FSE16: YouTube and beyond

Wenn zu VeDRAs Fachtagung FilmStoffEntwicklung, wenn zum »Tag der Dramaturgie« ein Dramaturg und Drehbuchautor mit Blick auf YouTube fragt „Nützt Dramaturgie denn gar nichts?“, dann muss das interessieren und alarmieren. Nicht nur, weil wir als Branche noch einige Schritte in die Digitalität vor uns haben, sondern auch, weil dort im world wide web möglicherweise ein neuer Zuschauer mit neuen Sehgewohnheiten heranwächst, die uns noch unbekannt sind.

Referent Jonas Ulrich stellt uns YouTube vor, zumindest die deutsche YouTube-Szene: Gronkh, der live Videospiele spielt und dabei kommentiert; LeFloid, der Tagesgeschehen zu Pointen macht; und Bibi, die Schönheits-Tipps gibt. Und die damit alle eine ungeheure Menge Geld verdienen. Das, so muss man bei der Ausgiebigkeit, mit der dieser Aspekt beleuchtet wird befürchten, ist scheinbar der vorherrschende Grund, warum sich deutsche Film- und Fernsehschaffende mit dieser neuen Form auseinandersetzen sollten: Um Geld zu machen.

Dass auch ganz unabhängig vom Geld die YouTube-Szene blüht, und das mit erfreulich informativen und weit weniger befremdlichen Inhalten, als Ulrichs deutsches Trio sie hochlädt, wird nicht angesprochen. Videos wie John Greens Why Are American Health Costs So High? (7 Millionen), Tony Zhous How to Do Action Comedy (6 Millionen), oder Extra Credits‘ The First Punic War (1 Million Aufrufe), die nicht oder kaum mit Werbung versehen sind, kommen bei Ulrich gar nicht vor.

FSE16, Youtube and beyond, Jonas Ulrich
Photo: André Wunstorf. VeDRA, FilmStoffEntwicklung 2016.

Das ist schade, denn tatsächlich soll es in seinem Vortrag statt um die wirtschaftlichen Möglichkeiten ganz im Sinne von FilmStoffEntwicklung doch darum gehen, „ob und wenn ja, welche dramaturgischen Kniffe vonnöten sind, um auf YouTube erfolgreich Serien zu produzieren.“ Vielleicht hoffe ich einfach anders als Jonas Ulrich, dass es nicht erst ein wirtschaftliches Argument braucht um meine Kolleginnen und Kollegen Dramaturgen, Autoren, Filmschaffende für die neuen Formen und Möglichkeiten zu interessieren.

Ulrich stellt zwei äußerst erfolgreiche fiktionale YouTube-Serien vor: Video Game High School und #Tubeclash. VGHS erzählt komödiantisch von einem Jugendlichen, der durch viel Glück einen Platz an einer Schule fürs Videospielen bekommt. #Tubeclash versammelt animierte deutsche YouTube-Prominenz und lässt sie in einer Mischung aus Dschungelcamp und Hunger Games gegeneinander antreten – oder auch nicht: Nach Eingaben durch Zuschauer veränderte sich die Handlung wohl sehr drastisch.

Dass nonfiktionale Videos so viel mehr Erfolg haben als fiktionale, dass VGHS dramaturgische Schwächen hat und #Tubeclash quasi ganz auf Dramaturgie und kohärente Handlung verzichtet führt Ulrich zu seiner Frage, ob denn unsere Dramaturgie auf YouTube gar nichts nütze. Und die Frage ist oder wäre auch so interessant, wie sie sich eingangs dargestellt hat, wenn sie angesichts der vorgestellten Werke nicht etwas haltlos wäre.
… eine Branche, die YouTube-Zuschauer erreichen will, muss
VGHS funktioniert vergleichsweise klassisch; die von Jonas Ulrich identifizierten dramaturgischen Probleme, die diskutabel sind, gibt es so auch oft genug in Film und Fernsehen, ganz unabhängig vom Erfolg dort. #Tubeclash greift ganz unabhängig von der Qualität seiner Handlung auf Erfolgselemente der Satire (vgl. Drawn Together) und auf Prominenz (zumindest in der Zielgruppe) zurück – Stars in schlechten, wegen ihnen dennoch erfolgreichen Werken kennen wir auch schon aus Film und Fernsehen. Und der Erfolg der non-fiktionalen YouTube-Shows mag wenig mit unserer Branche vergleichbar sein, erinnert aber stark an den verschiedenster Boulevard-Zeitschriften.

Der Blick auf YouTube, seine Möglichkeiten und die Ergebnisse dieser Möglichkeiten ist durchaus interessant und auch sehr wichtig für eine Branche, die diese Zuschauer erreichen will und muss, sowohl technologisch als auch inhaltlich. Die Feststellung, dass sich dort Geld verdienen lässt, ist für diese Veränderung wichtig, denn wir brauchen nicht nur aufgeschlossene Erzähler, sondern auch Sender und Produzenten, die mitziehen. Und man muss Jonas Ulrich sehr dankbar dafür sein, dass er sein Publikum an dieses Neuland heranführt.

Welche Schlüsse wir daraus ziehen, das müssen wir allerdings tiefer, sorgfältiger – und am besten: gemeinsam – überlegen.

Weitere Artikel zu den Veranstaltungen auf FilmStoffEntwicklung 2016 folgen.

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