Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Kiss the Cook: So schmeckt das Leben (Original: Chef), Buch: Jon Favreau.
Chefkoch Karl legt sich mit einem Restaurant-Kritiker und dem Besitzer seines Restaurants an, kündigt. Seinen Ausraster im Restaurant hat ganz Kalifornien im Netz gesehen und er bekommt keine neue Jobs. Weil er also sonst nichts zu tun hat und die Beziehung zu seinem Sohn Percy und dessen Mutter, seiner Ex-Frau, besser sein könnte, begleitet er sie nach Miami. Dort bringt er zusammen mit Percy und seinem Freund Martin einen alten Imbisswagen wieder in Schuss, und zu dritt machen sie sich auf den langen Weg zurück nach Los Angeles. Wo sie halten, verkaufen sie kubanisches Essen, und das sehr erfolgreich dank Percys Social Media Marketing.
Während die Figuren wirklich gut, interessant und glaubwürdig sind (bis kurz vor Schluss), hat Chef ein riesiges dramaturgisches Problem: Die ganze zweite Hälfte hat keine Handlung. Diese zweite Hälfte besteht aus dem Road Trip von Miami zurück nach Los Angeles, und während Honig im Kopf physikalische Bewegung mit emotionaler Bewegung verwechselt, verwechselt Chef sie mit Plot. Und wieder wirkt der Roadmovie seltsam angehängt, die ganze erste Hälfte des Filmes wirkt plötzlich wie ein viel zu langer erstes Akt.
Ein guter erster Akt: Wenn ein Koch vor dem Restaurant-Kritiker ausrastet und lieber seinen Job schmeißt als weiterhin Durchschnitt zu kochen, wissen wir, dass da jemandem etwas wichtig ist. Doch das sind auch schon alle Entscheidungen, die Chefkoch Karl treffen muss. Denn während Riggan Thomson in Birdman (Der Vergleich ist naheliegend, auch wegen der Versöhnung des alt (= dicker) gewordenen Vaters mit dem Nachwuchs) um die Anerkennung der Kritikerin kämpft, besonders gegen seine Selbstzweifel, gelingt Karl alles spielend und auch das Lob des Kritikers bekommt er am Schluss quasi geschenkt.
Die zweite Hälfte des Films ist nicht mehr als eine Montage: Roadtrip, Musik, Tourismus, Foodporn. Wobei die Kombination von Tourismus und Essen (wie in Asterix‘ Tour de France) Spaß machen kann. Und diese endlose Montage endet tatsächlich aufs höchste redundant mit einer weiteren Montage: Karl schaut sich ein Video der Reise an, Sohn Percy hat jeden Tag ein einsekündiges Video gemacht und sie zusammengeschnitten.
Dieses Anschauen des Videos führt dann tatsächlich zu einer Art Erkenntnis: Karl erkennt den Wert seines Sohnes? Nein: Der Zuschauer erkennt, dass Favreau doch noch auf das Problem mit der Dramaturgie aufmerksam geworden ist. So weist Chefkoch Karl erst seinen Sohn zurück, um ihm nach Rezeption des Videos dann doch die weitere Mitarbeit im Imbisswagen zu erlauben. Warum er sie ihm überhaupt verweigert bleibt völlig unverständlich, unmotiviert, und zerstört eigentlich die oben so gelobte Glaubwürdigkeit der Figur. Na toll.
Natürlich gibt es noch andere Aspekte des Films, Qualitäten: Tourismus und Foodporn machen Spaß, wie gesagt; die Leistung der Schauspieler (die Nebenrollen sind hochkarätig besetzt) ist gut. Und Probleme: Für eine wirkliche Komödie reicht leider Qualität und Dichte der Gags nicht. Doch wir wollen uns hier auf die Dramaturgie beschränken, und die ist mau.
Kiss the Cook: So schmeckt das Leben kommt wohl erst Ende Mai in die deutschen Kinos. Ich hätte ja gern solange gewartet, damit ihr mitreden könnt, aber dann wäre es kaum noch ein Erster Eindruck gewesen. Vielleicht hat ihn jemand letzten Sommer beim Filmfest München gesehen, oder ihr habt (wie ich) das zweifelhafte Glück in einer Sneak Preview.