dramaturgische Überlegungen zu GAME OF THRONES 8.2 _ The Knight of the Seven Kingdoms

Die zweite Folge der achten Staffel setzt einerseits die Verknüpfung von Bögen zu Situationen aus dem Beginn der Serie sowie zu relevanten Nebenhandlungen fort, indem die Autoren weitere Figuren in Winterfell eintreffen lassen oder Aktionen zwischen denen, die dort schon sind, stattfinden lassen. In dieser Folge werden mehrere Konflikte von vorherigen Handlungssträngen aufgelöst, um Figuren neu positionieren zu können. Um das Prinzip der Ensemble-Dramaturgie mit zentraler Figur weiter führen zu können, werden in dieser Folge zentrale Elemente des Grund-Konflikts erinnert, neu ausgerichtet, und als Spannungsverhältnisse zwischen den Figuren dieser Staffel organisiert.

Andererseits intensiviert diese Folge im Sinne die Spannung in Erwartung der zentralen Schlacht zwischen den Lebenden, der Welt der Menschen, und dem verkörperlichten Tod und seinen Heerscharen. Dies wird als Thema in Varianten immer wieder aufgerufen – in dem Dialog zwischen Arya (Maisie Williams) und Gendry (Joe Dempsey) zum Beispiel. In deren Interaktion wird gleichzeitig auf die bestehende Schlacht, die Herausforderung sich den Engeln des Todes, Satan’s Heerscharen, zu stellen, hingewiesen, aber auch gleichzeitig der Bogen zu der Nebenhandlung und Geschichte der Figur von Arya hergestellt. Der Tod kann tausend Gesichter haben und als ‚Niemand‘ [No One] das absolut Böse verkörpern (Arendt 2007, 101, Stutterheim 2017, 87/88). Die heranwachsende Arya hat dem Tod nicht nur ins Gesicht geschaut, sondern auch in seine ‚Werkstatt’ (Season 5).

Des Thema der Konfrontation mit dem Tod und dem möglichen totalen Untergang und absoluten Vergessen taucht in dieser aktuellen Folge immer wieder auf. Hier spiegelt sich der Grundkonflikt der christlichen Weltvorstellung als dem elementaren Ringen zwischen Gott und Satan wieder, der diese Serie in ihrem Moralkodex und der Motivation der Charaktere bestimmt. Das Gute gegen das Böse. Um das Gute repräsentieren und für es eintreten zu können, muss man moralisch gut sein, seine Sünden vergeben bekommen und sich von ihnen befreien oder lossagen, für diese entscheidende Schlacht gilt es Egoismus und Eitelkeiten hintenanzustellen. Für diesen Kampf wird sogar das sonst den Kanon der Verhaltensnormen bestimmende ‚Für die Familie’ nachrangig. Die Familie gäbe es nach einem Sieg des Bösen auch nicht mehr. (cf. Stutterheim 2017, 32-43)

Wie bereits im letzten Blog-Text betont, kann ich in diesen wöchentlichen Anmerkungen nur auf ausgewählte Situationen eingehen, und diese auch nur bis zu einem gewissen Grad analysieren, um den Rahmen nicht zu sprengen. Und, Achtung, leider geht es ab hier nicht ohne konkretere Beschreibungen, Spoiler-Warnung für diejenigen, die die Folge noch nicht gesehen haben.

Als erstes, die Szene zwischen Arya und Gendry einbettend, musste in dieser Folge Jaime (Nikolaj Coster-Waldau) neu positioniert werden, da dieser eine der zentralen und dramaturgisch relevanten flexiblen Spielfiguren ist (cf. Stutterheim 2017, 94). Er wurde nicht nur als zweite Figur auf der komplementären Ebene von Kingslanding eingeführt, sondern auch als relevant für den Konflikt auf dieser Handlungsebene. Handlungen dieser Figur sind Teil des Konflikt zwischen den Lannisters und Starks, vor allem aber für den Grundkonflikt, der Frage nach dem Anrecht auf den Thron. Über die Figur des Jaime Lannister wird die Grundsituation der Problematik um die Familie der Targaryens wachgehalten. Und implizit so auf die Gralslegende referiert, in der das Land so lange bedroht ist, bis der König geheilt oder ein geheilter König dieses regiert. Jaime verkörperlicht diesen Konflikt, ist eine lebende Erinnerung an diesen, da er durch den Mord an dem letzten Targaryen-König einen Massenmord verhindert hat und den Nachfolger, der ein moralisch kranker, sündiger König war, betrügen konnte. Aus dieser Konstellation heraus, kann er als Charakter variabel und nicht einer Familien-Linie zugeordnet geführt werden. Diese Figur ist situiert als Beschützer des rechtmäßigen Königs, allerdings versteht er sich als Knight der Seven Kingdoms als Schützer des Landes und so kämpft er für die Lebenden in diesem, für dessen Fortbestand, wie es in seinem Dialog explizit ausgedrückt wird. So ist er im Sinne der Dramaturgie ein Charakter, der in der Tragödientradition für das Weiterleben der Gemeinschaft einsteht.

