Warum DEUTSCHLAND´83 nicht gefloppt ist

DEUTSCHLAND´83 ist auf RTL quotenmäßig gefloppt. Und das, obwohl noch nie eine deutsche Serie oder ein deutscher Spielfilm im Vorfeld mit so viel medialer Aufmerksamkeit bedacht und mit Lobeshymnen besungen wurde (was zum Teil auch daran liegen mag, dass einige Medien einfach dpa-Meldungen wortwörtlich übernommen und lediglich den Titel geändert haben wie beispielsweise abendblatt.de und derwesten.de oder sueddeutsche.de und derwesten.de; siehe auch „Wie Filmjournalisten DEUTSCHLAND´83 kaputt loben“). Dennoch haben von Woche zu Woche weniger Menschen eingeschaltet: Nach einem mäßigen Start mit 3,19 Millionen Zuschauer für die erste und 2,86 Millionen für die zweite Folge sahen eine Woche später noch 2,05 Millionen die dritte und 1,96 Millionen Menschen die vierte Folge. Die Folgen fünf und sechs erreichten noch 1,69 bzw. 1,67 Millionen Zuschauer, für die beiden finalen Folgen interessierten sich noch 1,72 bzw. 1,69 Millionen Menschen. Markus Ehrenberg und Joachim Huber resümieren auf tagesspiegel.de: „Das große Publikum hat sich erst nicht wirklich interessiert und das kleine dann auch noch abgewandt.“

Dass die Produzenten der UFA FICTION deshalb vor einem Rätsel stehen ist nachvollziehbar. Schließlich wurde die Serie auch von us-amerikanischen Medien positiv besprochen und in einem Atemzug mit internationalen Qualitätsserien wie HOMELAND, HOUSE OF CARDS und THE AMERICANS genannt, sie lief vor der deutschen Ausstrahlung bereits im us-amerikanischen Fernsehen mit angeblich großem Erfolg, hat einige Preise gewonnen und verkauft sich international sehr gut. Wie kann es da sein, dass sie beim deutschen Publikum derart durchfällt?

Auf der Suche nach Gründen, haben sich die Macher sogar auf facebook an das Publikum gewandt. Aus den über 250 Kommentaren ziehen sie den Schluss, dass es weniger ein inhaltliches Problem ist, das zu dem massiven Publikumsschwund geführt hat, sondern das „Imageproblem des Senders, unzureichende Ausrichtung auf ein nichtlineares Nutzungsverhalten des Zuschauers, die Quotenerhebung im Allgemeinen, fehlendes/falsches Onlinemarketing oder zu konservative PR“.

In diesem Beitrag will ich meine Lösung des Rätsels präsentieren, auf einige der diskutierten Gründen eingehen und zeigen, dass DEUTSCHLAND´83 nicht deswegen gefloppt ist. Zwei zentrale Fragen müssen dabei unterschieden werden: Warum war die Quote der Auftaktfolge geringer als erwartet? Und warum sind von Folge zu Folge immer mehr Menschen abgesprungen? Diese beiden Fragen werden in den diskutierten Gründen nicht immer sauber voneinander getrennt.

In den folgenden Beiträgen dieser Artikelreihe werde ich den Hauptgrund beleuchten und den Produzenten damit widersprechen: Die Serie hat ein inhaltliches Problem. Die Quote der Auftaktfolge war so gering, weil das inhaltliche Thema „Kalter Krieg“ das Interesse des deutschen Publikums nicht so wecken konnte wie das des internationalen Publikums. Der Quotenverlauf über die restlichen Folgen war so verehrend, weil die Story zu viele dramaturgische Schwächen hat, deshalb nicht funktioniert und daher das Interesse von knapp der Hälfte der Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Auftaktfolge eingeschaltet hatten, nicht bis zum Staffelfinale halten geschweige denn steigern und befriedigen konnte.

Das ist der einfache und naheliegende Grund, warum die Zuschauerinnen und Zuschauer die Serie nicht weiter schauen wollten: weil ihnen die Story nicht gefallen hat. Würde die Story sie interessieren und würden die Figuren sie faszinieren, hätten sie weiter geschaut. Niemand bricht die Rezeption einer Geschichte ab, die ihm gefällt, mit deren Figuren er sich identifiziert (emotionale Ebene) und die er spannend findet (Handlungsebene). Der Mensch ist ein „homo narrans“. Er kann nicht anders: Gute Geschichten rezipiert er. Schlechte nicht.

