Houellebecqs UNTERWERFUNG im Fernsehen

Als Methusalem dieses filmschreiben-Blogs habe ich ein paar Tage gewartet, weil ich jüngeren Kollegen in diesem Fall den Vortritt lassen wollte. Ist das so, dass dieser Ausnahme-TV-Film, Unterwerfung, keiner näheren Betrachtung und Diskussion für würdig betrachtet wird? Mich jedenfalls hat es am letzten Mittwoch vor dem Fernseher geradezu gerissen, ich fühlte mich in die Zeit vor 50 Jahren zurückversetzt, wo das TV-Spiel noch ein Experimentierfeld war und seine Quellen Theater und Journalismus.

Oder meint man, dass die überwiegend positiven Kritiken schon alles sagen? Brave Kritiken übrigens, die, von einer Ausnahme in der SZ vielleicht, zu wenig auf das Neue und Außergewöhnliche dieses Films hinweisen. Mich überrascht nicht, dass sich fast alle an demselben Kritikpunkt aufhängen: die aktuelle Miteinbeziehung der G-20-Gewaltproteste in Hamburg, die sich gerade zur Drehzeit ereigneten. Kritiker fühlen sich ja nur als Kritiker, wenn sie irgendein Haar in der Suppe finden, sei es auch noch so klein. Zu ignorieren eine Kritik, die sagt DAS geht gar nicht. Gemeint ist da das Thema. Da wird einfach die Kunstfreiheit der Verfassung infrage gestellt.
Von der Autoren-Freiheit Gebrauch machen.
Das hier soll nun keine Nacherzählung und auch keine Kritik sein, sondern auflisten, was da an Außergewöhnlichem und Neuem geleistet worden ist. Und es soll Autoren vielleicht Mut machen, einfach etwas zu probieren. Will sagen von der Autoren-Freiheit Gebrauch zu machen. Nicht diese Schere im Kopf zu haben und ängstlich immer daran zu denken, was Redakteure wohl sagen werden.

Somit geht im Fall Unterwerfung das erste Lob an die Redaktion, die dieses Konzept akzeptiert und den Film zur Hauptsendezeit platziert hat. Es geht also doch! Knapp zwei Millionen Zuschauer gegen Jurassic World ist zwar kein Erfolg, aber warten wir doch ab, wie es aussieht, wenn der Film dann durch alle Dritten gegangen ist.

Dann Anerkennung für den Autor Titus Selge, der auch der Regisseur ist. Unterwerfung ist ein „Skandalbuch“ vom „Skandalautor“ Houellebecq. Die Filmrechte hat sich schon Oliver Stone – wer denn sonst? – gesichert. Ich weiß allerdings jetzt schon, dass ich mir, infolge knapper Restlebenszeit, diesen Film nicht anschauen werde. Stones Filme sind immer völlig ironiefrei und zu knallig.
Verdammt gute Dramaturgie. Ein Lehrstück geradezu.
Großes Lob für die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, Karin Beier. Einfach einen Roman nehmen und auf die Bühne stellen und allein von der Hauptfigur erzählen lassen – dazu gehört Traute und Regie-Können. Dass es nicht nur gelingt, sonder zum größten Erfolg des Hauses seit 2016 wird. Immer ausverkauft, und dieses Theater hat ja sehr viele Plätze. Diese Realisierung gestützt von einem ganz einfachen, aber funktional und aussagekräftig-symbolischen Bühnenbild ist schlicht genial.

Die Haupt-Verantwortung für diesen Erfolg geht an den Schauspieler Edgar Selge. Das ist keine einfache Rolle, von der Konditionsleistung mal ganz abgesehen. Denn die Figur hat nun gar nichts, was in den Dramaturgien von Theater & Film als Held bezeichnet werden könnte. Trotzdem können die Zuschauer offenbar viel damit anfangen, wie die Zwischenschnitte auf das Theaterpublikum beweisen. Da spürt man, dass es nicht nur Bewunderung für den Schauspieler Edgar Selge ist, sondern auch Amüsement über die Sentenzen, die dieser Figur rauslässt.

So großartig die Inszenierung auch ist, nur dieses Theaterereignis abgefilmt hätte die Sache im anderen Medium schwächer gemacht. Also werden bestimmte Szenen nicht erzählt sondern gezeigt. Die Auswahl dessen, was erzählt wird und was gezeigt, also dramatisiert, wird, ist extrem gut gelungen: sowohl in der Platzierung als auch im Umfang und vor allem in den geschmeidigen Übergängen. Das ist verdammt gute Dramaturgie. Ein Lehrstück geradezu. Da ist erspürt, wie Figuren in der Anschaulichkeit eben doch noch deutlicher werden können. Aber der erzählende Theatertext immer wieder bringt auch enorme Zeitersparniss.
Immer wieder fragen, wie man etwas anders machen kann.
Und da Houllebecq ein Sprachkünstler ist, übrigens der Hauptgrund, warum man das aufs Theater stellen konnte, wo ja Sprache das Leitmedium ist, fallen die auf der Basis von Houllebecq ins Filmdramatische übertragenen Dialoge nicht ab – oder man merkt es nicht, weil hier dann die Bilder das Leitmedium sind.

Buch und Stück und Film sind starker Tobak. Vielleicht deshalb noch anschließend eine ARD-Diskussion bei Sandra Maischberger. Die habe ich aber bald abgeschaltet, weil man nach hochwertiger Ästhetik das Talk-Show-Gequatsche (sorry) nicht ertragen kann. Es ging da wieder mal nur um den Content. Nie wird bei solchen Anschlussdiskussionen die Ästhetik des eben Gesehenen mit einbezogen. Und so war hier die Hauptfrage, ob so eine Fiktion sich in der Realität überhaupt ereignen könnte. Necla Kelek sagte dazu einen klugen Satz, in etwa so: vor 20 Jahren hätte ich auch nicht gedacht, was heute in der Welt los ist: Trump und Erdogan…

Fazit für Autoren & Dramaturgen: Versuchen, ausgetretene Pfade beim Entwickeln zu verlassen. Auch mal die meisten der Drehbuchschreiben-Ratgeber vergessen, die immer so sicher sind, wie etwas gehen muss. Das ist mitverantwortlich für diese Einheits-Soße im Fernsehen. (Auch Redakteure halten sich an diese Bücher.) Sich immer wieder fragen, wie man etwas anders machen kann. Origineller. Besser. Den Erwartungshorizont der Zuschauer inhaltlich wie formal überschreiten. Denn Neues, Unerwartetes ist nach der Rezeptions-Ästhetik abgrenzend zur bestätigenden Unterhaltung das KUNST-Kriterium.

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