Die Szenen um Jaime Lannister stellen quasi den ‚Tag des letzten Gerichts‘ für Jaime dar. Er muss sich für seine Taten verantworten, seine Sünden werden gegen seine guten Taten aufgewogen. Da, wie es Jon (Kit Harrington) in einem Satz zusammenfasst, jeder Mann gebraucht wird, und insbesondere Jaime, der auch aus dramaturgischen Gründen nicht jetzt schon aus der Erzählung rausgenommen werden kann, muss diese Figur hier sich seinen Sünden stellen und aus diesem Gericht geläutert hervorgehen. Zuerst sind es die jungen Frauen, die über ihn Gericht sitzen, dann stellt er sich Bran (Isaak Hempstead Wright) und zuletzt Brienne of Tarth (Gwendoline Christie). Der Charakter des Bran gibt Jaime Absolution, da dieser damals für seine Familie gehandelt hat, was im Kontext des Moralkodex dem die Figuren der Serie folgen verständlich ist; und es nun aber letztendlich um höhere Dinge geht als das Irdische. Wie schon oben erwähnt und in früheren Texten genauer ausgeführt (Stutterheim 2017) sind für den Hauptstrang und seine Entwicklung konservativ christliche Weltvorstellungen und Traditionen maßgeblich.

Ein weiteres Moment der Erhöhung der Spannung auf den Fortgang der Serie wird hier ebenfalls eingeflochten, indem die Autoren Bran, den Seher, fragen lassen: „How do you know there is an afterwards?“

Interessant erscheint mir ebenfalls, wie die Konstellation Sansa-Daenerys in dieser Folge weiterentwickelt wird. Zur Erinnerung: dringendster Wunsch beider Frauen ist es seit Anbeginn der Serie, Königin des gesamten Reiches zu sein. Die Figur der Sansa (Sophie Turner) erhofft für sich die Position als Frau des Königs, die Figur der Daenerys (Emilia Clarke) ist zutiefst überzeugt aus Erbrechtsgründen selber Anspruch auf den Thron zu haben. Dies spiegelt implizit den Konflikt zwischen der moralisch guten, konservativen Moralvorstellungen folgenden (den alten Göttern), im Einklang mit der Natur lebenden Stark-Familie im Norden und der degenerierten und daher zum Wahnsinn neigenden Targeryen-Familie aus dem Süden. Letztere haben ihren eigenen Untergang selber provoziert, da sie sich mit dem ‚Wappentier des Teufels’, dem Lindwurm, also den Drachen eingelassen haben. Im Verlauf der Handlung waren ausreichend Situationen eingebaut, in denen die Figur der Daenerys irrationale bis überzogen grausame Entscheidungen in ihre Handlungen eingeschrieben bekam, die dieses Stigma der Familie des Südens und Intellekts und dem damit verbundenen Eindruck der Selbstüberschätzung wach hielten und bestätigten. Ein Moment der Selbstüberschätzung besteht im Normenkanon der Serie auch darin, dass eine Frau sich als zukünftige Herrscherin des Reiches sieht. Zur Vorbereitung dieser Szene zwischen Sansa und Daenerys lässt man im Innenhof von Winterfell Tyrion (Peter Dinklage) und Jaime über Daenerys und Cersei (Lena Headley) sprechen. Eine Analogie wird auch hier hergestellt und vor allem die dritte Frau, deren Lebensziel ebenfalls in der Macht über den Thron besteht, in Erinnerung gebracht.

