In eine unbekannte Zukunft hineinschreiben. Der Post-Corona-Film

Die Filmbranche erwacht aus der Schockstarre. Nach Wochen des Stillstands, in denen Dreharbeiten abgebrochen, Filmfestivals abgesagt und Kinos geschlossen wurden, hat die Branche dem Coronavirus den Kampf angesagt. Längst wird über neue Drehtermine und -maßnahmen nachgedacht, werden virtuelle Festivalformate entwickelt und digitale Distributionsformen genutzt, damit Filme und ihr Publikum auch in der Krise zueinander finden.

Und doch herrscht noch immer große Ungewissheit. Den Produktionsfirmen fehlt es an Planungssicherheit, um Projekte anschieben zu können. Die Aussetzungen der Produktionen setzen wiederum die Sender unter Druck, die um ihren Programm-Nachschub bangen. Die Kinobetreiber*innen, denen es auch schon vor der Corona-Pandemie nicht gut ging, kämpfen um ihr wirtschaftliches Überleben – ein Schicksal, dass sie mit vielen Schauspieler*innen und anderen Freiberufler*innen teilen.

Die an der Entwicklung neuer Filmstoffe beteiligten Kreativen schließlich, Drehbuchautor*innen, Producer*innen und Dramaturg*innen, werden in ihrer Arbeit mit bisher unbekannten Herausforderungen konfrontiert: Mit was für einer Welt haben wir es eigentlich zutun, wenn die Krise vorbei ist? Wie beschreibt man eine Welt, deren Regeln man nicht kennt? Und was für Filme werden wir anschauen wollen, wenn wir eines Tages wieder unsere Lieblingskinos besuchen dürfen? Als Drehbuchautor und Dramaturg möchte ich dazu einige Überlegungen anstellen. Wie könnte er aussehen, der Post-Corona-Film?

Post-Corona: Die erzählten Welten werden andere sein

In einem Interview mit dem Branchenmagazin Blickpunkt:Film berichtete Drehbuchautor David Ungureit kürzlich von den Schwierigkeiten, eine uns noch unbekannte Welt zu antizipieren: „Werden Menschen sich noch die Hand geben? Wann werden sich zwei Menschen, die sich kennenlernen, küssen und unter welchen Voraussetzungen? Trinken zwei Leute noch aus derselben Flasche?“

Wer in diesen Tagen Filme oder Serien anschaut, den beschleicht nicht selten ein mulmiges Gefühl. Wir bemerken, wie selbstverständlich uns Menschenmassen, Intimitäten oder gar das Händeschütteln waren. Jetzt sehen wir die erzählte Welt mit anderen Augen. Die Bilder haben ihre Unschuld verloren. Über Nacht wurden wir selber zu Protagonisten in einem Katastrophenfilm.
Filmemacher*innen werden nicht darum herumkommen, die Corona-Pandemie und ihre Folgen mitzudenken.
Von nun an werden die Filmemacher*innen nicht darum herumkommen, die Corona-Pandemie und ihre Folgen mitzudenken. Etwas ist passiert und stellt unser Leben auf den Kopf – die Grundformel so vieler Hollywoodplots. Die Drehbuchautor*innen werden Wege finden müssen, wie sich Zeitgeschichte in Geschichten übersetzen lässt. Auch ihre Figuren werden von dem Virus betroffen sein und lernen müssen, damit umzugehen. Womöglich wird die Frage, was sie aus der Krise mitgenommen haben, zu einer entscheidenden in der Figurenentwicklung. Und ziemlich sicher wird sich eine Tendenz verschärfen, die der Dramaturg Roland Zag als stilprägend für die Dramaturgie des 21. Jahrhunderts bezeichnet hat: Aus Einzelkämpfern werden Gemeinschaften entstehen müssen, oft und gerade im Kampf gegen einen gesichtslosen Antagonisten, der nicht mehr als Figur, sondern als System erscheint.

Natürlich wird es auch in den Filmen der nächsten Jahre möglich sein, nicht von Corona zu sprechen. Filme können die Wirklichkeit ausblenden, können sich in die Vergangenheit oder alternative Welten flüchten, um der Gegenwart zu entkommen. Womit sie freilich mehr über die Komplexe der außerfilmischen Realität verraten als jedes Sozialdrama.