Auf fünf diskutierte Gründe für das Scheitern von DEUTSCHLAND´83 werde ich im Folgenden eingehen: falscher Sender, falsches Medium, falsches Timing, falsches Marketing, falsches Publikum.

Falscher Sender

Für Marek Bang von giga.de „liegt es nicht an der Qualität von DEUTSCHLAND´83, [die es] locker mit der beliebten Konkurrenz aus Hollywood aufnehmen [kann] und sich nicht hinter Emmy-Gewinnern wie „The Americans“ oder „Homeland“ zu verstecken [braucht]“, sondern daran, dass „kein Serien-Fan 2015 einen Donnerstagabend vor dem Fernseher bei RTL verbringen möchte, um zwischen Werbeblöcken und Programmhinweisen auf “Das Supertalent” und Co. ein paar kleine Fetzen Qualitäts-Fernsehen serviert zu bekommen.“

Ist das der Grund? Angenommen, dem wäre so – wie ist dann der Erfolg von DER CLUB DER ROTEN BÄNDER (produziert von Bantry Bay) auf VOX zu erklären, einem Sender, dessen Image dank Formaten wie „Shopping Queen“, „Prominent“, „Das perfekte Dinner“ und „Verklag mich doch“ nicht viel besser ist als das von RTL? Viele Stimmen befürchteten im Vorfeld, dass die Menschen ein solch schweres Thema nicht sehen wollten, schon gar nicht auf VOX. Aber siehe da: Sie wollten und es wollten immer mehr, wie der Quotenverlauf bis auf eine kleine Delle zeigt: 1.Folge: 2,36 Millionen Zuschauer, 2. Folge: 2,46 Millionen, 3. Folge: 2,53 Millionen, 4. Folge: 2,65 Millionen, 5. Folge: 2,30 Millionen, 6. Folge: 2,31 Millionen, 7. Folge: 2,40 Millionen, 8. Folge: 2,60 Millionen, 9. Folge: 2,54 Millionen, 10. Folge: 2,71 Millionen (Quelle: Wikipedia).

Es gibt also eine qualitativ hochwertige Serie, die ein Sender mit nicht gerade gutem Image ausstrahlt und die trotzdem vom Publikum angenommen wird. Und das, obwohl DER CLUB DER ROTEN BÄNDER bei weitem nicht die mediale Präsenz hatte wie DEUTSCHLAND´83. Nur die wenigsten, die gerne Qualitätsserien schauen, dürften im Vorfeld nicht davon erfahren haben, wie gut DEUTSCHLAND´83 sein soll. Deshalb dürften wohl auch nur wenige unter ihnen auf den Gedanken gekommen sein, dass auf dem eigentlichen „Alarm für Cobra 11“-Sendeplatz „doch wieder eine dieser RTL-oder Sat.1 -Event-Filmfilm-und so weiter-Produktionen gesendet [wird], die man sich getrost sparen kann“, wie Marek Bang glaubt.

Denn warum sollte sich jemand eine gute Serie entgehen lassen, die sie oder er sehen will, nur weil sie auf RTL läuft, RTL ein schlechtes Image hat und sie oder er deshalb sonst nie RTL schaut? Wer das tut, ist selbst schuld. Und falls doch das RTL-Image die ein oder den anderen abgehalten hat, dann erklärt das höchstens die unter den Erwartungen gebliebene Quote der ersten Folge, nicht aber den Quoteneinbruch bei den restlichen Folgen.

Mit mir hat jedenfalls einer dieser Menschen, die sonst nie RTL schauen, eingeschaltet und die Serie komplett gesehen. Und wenn man sich die 250 Kommentare zu dem facebook-Aufruf der Produzenten anschaut, war ich nicht der einzige. Wäre DEUTSCHLAND´83 eine Qualitätsserie, hätten die Qualitätsserien-Fans auch RTL eingeschaltet und wären dran geblieben.

