Brauchen wir in jedem Film einen Helden und muss es immer glücklich enden?
So einfach wie die Fragen sind die Antworten nicht. Ein Film kann durchaus anschauenswert und sogar spannend sein, wenn die Hauptfigur ein absoluter Durchschnittsmensch ist. Das erhöht sogar die Identifikationsmöglichkeit für das Gros der Zuschauer. Wir mögen nämlich Leute, die so sind wie wir, wir mögen aber auch Leute, die so sind, wie wir idealerweise wären.
Nun ist ein Film ca. 90 Minuten lang und nichts wäre so langweilig, als die ganze Zeit ständig einen Helden – modern gesprochen: ,Winner‘ – zu sehen. Um es interessant zu machen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann die Hauptfigur zunächst gar nicht als Helden starten lassen, sondern ihn in Situationen bringen, in denen er sich bewähren muss und so erst zu einem Helden werden kann. Man kann ihn als Helden starten und ihn dann zunächst einmal scheitern lassen, ihn tief in den Dreck schicken, aus dem er sich befreien muss. Oder man hat den Mut, ihn auf interessante und lehrreiche Weise scheitern zu lassen. Wenn man damit etwas erzählen kann, was der Zuschauer deshalb akzeptiert, weil er etwas lernt. Vielleicht lernt, dass es Helden in Wirklichkeit gar nicht gibt – oder gar geben sollte?
Der Mut des Autoren, Peinliches zu entdecken.
Wir merken: Held ist ein unscharfer, schwammiger Begriff der Dramaturgie und wird da anders gebraucht als im Leben. Das Gefährliche für Autoren ist, den Begriff Held zu eng und zu genau zu nehmen. Was man leisten muss ist die Differenzierung und Entwicklung der wichtigsten Figur. Auch ein Held dürfte zum Beispiel immer einen haben, der über ihm oder gegen ihn steht. Er braucht ja Reibung und die Gefahr, ein – modern talk – ,Loser‘ zu werden. Und das muss sich subtil zeigen, es darf nicht platt vorgeführt werden.
Wir machen Film, also denken wir uns Situationen aus, in denen weniger der Mund (Dialog!) als vielmehr der Körper spricht. Das braucht man für Großaufnahmen und Reaktionen, die am besten in der Stille funktionieren. Letztlich machen das zwar Regie und Schauspieler, aber der Autor sollte es im Buch so schreiben, dass das imaginiert wird. Deshalb auch der Rat, Dialoge erst als letztes zu schreiben. Ausnahme ist die Komödie, die merkwürdigerweise aber ein viel realistischeres und lebensnäheres Bild vom „Helden“ hat. Dem darf nicht nur, dem muss sogar vieles schiefgehen. Da sitzen dann die Lacher. Es sollte nur nicht so bedrohlich und tragisch schiefgehen wie im Drama.
Man sollte als Autor keine Berührungsangst vor Peinlichkeit haben. Wenn es peinlich wird, dann kommt ein guter Schauspieler erst dazu, zu zeigen, was er kann. Und der Mut, der dazu gehört Peinliches zu zeigen, beginnt beim Mut des Autoren, Peinliches zu entdecken und zu schreiben. Große Schauspieler verraten immer wieder, dass sie bei ihren Figuren nach Wunden und Kränkungen suchen, die hoffentlich im Subtext der Geschichte vergraben und angedeutet sind. Sie stellen das aber nicht aus, sie benutzen es als Folie vergangener Prägungen. Und da kann sich dann die Differenziertheit des Helden zeigen. Er ist mal mit etwas fertig geworden, was ihn aber immer wieder einholen kann. Helden sind also absolut keine Glückskinder, eben keine Sonnenseiten-Bewohner.
Film ist nicht das Leben, es erinnert nur daran.
Man lebt als Autor während des ganzen Schreibprozesses von der Idee bis zum fertigen Buch mit seinem Helden. Bedeutet: es muss etwas von einem selbst einfließen. Die Heldenreise spielt sich, zumindest in Teilen, in einem selber ab. Es ist gut, in dieser Zeit auf seine Träume zu achten. Man kann nebenher, wie Jürgen Wolff es empfiehlt, ein Script-Tagebuch schreiben. Sich damit befragen, was aus eigenen Erfahrungen in die Hauptfigur übertragbar ist.
Aber: weniger Gedanken als viel mehr konkrete Situationen, Bilder, Requisiten.
Nun zum happy ending, dem größten Kino-Klischee. Schon im Theater gab es das, oft in der Form des ,deus ex machina‘, der am Ende überraschend alles noch hinbiegt. Autoren nehmen damit Rücksicht auf ein Verlangen ihrer Zuschauer. Wenn sie gut sind, brauchen sie keinen deus ex machina, dann können sie überzeugend zu einem guten Ende hin führen. Meister darin sind amerikanische Autoren: fast alle Geschichten haben eine aufsteigende Linie: ,per aspera ad astra‘. Durch Mühsal zu den Sternen. Wie der amerikanische Mythos.
