Erster Eindruck: The Happy Prince

Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: The Happy Prince, Buch und Regie (und Hauptrolle): Rupert Everett.

Oscar Wilde flieht nach seiner Haftentlassung vor der gesellschaftlichen Ächtung seiner Homosexualität im viktorianischen Großbritannien aufs europäische Festland und verbringt die letzten Jahre seines Lebens unter falschem Namen in Armut, seltsamem Luxus, und einer fragwürdigen Beziehung. Immer auch gegen die Freunde, die ihn unterstützen, und fast ohne Kontakt zu seiner Ehefrau bzw. ganz ohne Kontakt zu seinen jungen Söhnen.

The Happy Prince ist ein letzter Akt. Sowohl metaphorisch für das Ende eines Lebens, als auch dramaturgisch als Ende der Erzählung: Alle wichtigen Entscheidungen sind schon gefallen, die Wendepunkte liegen in der Vergangenheit; es gibt keine Ziele mehr, die es zu erreichen gilt, und keine Bedürfnisse, die noch erfüllt werden könnten; es wartet weder Triumph noch Scheitern. Wilde verkauft Stücke, die er nie schreiben will: Er wartet auf den Tod.

Bis dahin, bis er schließlich stirbt, genießt er, was ihm Weniges geblieben ist: etwas Sex, etwas Drogen, etwas Gesellschaft, etwas Freundschaft, etwas Aufmerksamkeit. Vielleicht (selbst-)zerstörend, aber dazu scheinen ihm Wille und Energie zu fehlen, eher (selbst-)störend. Überhaupt scheint ihm wenig von Wert zu sein. Die Menschen um ihn behandelt er als Objekte für den eigenen Zweck; dass es anders sein könnte zeigt sich selten unter dieser Maske.

Bis dahin, bis er schließlich stirbt, versucht der Zuschauer (auch anhand einiger Flashbacks) zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wie ein Mensch so wird. Wie Wilde an der systematischen Repression der viktorianischen Gesellschaft scheitern musste, und an der persönlichen Häme brach. Wie er mit dem völligen Unwillen, sich diesen Bedingungen eines Lebens zu unterwerfen reagierte und dafür sein Leben schon drei Jahres vor seinem tatsächlichen Tod beenden musste.

Es gibt in der Komödie den Plot des character, who cannot be put down: Eine Figur, die von der Welt verändert werden soll, die aber standhaft bleibt, wie sie ist. Homer Simpson, Forrest Gump, Mr. Bean, Mr. Chance. Im Western ist es ähnlich: Der Drifter ändert die Welt, nicht die Welt den Drifter. Doch Oscar Wildes Welt lässt sich nicht ändern, und sie lässt sich auch nicht glücklich ignorieren. Im Drama ist dieser Plot eine gesellschaftliche Tragödie, denn es ist die Gesellschaft, die gescheitert ist.

The Happy Prince ist kein spannender und kein dramatischer Film, jede Spannung und jeder dramatische Konflikt hat sich schon weit vor Beginn der Erzählung aufgelöst. Alle Fragen sind längst beantwortet. Er ist ein dritter Akt, der sich viel Zeit nimmt, den zweiten Akt zu betrauern. Wie in anderen Erzählungen von Opfern, steht hier Gesellschaft zur Diskussion: Wer bestimmt die Notwendigkeit, damit die Einsicht darin dann Freiheit ist?

2 Gedanken zu „Erster Eindruck: The Happy Prince“

Schreibe einen Kommentar