Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Der Marsianer – Rettet Mark Watney.
Der Marsianer – Rettet Mark Watney (Drehbuch Drew Goddard, nach dem Roman von Andy Weir) erzählt die Geschichte eines Astronauten, Watney, der auf dem Mars in einem Sturm von einem Trümmerteil getroffen, und von seinem Team für tot gehalten und zurückgelassen wird. Er überlebt den Sturm, bleibt aber mit Ausrüstung und einer Nahrungsreserve zurück, die für die Zeit, bis die nächste Marsmission eintrifft niemals ausgelegt waren.
Der Film hat leider große dramaturgische Schwächen. Der Roman wurde mir empfohlen, ich bin aber noch nicht dazu gekommen, ihn zu lesen, kann mich also auf ihn hier auch nicht beziehen. Diese Schwächen überraschen, denn die Not ist doch schnell verständlich und riesig groß: Es geht ums Überleben. Die Anstrengungen, die dazu nötig sind, sind quasi übermenschlich, zumindest hat ein Mensch noch nie etwas Vergleichbares leisten müssen.
Doch der Film spart sowohl die Not als auch die Anstrengungen aus. Marks Erkenntnis, dass er zurückgelassen und ganz allein auf diesem Planeten ist? Geschieht im Off. Seine Verzweiflung, seine immer wiederkehrende Überzeugung trotz aller Anstrengungen zu sterben? Sehen wir nicht ein einziges mal, er erzählt nachträglich seinen Studenten von. Die Anstrengungen selbst? Werden in Montagen mit Discomusik (dahin) gerafft.
Wir kennen gestrandete Menschen aus der Literatur (Robinson Crusoe) und dem Film (Chuck Noland in Cast Away): Not, Verzweiflung und übermenschliche Anstrengungen sind Genre-Konvention und notwendige Bedingung von dramaturgischer Kraft. Stattdessen wird im Marsianer das Drama in der Beziehung von Ground Control zu Marks heimreisender Crew gesucht, die zwar schwierig aber angesichts Marks Situation doch eher uninteressant ist.
Solche Probleme tauchen auf, wenn ein Autor an der Kraft seiner eigentlichen Geschichte zweifelt, oder es nicht schafft, sie gegen fremde Zweifel zu verteidigen. Dann wird nach Hollywood-Notlösungen gesucht und eine davon ist es, den Film mit B-Plots von Nebenfiguren zu überschwemmen.
Auch sonst haben Hollywood-Standards dem Film eher geschadet: Zum Beispiel der obligatorische erste Akt vor dem Mars-Sturm, der uns leider nichts erzählt. Da wünscht man sich, der Autor oder Editor hätte sich getraut, gleich mit dem Erregenden Moment einzusteigen, in medias res, denn die Not zu Überleben braucht keine Erklärung, keinen ersten Akt.
Und wo wir gerade beim Wünschen sind: Warum konnte nicht ein Werner Herzog sich des Stoffes annehmen, warum nicht jemand, der den dramaturgischen Wert von (übermenschlicher) Anstrengung erkennt und sie inszenieren kann. (Wobei wir das von Ridley Scott mindestens in Alien ja auch schon gesehen haben.)
Watney nimmt viele zusätzliche Risiken in Kauf, er verbrennt zum Beispiel Wasserstoff und setzt sich radioaktiver Strahlung aus. Doch die Rückschläge, die ihm geschehen sind nie die Konsequenz seiner Handlungen, sie passieren zufällig. Der Marsianer – Rettet Mark Watney irritiert mit Problemen, die eigentlich schon im Buch mit geringer dramaturgischer Erfahrung zu erkennen gewesen sein müssten.
Vielen Dank für die Analyse. Da ich das Buch gelesen habe, kann ich noch beisteuern: Die Verfilmung ist sehr werkgetreu. Es wird natürlich verknappt, aber die grundlegende Struktur mit all ihren Schwächen ist genau so in der Vorlage; zum Teil sind die Probleme dort sogar noch ausgeprägter als im Film.
Schade. Danke für den Hintergrund!
Dieser Artikel von Ron wäre für Weir vielleicht hilfreich gewesen: ;-)
https://filmschreiben.de/erzaehloekonomie-was-prosa-autorinnen-von-film-autorinnen-lernen-koennen/