Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute der Essay „The Simple Art of Murder“ von Raymond Chandler.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
#Chandler: Ein Mörder hat einen Grund für seine Tat, aber keinen komplizierten Plan. Desto simpler die Tat, desto schwerer die Ermittlungen. — Arno (@filmschreiben) 8. April 2015
In 50 Worten (Was ist das?): (Gewöhnliche) Detektivgeschichten erzählen viel bis ausschließlich über ahnungslose Gedankenspiele des Autors und wenig bis nichts über Welt, Gesellschaft, Menschen. Fragen und Probleme, die diskutiert werden, sind erfundene Fragen und Probleme der erfundenen Handlung. Die Konstruktion des komplizierten Plots lenkt Leser und Autor davon ab, sich tatsächlich mit den Figuren auseinanderzusetzen.
Die Erkenntnis: Dass sich soviel seit 1944 nicht geändert hat. Durchschnittliche Kriminalromane und -filme haben immer noch einen unbeschreiblichen Erfolg. Sie werden vielleicht immer mehr zum Thriller, was jedoch meist nur noch mehr zu Lasten von konsistenten Charakteren, plausiblem Plot und allgemeiner Glaubwürdigkeit geht.
Wenn Chandler sagt, dass Dashiel Hammett den Mord, den Menschen zurückgab, die ihn aus Gründen begehen, und nicht nur um mit einer Leiche die reichlich glückliche Ermittlung eines komplizierten Tathergangs in Gang zu setzen, freut sich der Dramaturg in mir: Ja genau, Motivation ist das, worum es geht!
Ein Mord ist eine hoch dramatische Geschichte: Jemand war dazu bereit, einen Menschen zu töten und ein Leben in Gefangenschaft zu riskieren: Wofür? Was war das, das ihm mehr wert war? Hat Chandler recht, wenn er sagt, dass wir Autoren und wir Leser die komplizierten Plots lieben, weil wir uns dann nicht mit dem Mörder und seinem Motiv auseinandersetzen müssen?
Das Zitat:
The boys with their feet on the desk know that the easiest murder case in the world to break is the one somebody tried to get very cute with; the one that really bothers them is the murder somebody only thought of two minutes before he pulled it off. But if the writers of this fiction wrote about the kind of murders that happen, they would also have to write about the authentic flavor of life as it is lived.
Von besonderem Interesse ist vielleicht Chandlers Beobachtung, bei Sherlock Holmes ginge es eigentlich um Holmes‘ Haltung und die Zeilen unvergesslichen Dialogs die daraus entstehen. Soweit ich sagen kann, ist das richtig: Anders als viele andere Ermittler komplizierter Mordpläne berauscht sich Holmes sehr zweifelhaft an seinen Fähigkeiten. Erst dadurch wird das Komplizierte bedeutungsvoll, und die Problematik seiner Figur weist über die Problematik des Falls, und damit über die Geschichte hinaus.
Das letzte Wort: Ich kann mich nicht entscheiden –
There are no vital and significant forms of art, there is only art, and precious little of that. The growth of populations has in no way increased the amount, it has merely increased the adeptness with which substitutes can be produced and packaged.
oder
It is always a matter of who writes the stuff, and what he has in him to write it with. […] Everything written with vitality expresses that vitality, there are no dull subjects, only dull minds.
Raymond Chandler: The Simple Art of Murder. Kann man im Internet lesen, ich trau mich nur nicht es zu verlinken: Während in den USA der Text wohl in diesem Angebot unter Fair Use fällt, gibt es das hier nicht. Außerdem hat der Text in den USA möglicherweise nur eine Schutzfrist von 28 Jahren nach dem Tod Chandlers gehabt, hier wie üblich 70. Darf ich ihn also verlinken? Wer weiß das schon. Danke liebes Urheberrecht. Komplizierter als ein Mordplan aus einem britischen Krimi. In der englischsprachigen Wikipedia gibt es hier einen Link auf den Text bei der University of Texas.