Europäische Filme beschreiben oft eine fallende Linie. Das muss wohl mit der viel längeren Kultur und deren Erfahrungen zu tun haben. Und gute Autoren können ihr Publikum davon überzeugen, dass die bittere Pille eines nicht glücklichen Endes geschluckt werden muss. Tränen am Ende können ja auch ein Ziel künstlerischer Bemühungen sein. Film ist ja nicht das Leben, es erinnert nur daran.
„DAS ist das Happy End!“
Meisterlich ist es steigende und fallende Handlungslinien erzeugen zu können. Das krasseste Beispiel dafür ist der Oscar-prämierte Film Thelma & Louise. In der Presse zunächst kontrovers besprochen, auf Hollywood-Parties kritisiert, wurde er ein Publikumserfolg und führte sogar acht Wochen lang die Bestsellerliste der Videoausgabe an. Ein Beweis dafür, dass das Publikum klüger ist als Experten es annehmen. Es hatte nämlich keine Schwierigkeiten zu begreifen, dass es letztlich sogar ein Happy End ist. Nach diesen Erfahrungen können und wollen Thelma und Louise nicht in ihr altes Leben zurück und schon gar nicht in den Knast. Und sich auch nicht von der Polizei erschießen lassen.
Das hat Regisseur Ridley Scott auf geniale Weise aesthetisch mit seinem Stand-Schlussbild vermittelt. Man sieht die Heldinnen in ihrem Auto, bevor sie in die Schlucht fallen. Keine Toten, kein Krankenwagen, kein tatütata. Denn Thelma & Louise haben etwas gewonnen. Menschlich betrachtet sind sie ,Winner‘. Autorin Callie Khouri, es war ihr erster Film, reckte bei der Oscar-Verleihung die Statue hoch und sagte: „DAS ist das Happy End!“
Um es gleich vorweg zu sagen: Ein Drehbuch werde ich sicher nicht mehr schreiben. Trotzdem interessiert mich dieser Beitrag auf den ich bei facebook gestoßen bin, denn ich habe Manuskripte für Romane geschrieben. Einen davon hat der Machandel Verlag in Haselünne (Charlotte Erpenbeck) veröffentlicht.
Ich gehe also davon aus, dass die Ausführungen vom erfahrenen Fachmann für Drehbücher, Michael Füting, auch für den Schreiber von Kurzgeschichten oder gar Romanen, wie H.P. Roentgen meint, ebenfalls interessant und lehrreich sind.
Demnach hat mich H.P. Roentgen dazu verführt, den ganzen Artikel zu lesen. Ich hab es nicht bereut.
Dazu meine Anmerkungen:
1. Was ist etwas Peinliches? Das wird wohl für jeden etwas anderes bedeuten. Und deshalb wäre ein Beispiel gut gewesen, um zu wissen, woran der Verfasser des Artikels denkt und in welche Richtung man dabei grundsätzlich denken sollte oder kann.
2. Film ist nicht das Leben, man wird nur daran erinnert oder so ähnlich. Das ist schön gesagt und gilt für ein Buch bzw. einen Roman genauso.
Im Umkehrsinn bedeutet dies, dass man etwas erlebt haben sollte. Siege und Niederlagen gleichermaßen.
Es genügt demnach nicht, nur zu Hause zu sitzen und zu lernen und zu lernen, um schließlich den Titel „Doktor“ zu schaffen. Wer nie etwas erlebt, kann sich nicht selbst in sein Schreiben einbringen, und seine Helden, die dieser Schreiber erfindet, werden keine Menschen, höchstens Übermenschen sein, denen alles gelingt. Nur das eine gelingt ihnen nicht: Die echte Sympathie der Leser zu gewinnen.
3. Das Happy End ist natürlich immer ein verlockendes Ende. Wer will schon gern Traurigkeit verbreiten.
So lange das Leben des Helden und anderer wichtiger Figuren nicht auf tragische Weise endet, endet die Geschichte eigentlich immer in einem Happy End, denn das Buch deutet es ja in den letzten Worten bereits an, dass das Leben irgendwie weiter geht.
In welcher Weise steht in der Regel nicht auf dem Papier. Der Leser kann es nur ahnen und es fängt an, in ihm nachzuhallen.
Ich weiß nicht, ob das ein Vorteil oder ein Nachteil ist. Mag sein, dass das Ende des Films Thelma und Louise genial ist. Nur dies aus meiner Sicht zu beurteilen geht nicht. Leider hab ich den Film nicht gesehen.