteht das als Argument gegen die geforderte 50-Prozent-Quote: »Kreativität lässt sich nicht quotieren« – was auch immer dieser Satz eigentlich sagen soll. Das nicht herbeigeredete sondern ganz tatsächliche öffentlich-rechtliche Kreativitäts- und damit Qualitäts-Problem ist jedoch nicht die Frauenquote sondern die Männerhegemonie in den Köpfen. Nichts ertränkt die Fantasie so sehr wie der eigene Saft. Inspiration, Erkenntnis ist eine Eingabe der Welt in die Figur, das weiß jeder bis jede aufmerksame Leser*in dieses Blogs. Kreativität entsteht erst aus Diversität. Der letzte Beweis: Die ARD kann sich eine Frauenquote nicht einmal vorstellen.

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