Falsches Medium

Ein weiterer angeblicher Grund für das Scheitern von DEUTSCHLAND´83 ist das veränderte Nutzungsverhalten der Fans von Qualitätsserien. „Coole TV-Serien passen nicht mehr zum linearen Fernsehen“, schreibt Christian Meier auf welt.de Zuschauerinnen und Zuschauer wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, wann sie eine Serie schauen können, sondern selbst entscheiden, wann und wie viel sie schauen. Qualitätsserien sind keine Formate für das lineare Fernsehen, sondern VoD-Formate, also keine TV-Formate, die ausgestrahlt werden, sondern Plattform-Formate, die abgerufen werden: „Großes Spannungsfernsehen lässt sich nicht länger portionieren und nur zu bestimmten Zeiten servieren. Der (junge) Zuschauer will seinen Zuwendungsrhythmus selber bestimmen und ihn nicht vom Sender bestimmen lassen.“ (wieder Markus Ehrenberg und Joachim Huber auf tagesspiegel.de.

Die Zahl der „cord cutters“ nimmt zwar unbestreitbar zu, aber die 2,71 Millionen Zuschauer der letzten Folge von DER CLUB DER ROTEN BÄNDER bedeuten nicht nur den Quotenhöchstwert zum Staffelfinale, mit ihnen ist die Serie laut serienjunkies.de sogar die erfolgreichste Sendung in der Primetime von VOX im gesamten Jahr 2015 und zeigt damit, dass „horizontales Erzählen im linearen TV möglich ist“ – zumindest momentan und wohl auch noch in den nächsten Jahren. Das zeigen außerdem auch die Serien und Mehrteiler, die ARTE Donnerstags ausstrahlt (was sicher an mehr liegt als nur daran, dass es keine Werbeunterbrechungen gibt).

DER CLUB DER ROTEN BÄNDER und die ARTE-Serien widerlegen also zwei weitere gerne vorgetragene Gründe für das Scheitern von DEUTSCHLAND´83: Das deutsche TV-Publikum will keine anspruchsvollen Serien sehen (was DEUTSCHLAND´83 nicht ist). Und: Horizontal erzählte Serien funktionieren im linearen Fernsehen nicht.

Ich bin auch jemand, der lieber selbst entscheidet, wann und wie viel ich schaue, und natürlich schaue ich lieber ohne Werbeunterbrechung. Aber wenn eine Serie, die ich sehen will, nicht anders zu haben ist, dann schaue ich eben auch linear (oder wenigstens in der Mediathek) und mit Werbeunterbrechungen. Ist eine Serie hingegen dramaturgisch schlecht, tue ich mir das nicht an. Das tue ich allerdings auch nicht, wenn ich sie werbefrei streamen oder auf DVD schauen kann. Denn in erster Linie ist es die (dramaturgische) Qualität einer Serie, die darüber entscheidet, ob jemand schaut und weiterschaut oder nicht, und nicht das Medium.

Falsches Timing

Für Christian Junklewitz von serienjunies.de ist einer der Gründe für die schlechte Quote, dass die Serie zur falschen Zeit lief. Er meint damit nicht die Sendezeit, sondern die historische Zeit, vor dessen Hintergrund die Serie ausgestrahlt wurde. Er stellt die Theorie auf, dass DEUTSCHLAND´83 Anfang des Jahres 2015 besser gelaufen wäre, da zu dieser Zeit der Ukraine-Konflikt als neu aufflammender Ost-West-Konflikt brisant war. In meiner Wutrede gegen das überzogene Lob von Filmjournalisten habe ich diese Theorie zugegebenermaßen übertrieben als absurd bezeichnet. In seiner Replik beschreibt er nachvollziehbar, dass zu der Zeit, als DEUTSCHLAND´83 auf der Berlinale Premiere feierte und er sie sah, eine gänzlich andere atmosphärische Voraussetzung herrschte als bei der Ausstrahlung der Serie im November, als die Ukraine-Krise medial längst abgelöst war von der Flüchtlingskrise und den Terroranschlägen in Paris.

Es stimmt natürlich, dass jede Serie und jeder Film „im richtigen Moment aufschlagen“ (Junklewitz) müssen. Als Beispiele nennt er die Serien LEVERAGE, die genau in dem Moment heraus kam, als in den USA die Bankenkrise zuschlug, und PERSON OF INTEREST, die den NSA-Skandal fiktional vorweg nahm.

