Polizeiruf 110: Heilig sollt Ihr sein! – Geht das?

Da wurde eine Grenze überschritten. Inhaltlich und geschmacklich. Diesen Film hätte man nicht senden sollen! – Schon allein weil da gleich mehrere Menschen gezeigt wurden, die mittelalterliche religiöse Vorstellungen hatten. Katholiken, es handelt sich ja um Polen.

  • Ein junger Mann, der sich für den Propheten Elias hält. Er weiß alles über den, so wie in Mendeslssohns Oratorium beschrieben. Unser Elias soll seinen Vater geheilt haben und nun den Auftrag erhalten haben, eine Abtreibung auf der deutschen Seite der Grenze zu verhindern. Das tut er, indem er, als Laie, das Kind aus dem Bauch der Mutter schneidet. Die dabei ihr Leben lässt. Dann schleicht er sich später in die Anatomie und meint die Tote wieder zum Leben erwecken zu können. All das sehen wir.
  • Die Mutter des Kommissars, auch eine Polin, hat Darmkrebs. Sie betrachtet es als Strafe Gottes, weil sie den Kontakt zu ihrem Sohn abgebrochen hat. Dieser Sohn war als Kind schwer erkrankt und sie ist mit ihm nach Lourdes gefahren und da war er wieder gesund. Der Sohn muss große Kraft aufwenden, seine Mutter von einer Operation zu überzeugen.
  • Elias Mutter findet ihren Sohn so merkwürdig, dass sie mit ihm zu einem Priester geht.
  • Der vollzieht, und auch das sehen wir, einen Exorzismus – eine Teufelsaustreibung. Als Elias endlich in Polizeigewahrsam ist, sticht die Mutter des Kommissars aus gläubiger Verantwortung die Sache an die Presse durch.
  • Ganz schön viel und ganz schön dicke. Mein Problem: alle Katholiken sind Polen. Man weiß zwar, welche Rolle der Katholizismus in Polen spielt, immer noch – aber diese Häufung ist diskriminierend. Punkt 1 meiner Kritik.

    Aber es kommt noch schlimmer: die junge Mutter wird von der Gerichtsmedizin als jungfräulich ausgewiesen. Wie das? Es bestätigt natürlich die Polen-Fraktion. Das gab es ja schon mal bei Maria, Jesus Mutter. Die Schwangere hat hinter dem Ohr ein Muttermal, das gleiche wie das herausgeschnittene, lebendige Kind. Dieses Zeichen wird wie eine Art Kainszeichen insinuiert. Elias, der Täter, hatte das als Vision vorab gesehen. Nie ist klar, ob Traum oder Vision. Und nicht zu vergessen: bei der ersten Vernehmung der Eltern des dann toten Mädchens verhält sich der Vater so merkwürdig, dass man, Krimi-typisch, annehmen kann/soll, dass er seiner Tochter das Kind gemacht hätte. Aber wie? – Der Film löst dieses Problem nie auf. Eine Jungfrauengeburt 2020? Es ist 21 Uhr 42 und keiner macht Anstalten, mir diese Frage mal zu klären. Punkt 2 meiner Kritik. Ein so leichtfertiger Umgang bei der Konstruktion von Kausalitäten ist indiskutabel.
    Der Rest ist Schweigen.
    In der Mitte des Films taucht dann unerklärt und unvermutet eine junge, stark tätowierte Frau auf, die ihren drogenabhängigen Bruder umbringt und dann das Zimmer in Brand steckt. Täterin Nr. 2. Im Knast treffen Täter 1 und Täterin 2 aufeinander und die junge Frau nimmt den jungen Mann als Geisel. Der fragt sie, das Messer am Hals: Wieso? – Antwort: Weil ich das kann! Und so haben wir einen Showdown, wo geschossen wird.

    Der Rest ist Schweigen. Die wunderbare Schauspielerin Maria Simon, auch im Leben wohl eine areligiös sozialisierte Ostdeutsche, geht als einzige Figur durch diesen Film, die all das, was man nicht verstehen kann, sichtbar auch nicht versteht. Aber das rettet diesen Film nicht, der gegenüber unserem Nachbarland Polen geradezu unverschämt ist und so elementare dramaturgische Schwächen hat, wie ich es in meinem langen TV-Leben noch nie gesehen habe. Rainer Kaufmann hat das inszeniert. Ein Regisseur, von dem ich noch keinen schlechten Film gesehen habe. Was hat er sich nur dabei gedacht, dieses Buch zu akzeptieren? Und welche Redaktion hat das abgenommen.

    Letzter Punkt: Genre? – Kein Horror-Film, sondern absolut realistisches Drama.

    Geht‘s noch?

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