„Story“ II: What´s in a Story?

In Kapitel zwei, „Das Story Problem“, beschäftigt sich McKee mit der Frage, was eigentlich eine eine gute Geschichte ausmacht. Er geht dabei von der Mutter aller ethischen Grundfragen aus: wie soll ein Mensch sein Leben leben?

Die Grundfrage aller Geschichten: Wie soll ein Mensch sein Leben leben?

Klassischerweise gab es auf diese Frage Antworten aus vier Richtungen: Philosophie, Wissenschaft, Religion und Kunst. Aber heute, fragt McKee, wer liest heute schon noch Hegel oder Kant? Wer hat nicht die Nase voll von den abstrusen, unehrlichen, undeutlichen Erklärungen von Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen oder Politikern? Und dass Religion für viele ihre Bedeutung verloren hat und nur noch als leere Heuchelei angesehen wird, ist ja auch kein Geheimnis. Also, sagt McKee, bleibt uns nur noch eins: die Kunst der Story.

Er schreibt: „Unser Hunger für Geschichten ist eine Reflexion des tiefen menschlichen Bedürfnisses, die Muster des Lebens zu begreifen. Und zwar nicht nur als eine intellektuelle Übung, sondern im Rahmen einer sehr persönlichen, emotionalen Erfahrung.“ In diesem Zusammenhang sieht McKee Unterhaltung eben gerade nicht als etwas, dass der Zerstreuung dient. Also ins Kino gehen, um für eineinhalb Stunden der Realität zu entfliehen. Sondern es ist genau andersherum: gutes Entertainment, eine gute Story, gibt uns, dem Publikum, Hilfestellung bei der Bewältigung des eigenen Lebens. Leiden, lieben und leben der Charaktere zeigen uns, welche Konflikte, Ängste und Traumata die Existenz des Menschen auf dieser Erde begleiten und wie sie bewältigt werden können.

Geschichten helfen, die Grundmuster des Lebens zu begreifen.

Geschichten, so könnte man also sagen, sind das pure Leben. Aber damit sie funktionieren, damit sie in der Lage sind, dem Publikum bei der Bewältigung des eigenen Lebens zu helfen, müssen die Storys einen Sinn haben. Eine Bedeutung. Und hier macht McKee einen interessanten Punkt, wenn er den den allgemeinen Niedergang der Kunst und des Handwerks des Storytellings beklagt. Den Hauptgrund dafür sieht er nämlich in einer, wie er das nennt, zunehmend agnostischen Welt. Eine Welt also, die alles relativiert und der daher die großen Wahrheiten abhanden kommen. Wenn es keine klaren Überzeugungen mehr gibt, keine Vorstellung mehr, wofür es sich zu leben und wofür es sich zu sterben lohnt, wie soll dann eine gute Geschichte entstehen? In vergangenen Jahrzehnten haben Künstler (Autoren, Drehbuchschreiber, etc.) und Gesellschaft mehr oder weniger dieselben großen Lebensfragen beschäftigt. Es gab, glaub zumindest McKee, eine Art Konsens darüber, was Gut und was Böse ist, was richtig und was falsch, was gerecht und was ungerecht.

Aber die Gegenwart ist mehr und mehr geprägt von ethischen Zynismus, Relativismus und Subjektivismus – ein einziges Durcheinander der Überzeugungen und Werte. Und, so McKee, weil das so ist, kann der Autor heute nichts mehr als gegeben voraussetzen. Wenn er einen Sinn transportieren möchte, stösst er im Zweifel auf taube Ohren, weil die Story dem Publikum nichts mehr bedeutet. Es hat den Referenzrahmen verloren. Deshalb muss der leidgeprüfte Künstler zuerst tief im Leben wühlen, um neue Erkenntnisse und neue Verfeinerungen von Werten und Überzeugungen ausfindig zu machen. Und dann muss er ein Story-Vehikel bauen, um seine Interpretation des Lebens einer zunehmend ungläubigen Welt zu erklären.

Diese Erkenntnis, wenn sie denn stimmt, könnte denjenigen, der meint, eine tolle Geschichte mit der Welt teilen zu müssen, fast mutlos machen. Aber, stimmt sie überhaupt?

Im nächsten Beitrag kommt es optimistischer. „A good story well told“ ist es eben immer noch etwas Grossartiges.

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