Wie so oft im Verlauf der Serie, wird Daenerys von einem ihrer männlichen Berater geraten, etwas zu tun, das für die Erreichung ihres Zieles relevant ist, der Figur aber niemals selber in den Sinn gekommen wäre. (Nahezu alle positiven Entscheidungen, die diese Figur im Verlauf der Handlung trifft, sind von männlichen Begleitern initiiert, ihr geraten oder vorbereitet worden.) In diesem Gespräch – in dem die beiden Figuren durch das einfallende Licht eher getrennt werden als visuell verbunden – werden Machtansprüche ausgesprochen: „All my life I have known one goal: The Iron Throne.“ Wobei man sie sehr wahrscheinlich aus dramatischen Gründen bewusst ihren Bruder unerwähnt lässt, dessen Anspruch die ersten Jahre ihres Lebens bestimmt haben. Über den Moment, in dem sich das Gespräch um ihre Liebe zu Jon dreht, kommen sie sich näher, soweit, dass Daenerys ihre Hand auf die von Sansa legt, was allerdings auch eine Verkörperlichung von Hierarchie ausdrückt. Doch die Figur von Sansa lässt sich durch die Geste nicht vereinnahmen und bringt das Gespräch zurück auf den Grundkonflikt, das Machtverhältnis zwischen dem Thron im Süden/Kingslanding und The North/Winterfell, dass sich seine Unabhängigkeit erkämpft hat und diese nicht wieder aufzugeben gewillt ist. Bevor Daenerys darauf antworten kann, trifft eine Verstärkung für die Sache Sansas und ihre emotionale Kraft ein: Theon (Alfie Allen). Diese beiden Figuren, Sansa und Theon, sind seit Beginn der Serie dramaturgisch ebenso miteinander verknüpft wie die von Arya und Jon oder Arya und Gendry.

Zentral für den weiteren Verlauf der expliziten Handlung ist die Szene der Planung der bevorstehenden Konfrontation in der Mitte der Laufzeit der Folge. Da durch die eingetroffenen Kämpfer nun ein Zeitrahmen gegeben werden kann, muss man Vorbereitungen für den bevorstehenden alles entscheidenden Kampf treffen. Dies ermöglicht es, alle relevanten Figuren in einem Raum zu vereinen und Jon wieder ins Zentrum der Handlung zu rücken. Er, als der Parzival der Erzählung, ist derjenige, der das Land heilen kann, die Bedrohung beenden. Dafür ist ein Kampf unvermeidlich. Dass dieser klug vorbereitet werden muss, da ein Sieg mit Kraft alleine nicht zu erreichen ist, liegt auf der expliziten Ebene der Erzählung auf der Hand, und implizit ist ein Aufeinandertreffen des spirituell-göttlichen mit der Repräsentation des absolut Bösen, Satans, ebenso unvermeidlich. Hier wird ebenfalls über die Figuren-Bande gearbeitet, die über die gesamte Staffel bereits geführt wurden. Durch Brans Begegnung mit dem Night King und die daraus resultierende körperliche Vernetzung beider Figuren, kann Bran als Lockmittel dienen. Selbstverständlich ist die Figur des Theon die geeignetste, an seine Seite gestellt zu werden. Explizit aus dem Grunde, den die Figur selber äußert: Er hat damals Winterfell erobert als das Kind Bran dessen Burgherr war, deswegen müsse er Winterfell jetzt neben ihm verteidigen. Implizit ist Theon ebenfalls die geeignetste Figur, an Brans Seite zu stehen, da er ebenfalls eine nicht heilende physische Wunde aus der Hand einer der Figuren davongetragen hat, die das Böse in der Welt der Menschen repräsentieren. Wie Bran, ist Theon durch die Begegnung mit dem Bösen zu einem anderen Charakter gewandelt worden, entsprechend den Normen, die für den Kosmos der Serie gelten, zu einem besseren Charakter.

