(Aktuelle) Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Nebel im August, Buch: Holger Karsten Schmidt, nach dem Roman von Robert Domes.
Ich schreibe hier erst spät über diesen Film, weil ich im vergangenen Sommer nicht aufmerksam genug war, und er, als er schließlich meine Aufmerksamkeit hatte, nicht mehr im Kino lief. Jetzt hat ein Kino ihn im Rahmen eines Sonderprogramms ausgestrahlt und ich habe die Gelegenheit natürlich wahrgenommen. Tatsächlich ging es hier aber schon einmal um ihn, in der Besprechung des Gesprächs mit Produzent Ulrich Limmer bei FilmStoffEntwicklung 2016.
Der jenische, dreizehnjährige Ernst Lossa wird 1944 in die Heil- und Pflegeanstalt Sargau eingewiesen, wo die Patienten nicht geheilt, sondern als Arbeitskräfte missbraucht werden und anschließend dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer fallen. Anstaltsleiter Dr. Velthausen betreibt das ganz überzeugt und engagiert. Ernst freundet sich mit der zweifelnden Schwester Sophia, dem Hausmeister und der gleichaltrigen Patientin Nandl an, kommt dem Morden auf die Schliche und leistet Widerstand, bis Velthausen Ernst schließlich umbringen lässt.
Nebel im August verwirrt mich und meinen dramaturgischen Blick. Der Protagonist ist hier so wenig Protagonist, so wenig Ersthandelnder; die Erzählung ist so oft bei seinen Gegnern oder Verbündeten, und doch konzentriert auf ihn; das größte Opfer erbringt eine Andere; der ergreifendste Moment ist die Trauer eines Anderen.
Ich bin mir sicher, dass man einige dieser und anderer Irritationen als dramaturgische Schwächen bezeichnen kann, andere wiederum sind nicht „falsch“, sondern fremd! Weil unsere herkömmliche Dramaturgie daran scheitert, Opfer zu erzählen: Dramatische Helden sind verantwortlich für ihr Schicksal – Opfer sind es nicht.
Wer also nach dramaturgischen Problemen in Nebel im August suchen will, der muss zuerst sortieren, welche vermeintlichen Fehler auf die Notwendigkeit einer solchen alternativen Opfer-Dramaturgie zurückzuführen sind, und welche nicht. Spätestens hier muss dann auch deutlich sein, dass Dramaturgie weit mehr ist, als das Malen nach Zahlen anhand vorgefertigter Beat Sheets und Strukturmodelle.
Ich kann das nicht nach einem ersten Eindruck tun. Aber ich möchte hier ankündigen, dass ich an der Frage dran bleiben werde, wie wir Opfer erzählen können. Denn das wir das tun ist wichtig, bis weit über das fiktionale Erzählen hinaus. Viel zu oft interessieren wir uns bei Tragödien mehr für den Täter als für die Opfer, dabei könnte (sehr grob vereinfacht) Empathie mit den Opfern statt Faszination mit dem Täter vielleicht künftige Tragödien (und auch diesen Begriff gebrauch ich jetzt grob) verhindern.
Nebel im August funktioniert, doch wie schon geschrieben ist die eigentliche Frage nicht ob, sondern wie er funktioniert. Wir nehmen Anteil an Ernsts Schicksal, vielleicht weil er ihm ausgeliefert ist. Weil uns seine Machtlosigkeit und diese Ungerechtigkeit genauso entrüstet wie ihn. Aber auch, weil er sich dagegenstemmt, weil er sich anstrengt, statt aufzugeben.
Anstrengung ist Ausdruck eines Ziels, in Ernsts Fall ist das Amerika, und Ausdruck von Motivation, in Ernsts Fall zu Überleben, was nicht groß erklärt werden muss. Doch es geht ihm nicht nur um das eigene Überleben und das der anderen. Dass das zum Dilemma führen kann, zeigt uns der Film leider nicht: Als Ernst mit Nandl fliehen will, wird er von Bomben daran gehindert, nicht weil er Schwester Sophia und Patientin Amelie noch vor ihnen retten will. Doch inwiefern das so etwas eine Schwäche ist, will ich hier gar nicht entscheiden, es würde Ernst wieder zum Herrn über sein Schicksal machen, und das ist wie gesagt, moralisch eher fragwürdig.