Komödien, historische Stoffe und Thriller gesucht

Es ist eine Art Binsenweisheit, dass der Film immer auch das Unterbewusste von Gesellschaften widerspiegelt. Aber deshalb nicht weniger wahr. Nirgendwo können sich kollektive Ängste, Tabus und Sehnsüchte besser manifestieren als in der immersiven Sinneswelt des Films. Man denke nur an den deutschen Heimatfilm der Nachkriegszeit, in dem Schuld, Krieg und Zerstörung schlichtweg nicht stattfanden.

Die Frage, wie sich unsere gegenwärtigen Erfahrungen in der konkreten Gestaltung von Filmen niederschlagen werden, lässt sich freilich nur spekulativ beanworten. Ich glaube aber, dass von der gesellschaftlichen Verarbeitung des Corona-Traumas vor allem drei Genres profitieren werden.

Komödien und historische Filme eint, dass sie uns mit Konflikten konfrontieren und gleichermaßen davon distanzieren. Der Historienfilm nutzt das Mittel der Verkleidung: Indem er seine Figuren in Kostüme und Uniformen steckt, suggeriert er Ferne, schafft Distanz. Doch hinter den Zeitpanoramen schimmern die Probleme unserer Gegenwart hindurch. Der Blick des Historienfilms wird sich auf Menschen richten, die in ähnlichen Umbruchsituationen gelebt haben. Wie haben sie es geschafft, die Situation zu bewältigen? Was können wir von ihnen lernen?
Drehbuchautor*innen haben immer schon in die Zukunft hineingeschrieben.
Auch die Komödie erzählt von unschuldigen Figuren, die plötzlich zum Handeln gezwungen werden. Allerdings macht uns die Komödie ein Versprechen: dass die Geschichte einen positiven Ausgang nehmen wird. Wir können darauf vertrauen, dass der Held oder die Heldin nicht umsonst leiden. In Zeiten wie diesen ist das ein beruhigendes Szenario. Während Konflikte im Historienfilm durch Kostümierung entschärft werden, schafft die Komödie das, indem sie uns zum Lachen bringt.

Es wird Filme geben, die den Verlauf der Corona-Pandemie minutiös nachzeichnen, aber, so meine These, nicht gar so viele. Das hat zum einen den Grund, dass sie in Konkurrenz zu den medialen Bildern der Realität treten werden – und daran zwangsläufig scheitern müssen. Zum anderen sind die Eindrücke und Erfahrungen, die wir gerade machen, so drastisch, dass sich nur wenige Zuschauer*innen einer ungefilterten Reproduktion aussetzen werden wollen.

Das wird zum Aufstieg eines anderen Genres führen, das in Deutschland traditionell einen schweren Stand hat.

Im Thriller müssen sich Figuren gegen eine Gefahr behaupten, die größer und stärker sind als sie, häufig sogar ungreifbar. Es geht um Angst, Ohnmacht, Kontrollverlust – und den Sieg über die Gefahr. Im Thriller begegnen uns Gefühle, wie wir sie derzeit beim Blick auf die Nachrichtenlage verspüren. Indem wir uns im Rahmen einer fiktiven Erzählung damit auseinandersetzen, können wir unsere Ängste verarbeiten. Das macht den Thriller zum Genre der Stunde.

Neue, andere Geschichten

Drehbuchautor*innen haben immer schon in die Zukunft hineingeschrieben, insofern sich zwischen Text- und Filmproduktion eine zeitliche Kluft auftut. Neu ist, dass es schwerer geworden ist, die Zukunft zu antizipieren, weil sich die Gegenwart selber in ständiger Transformation befindet. Es kann aber jetzt schon davon ausgegangen werden, dass sich das Schreiben verändern wird. Die erzählten Welten wie die Figuren werden von unseren kollektiven Erfahrungen geprägt sein. Der Post-Corona-Film wird neue, andere Geschichten erzählen.

