Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute der Essay „Ein Film von…“ oder „Autorentheorie ohne Autoren“ von Hartmann Schmige.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
Hartmann Schmige: In der Autorentheorie, im #Autorenkino kommt der Autor gar nicht vor. Doch ohne gutes #Drehbuch gibt es keinen guten Film. — filmschreiben (@filmschreiben) 6. November 2015
In 50 Worten (Was ist das?): Wenn wir im Kino oder vor dem Fernseher „Ein Film von…“ lesen, folgt daraufhin für gewöhnlich der Name des Regisseurs. Der Drehbuchautor wird trotz seiner oft schwierigsten Leistung ignoriert, sowohl von anderen Filmemachern, als auch von Kritikern, Historikern, Festival- und Museumsleitern. Das verdanken wir der völligen Einseitigkeit der französischen Autorentheorie.
Die Erkenntnis: Den Autoren fehlt die Berufsbezeichnung, wenn die Regisseure die Autoren sind. Das ist nicht das einzige Problem, aber dieses und alle daraus folgenden Probleme rühren aus der selben Ursache, dem selben Fehler: Der Einseitigkeit der Autorentheorie. Denn nicht nur Regisseure, auch Drehbuchautoren haben eine Handschrift, die sich quer durch ihr Werk durchsetzt und die es Wert wäre, untersucht zu werden.
Die Idee ist interessant: Warum gibt es eigentlich noch keine Filmgeschichte entlang von Drehbuchautoren, wie es sie zu genüge entlang von Regisseuren gibt? Oder gibt es sie schon, und wir/ich? kenne/n sie nur nicht? Vielleicht ist das ein schönes Projekt für unser gerade angebrochenes zweites filmschreiben-Jahr: Filmgeschichte schreiben.
Hartmann Schmige ist Gründungsmitglied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren, Autoreninteressen sind ihm offenbar ein großes Anliegen. Er verbindet seine Beobachtungen auch gleich mit einer Reihe von Forderungen, die die Gleichberechtigung unter den Filmschaffenden, besonders der von Regisseur und Autor fördern sollen. Der Text ist über zehn Jahre alt, verändert hat sich bedauerlicherweise seitdem doch scheinbar nicht besonders viel.
Das Zitat:
[Frank] Capra inszenierte in den dreißiger Jahren in Hollywood eine Reihe erfolgreicher Filme, in denen Sozialkritik und Humor eine gelungene Ehe eingingen. Man nannte das den „Capra Touch“. Nur, die besten dieser Filme […] stammten aus der Feder von […] Robert Riskin, dem die ständige Preisung des „Capra Touches“ allmählich gehörig auf die Nerven ging. Eines Tages reichte es ihm. Er stürmte in Capras Büro, knallte ihm 120 leere Seiten auf den Tisch und sagte: „Now put your famous Capra Touch on that.“
Von Interesse ist vielleicht meine Meinung zu Schmiges Ausführungen und Forderungen. Für mich bräuchte es keine konsequente gleichberechtigte Nennung, aber das ist vielleicht ähnlich wie bei der Gleichberechtigung von Frau und Mann, zuerst braucht es Quoten für Gerechtigkeit.
Tatsächlich glaube ich, dass sich bei Filmen feststellen lässt, wem er „gehört“. Ich habe an Stoffen gearbeitet, die eindeutig meine waren, an solchen, die eindeutig die der Regisseure waren, oder eindeutig die der Produzenten, sogar eindeutig die der Kameramänner. Es mag sein, dass da die Ansichten schon einmal auseinandergehen, aber darüber lässt sich in einem guten Team auch diskutieren. Es ist ja nicht so, dass nach „Ein Film von…“ der Drehbuchautor nie genannt wird, das habe ich zum Beispiel bei Filmen von Wolfgang Menge gesehen.
Eine grundsätzliche Nennung des Regisseurs als „Quelle“ des Films halte auch ich für falsch, aber sie kann richtig sein, selbst wenn nicht der Regisseur selbst, sondern ein Autor das Drehbuch erarbeitet hat. Wer würde bestreiten, dass Hitchcock-Filme Hitchcock-Filme sind. Und manchmal ist die Handschrift des Regisseurs so stark, dass die Regel, dass es ein gutes Drehbuch für einen guten Film braucht tatsächlich nicht mehr gilt, siehe David Fincher.
Ein letzter Punkt: Wir sind auch ein bisschen selbst Schuld. Ich kenne kaum einen Autoren, der seine Arbeit gut kommuniziert. Es gibt einen Grund warum jeder denkt, er könnte schreiben: Er kann es und so schwierig ist es nicht. Es ist gerade als professioneller Autor dann besonders schwer zu sagen, wie viel Schwierigkeit und Verzweiflung manchmal in einem Stoff stecken. Wir graben sehr tief und das tut uns nicht immer gut und manchmal kommen wir kaum wieder heraus. Manchmal kommen wir auch nicht mehr heraus, es gibt genug Autoren die nicht gesund geblieben sind. Das braucht jedoch bestimmt nicht jeder Stoff, und auch das müssen wir dann ehrlich kommunizieren. Autoren vermitteln, und wir sind die einzigen, die Verständnis für unsere Arbeit vermitteln können.
Das letzte Wort:
Jean Gruault, einer der Drehbuchautoren der Neuen Welle, hat in einem Interview einmal gesagt: „Uns alle verband ja die Freundschaft, eine Kameradschaft von Leuten, die im gleichen Metier arbeiteten. Ich fand eigentlich immer, dass sie Autorentheorie eine journalistische Fiktion ist, eine Konstruktion, eine Vereinfachung für den Publikumsgebrauch. Eine Mystifikation! […]“
Hartmann Schmige: „Ein Film von…“ oder „Autorentheorie ohne Autoren“. Hier zu lesen auf seiner Website.
Gewöhnlich bedeutet der Credit EIN FILM VON…, dass der Regisseur auch das
Drehbuch geschrieben hat. Wenn dem nicht so ist und der Credit lautet so, dann
sollten Autoren ruhig ihren Anwalt einschalten. Drehbuchautoren sollten langsam mal anfangen, ein stärkeres Selbstbewusstsein zu entwickeln…
Das ist gar nicht so einfach, ohne eine solche Identifizierung des Films über den Autor wie es schon beim Regisseur geschieht ist der Autor vor allem auch: ersetzbar. Dann laut zu werden und auf Probleme aufmerksam zu machen ist schwierig.