Längst haben wir die Ideensuche abgeschlossen, die Story durch Logline, Outline, Plotten und Treatment greifbarer gemacht und uns ausführlich mit unseren Figuren beschäftigt. Zeit, die ersten Zeilen des Drehbuchs zu schreiben – endlich. Schließlich ist die ganze zermürbende Vorarbeit nun abgeschlossen.
Aber ist sie das wirklich?
Können wir uns nun hinsetzen und von vorne nach hinten herunterschreiben, was wir uns über die vergangenen Tage und Wochen ausgemalt haben, im Kopf oder auf großen Leinwänden mit Tonnen bunter Klebezettel konzipiert haben? Yes, we can. Und doch – ein paar Fragen wären da noch offen, bevor es wirklich losgehen kann.
An sich ist alles klar – wir wissen wo die Reise hingeht
Viele Fragen haben wir uns im Laufe der Stoffentwicklung schon beantwortet. Viele davon nicht einmal bewusst. Umso wichtiger, dass wir uns an diesem Punkt der Arbeit noch einmal bewusst machen, ob wir wirklich alles durchgeplant haben und wissen, wovon wir eigentlich sprechen.
Fragen an das Projekt selbst
Der Film oder die Serie, die wir gerade zusammenfügen, begleitet uns schon seit einer ganzen Zeit. Aber ist er oder sie eigentlich wirklich so besonders, wie wir denken? Ist er oder sie es wert, dass wir unsere gesamte Energie hineinstecken?
- Was macht mein Projekt zu einem besonderen Film / einer besonderen Serie?
- Womit sticht es aus dem Mainstream heraus (außer wir wollen Mainstream)?
- Was ist der USP? (= Unique Selling Point)
- Ist die Geschichte / die Figuren / der Twist es wert, nun das Drehbuch zu schreiben oder handelt es sich nur um einen Luftballon, eine Fingerübung?
- Was möchte ich, dass mein Zuschauer aus diesem Projekt mitnimmt?
Wenn wir auf halber Strecke, z. B. am Midpoint, der einfach nicht funktionieren will, plötzlich feststellen, dass wir auf dem falschen Dampfer waren, auf das falsche Pferd gesetzt haben, haben wir uns nicht genug Gedanken über unser Projekt gemacht.
Damit uns die Frustration erspart bleibt, sollten wir den unangenehmen Fragen nicht aus dem Weg gehen. Ein kritischer Blick auf das eigene Projekt, am besten mit ein paar Tagen zeitlichem Abstand, oder befeuert durch ein zweites Paar Augen und Ohren, kann da Wunder wirken. Und auch wenn die kritische Hinterleuchtung dazu führt, dass wir den Stoff erst einmal in die Schublade legen – umsonst haben wir daran nicht gearbeitet, garantiert.
Fragen an die Geschichte
Wenn wir zufrieden sind mit den äußeren Umständen, sollten wir einen genauen Blick in das Konstrukt hinein werfen. Denn auch hier vermögen wir nur mit einem kritischen Blick verstehen, ob das Gerüst sicher im Boden verankert ist oder ob es (noch) auf tönernen Füßen steht.
- Was ist der Hauptkonflikt in meiner Geschichte?
- Wo wird das erste Anzeichen dieses Konfliktes deutlich?
- Wie viele Steigerungen gibt es, bevor die Handlung kippt?
- Wo kippt die Handlung?
- Wie generiert sich aus dem Höhepunkt des Konflikts die Lösung?
- Wenn es keine Lösung gibt, wie wird die Katastrophe eingeleitet?
- Was genau ist die Lösung bzw. die Katastrophe?
- Welche Form hat der Verlauf meines Konflikts und damit der Handlungsbogen? Ist die Handlung steigend? Fallend? Zirkulär? Eine Mischung?
Neben der Handlung, die durch den Konflikt (oder sogar mehrere, ineinander verwobene Konflikte) gesteuert wird, sollten wir zudem unsere Welt sowie den Look & Feel unserer Story unter die Lupe nehmen.
- Wo knüpfen die Zuschauer an meine Welt an? Was macht sie für sie interessant?
- Mit welcher Atmosphäre steige ich in die Handlung ein?
- Wirft die Eingangs-Sequenz die richtigen Fragen auf?
- Wechselt die Atmosphäre? Gibt es Brüche oder bleibt der „Ton“ der Handlung erhalten?
- Wird der Zuschauer überrascht? Darf er sich in der angenommenen Welt „sicher“ fühlen?
- Was löst die Atmosphäre im Zuschauer aus?
Fragen an die Figuren
Zum Schluss sollten wir noch einmal unsere Figuren unter die Lupe nehmen, denn auch hier können sich noch ein paar Fallstricke verbergen, die wir bei aller Planung dann doch übersehen haben. Sind meine Figuren überhaupt interessant genug, um den Zuschauer mit auf die Reise zu nehmen? Eine Auswahl:
- Was macht meine Hauptfigur interessant?
- In welchem Verhältnis stehen die Nebenfiguren zur Hauptfigur und macht sie das interessanter oder weniger interessant?
- Was ist das Ziel des Protagonisten? Was ist sein „Want“, was sein „Need“? Was braucht er, das er nicht bereit ist zu erkennen?
- Wie verhindert das „Want“ das „Need“? Ist die Spannung zwischen den beiden ausreichend?
- Was steht für meine Hauptfigur auf dem Spiel? Was hat sie zu verlieren?
- Wie weit muss meine Hauptfigur gehen? Wie weit in die falsche Richtung? Wann und wie schafft sie es, umzukehren?
- Wer sind die Verbündeten meiner Hauptfigur? Wer sind ihre Gegenspieler? Welche Figuren wechseln im Verlauf der Handlung die Seite und wie wirkt sich das auf meine Hauptfigur aus?
Die erste Szene
Wenn alle Fragen abschließend geklärt sind, kann es losgehen. Die erste Szene, die erste Regieanweisung. Die erste Atmosphäre.
We can cover that by a line of dialogue...