5 Comments

  1. Michael Füting

    Sehr kluger Artikel! Da ist die Alternative aufgezeigt: Komödie zum Vergessen und Thriller zum Sich-Stellen…

    24. Mai 2020
  2. Bach

    Warum nicht auch Fantasy, Science-Fiction und Superhelden, auch da kann man Probleme kostümieren, um so Distanz zu schaffen?
    Thriller und Krimi sind doch sehr präsent, nicht unbedingt im Kino, aber im Fernsehen.

    Wahrscheinlich wird Covid-19 erst in 10 bis 20 Jahren in Filmen verarbeitet werden, Komödie darüber gibt es wahrscheinlich schon früher.

    28. Mai 2020
  3. Die Genres Fantasy, SciFi und Superhelden sind im deutschsprachigen Film praktisch nicht präsent. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern: Hollywood hat in diesen Erzählwelten Maßstäbe gesetzt, die allein aus finanzieller, vor allem aber aus filmästhetischer Sicht unerreichbar sind. Zudem funktionieren diese Genres nicht ohne Willen zum Imaginären, meist mit einer fast kindlichen Begeisterung für das Fantastische. Aus welchen Gründen auch immer (man kann dazu viel spekulieren) – hierzulande haben diese Genres auch in näherer Zukunft keine Chance.

    Der Thriller ist da schon näher dran an deutschen Erzählkonventionen. Das Grauen (die Gefahr, der Antagonismus) lässt sich meist psychologisch begründen – und damit auch bewältigen. Was wir im TV sehen, ist allerdings nur in den seltensten Fällen Thriller. Hier gilt noch immer der Satz von Ralf Husmann: „Amis und Engländer bewältigen viel durch Humor. (…) Die Deutschen bewältigen durch Krimis.“

    3. Juni 2020
  4. Marc Wormskirch

    Dass in Deutschland kaum bis kein Sci-Fi oder Fantasy produziert wird, dafür Krimis, wie am Fließband, ist schon interessant. Die deutsche Identität seit dem Ende des 2. Weltkrieges hat sich mittlerweile wohl auch in der Mediengestaltung zu sehr auf nüchterne Verbrechensaufklärung, statt fantasievollen und unterhaltsamen Alternativrealitäten konzentriert. Dabei gab es immer deutsche Filmwerke, wie „Metropolis“ oder auch Wolfgang Petersens „Unendliche Geschichte“, die seinerzeit riesen Erfolge hatten.

    Allerdings die Corona-Krise komödiantisch aufzuarbeiten, wäre schon etwas geschmacklos.
    Ohne die Krise, in der wir noch stecken, zu verharmlosen oder die Betroffenen zu ignorieren, wäre der Post-Corona Film wahrscheinlicher eine Fallstudie über die Macht der Medien über die Gesellschaft.

    4. Juni 2020
  5. Bach

    Die USA-Amerikaner werden sich wohl auch covid-19 annehmen, es ist ja eine Pandemie, also weltweit.
    Fantasy und Science-Fiction müssen nicht unbedingt teuer sein, man denke da nur an Real Humans aus Schweden. Und ist nicht auch Jim Knopf Fantasy? Mehr als 1 Million Kinozuschauer für einen deutschen Film sind nicht zu verachten.
    (Die großen Produktionen sind im angelsächsischen Gebiet oft auch Buch- oder Comicadaptionen, sie besitzen häufig eine beliebte Vorlage. Bei den Kosten halte ich solche Risikominimierung verständlich.)
    Dass die Öffentlich-Rechtlichen so auf Krimi setzen, erscheint mir verständlich, selbst wenn es mich ärgert (Übrigens vermisse ich auch gute Dramaserien ohne Krimiplot), aber RTL hätte mit TV.now etwas in die phantastische Richtung wagen können und sogar müssen.

    Wenn man sich das deutsche Kino anschaut, ist das Genre Komödie sehr präsent, die erfolgreichsten deutschen Filme sind Komödien, daher würde ich Ralf Husmann nicht zustimmen. Die Flüchtlichskrise wurde im Kino bekanntlich komödiantisch verarbeitet, der Film lief sehr erfolgreich.

    12. Juni 2020

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