Arya und Gendry sind seit Episode 10 der ersten Staffel emotional miteinander verbunden. Dass die beiden in dieser Folge ein Paar werden, ist explizit folgerichtig in Relation zu der Situation in dieser zurückliegenden Handlung. Dies deutet sich in den Situationen in Folge 8.1 und der Szene zu Beginn dieser zweiten Folge bereits an. Implizit ist dies ebenfalls logisch, denn in deren Beziehung wird ein Bogen zu der Freundschaft zwischen den Figuren Robert Baratheon (Mark Addy) und Ned Stark (Sean Bean) gespannt. Arya und Gendry tragen diese Beziehung quasi auf eine neue Ebene. So gibt es für den Spannungsaufbau immernoch ein weiteres, alternatives zukünftiges Königspaar: Gendry und Arya.

Als Echo auf die Szene in 8.1, in der Sam (John Bradley) in der Krypta Jon von seiner wahren Herkunft berichtet, ist es am Schluss der zweiten Folge dieser Staffel wieder die Situation in der Krypta, in der Jon nun Daenerys eröffnet, dass er ihr Neffe Aegon Targaryen ist. Dieser Umstand schließt nicht nur eine Liebesbeziehung, also den Grund, dass die Figur der Daenerys eine sanfte und friedliche Seite entwickeln konnte, wie sie selber im Gespräch mit Sansa zum Ausdruck gebracht hat, aus. Mehrnoch, wenn Jon nun Aegon Targeryen ist, dann ist er auch der rechtmäßige männliche Erbe des Familienthrones und steht vor ihr in der Reihe der Anwärter auf diesen. Damit ist das gesamte bisherige Streben und Tun der Figur Deanerys, wie auch ihre Position, in Frage gestellt. Diese Situation ermöglicht einen weiteren Umschwung in der Handlung, mit dem auf einer weiteren Binnenhandlung in einer spezifischen Charakter-Konstellation ein neuer Konflikt eingebaut wird. Ein exzellenter Cliffhänger.

Diese möglicherweise bevorstehende Ablösung käme nicht überraschend, sie wurde bereits vorbereitet. Dramaturgisch gesehen läßt sich dies zunächst aus der Reihenfolge und Form der Einführung der Figuren ableiten/annehmen. Die Figur der Daenerys hat den Anspruch auf den Thron von ihrem Bruder übernommen und gibt diesen nun – im Sinne dessen, wie die Serie angelegt ist – dramaturgisch folgerichtig kurz vor Ende der Handlung an ihren nächsten männlichen Verwandten wieder ab. Und, im Verlauf der expliziten Handlung wurde Jon rechtzeitig mit den Drachen vertraut gemacht, die er nun von Daenerys übernehmen kann, und mit ihnen die finale Schlacht bestimmen kann. Die Verfügungsmacht über die Drachen kennzeichnet einen adligen Targaryen, das haben wir im Verlauf der Handlung gelernt. Daenerys erscheint mir als eine Übergangsfigur, die zwischen den beiden männlichen Thronanwärtern die Handlung bereichert und eine notwendige Facette gibt, aber möglicherweise der dramaturgischen Balance entsprechend, am Ende ihren Thronanspruch und Führung dieses Handlungsstrangs wieder an die zentrale männliche Figur abgeben wird. Wir werden sehen, ob es so kommt, aber es spricht einiges dafür. Denn mit dem Elternpaar, Lyanna Stark (Aisling Franciosi) und Rhaegar Targaryen (Wilf Scolding), würde der Konflikt zwischen dem Süden und dem Norden gelöst, und das Land könnte geheilt werden, würde die Figur Jon/Aegon der neue König werden.

Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Der Night King steht ja in der letzten Einstellung schon bereit, in der nächsten Folge die Handlung voranzutreiben.

 

Bibliography

Arendt, Hannah. 2007. Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik [Some Questions of Moral Philosophy]. Ungekürzte Taschenbuchausg. ed, Serie Piper. München: Piper.

Klotz, Volker. 1980. Geschlossene und offene Form im Drama (1969). 13 ed, Literatur als Kunst. München: C. Hanser.

Stutterheim, Kerstin. 2015. Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis des filmischen Erzählens, Babelsberger Schriften zu Mediendramaturgie und Ästhetik /. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang Verlag.

Stutterheim, Kerstin. 2017. Game of Thrones sehen – Dramaturgie einer TV Serie. Paderborn Fink Verlag / Brill

 

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