Gemeinsam ist diesen beiden Serien, dass sie die drei zentralen Kriterien für Erzählwert erfüllen – also die Frage positiv beantworten, warum ein Stoff erzählt werden soll oder gar muss – und damit auf das Interesse des Publikums stoßen: Ihre Themen sind relevant, sie sind aktuell und sie sind brisant. DEUTSCHLAND´83 erfüllt meiner Meinung nach keins dieser Kriterien (was für historische Stoffe ohnehin quasi naturgemäß schwieriger ist). Ihr Thema weist keine Relevanz, keine Aktualität und keine Brisanz auf und es bietet für das deutsche Publikum im Gegensatz zum internationalen Publikum keinen besonderen historischen Mehrwert (dazu weiter unten noch mehr), wie beispielsweise neues historisches Wissen oder Aufarbeitung der Vergangenheit. Der Kalte Krieg ist abgehakt, er hat keine tieferen Spuren hinterlassen, „wir“ sind die Sieger, alles ist gut (bis ein neues Feindbild geschaffen ist).

Anders ist es beispielsweise bei zahlreichen Nazi-Stoffen: Hier wirkt noch immer die Faszination des Bösen, das sich in Handlungen ausgetobt hat, die tiefste Spuren hinterlassen haben. Viele unsere Vorfahren waren Täter, sie haben Schuld auf sich geladen, die bis heute in unser Bewusstsein, unser Leben und unser Verständnis als Gesellschaft ausstrahlt. Nazi-Stoffe können also auch heute noch relevant, aktuell und brisant sein. Der Kalte Krieg hingegen ist aus heutiger Sicht das Böse im Konjunktiv: Es hätte böse enden können. Ist es aber nicht (was unter anderem ein Grund ist, warum die dramatische Frage und der zentrale Spannungsbogen von DEUTSCHLAND´83 nicht funktionieren: Wir wissen, dass der Dritte Weltkrieg nicht stattgefunden hat. Dazu in einem der folgenden Artikel ausführlicher.).

Ob nun der durch die Ukraine-Krise hervorgerufene aktuelle Ost-West-Konflikt tatsächlich so starke Parallelen zum Konflikt zwischen NATO und Warschauer Pakt aufweist, dass er das Thema „Kalter Krieg“ wieder relevant, aktuell und brisant macht und damit Anfang 2015 ein größeres Interesse beim Publikum geweckt hätte, ist letztlich eine politische und historische Frage, deren Antwort wir wohl nie mit Gewissheit kennen werden. Wir können nur vermuten. Und ich vermute: nein.

Fakt ist jedenfalls, dass die Quote der ersten Folge schon nicht so hoch war wie man angesichts der positiven Besprechungen erwarten durfte. Und das dürfte eben daran liegen, dass das inhaltliche Thema „Kalter Krieg“, das Setting der 80-er Jahre und das damit erhoffte Aufflammen von Nostalgie-Gefühlen nicht funktioniert hat, da sich die Menschen in Zeiten eines neuen heißen Krieges und eines neuen Jahrtausends nicht ausreichend dafür interessieren.

Falsches Marketing und falsche PR

Für Thomas Lückerath von dwdl.de ist das falsche Marketing für die Serie der Grund, warum DEUTSCHLAND´83 gescheitert ist. Seiner Meinung nach hat RTL die Herausforderung unterschätzt, das „richtige Publikum“ für diese Serie zu erreichen: Das „viel-hilft-viel“-Marketing hält er für „altbacken“, die Online-Präsenz für „ein Armutszeugnis“, die „Das deutsche Serien-Event“-Trailer für falsch, da sie für das lineare Fernsehen konzipiert wurden und deshalb mit „Look und Tonalität ins RTL-Umfeld passen“ mussten. Das mag ja alles stimmen, ich bin kein Marketing-Experte. Vielleicht konnten die Plakate tatsächlich niemanden abholen und womöglich hat die Werbung auf RTL die Aufmerksamkeit des RTL-Stammpublikums nicht geweckt. Vielleicht hat sich RTL in den letzten Jahren ein Publikum „erzogen“, das keine komplexen Qualitätsserien (was DEUTSCHLAND´83 nicht ist) sehen mag, wie Markus Ehrenberg und Joachim Huber auf tagesspiegel.de behaupten.

Aber wer auch immer das richtige Publikum sein mag: Dass die Information, dass DEUTSCHLAND´83 angeblich eine Qualitätsserie ist, an potenziellen Zuschauerinnen und Zuschauern vorbeigegangen ist, scheint angesichts der massiven Mediendurchdringung – angefangen von Süddeutscher Zeitung, Spiegel, Die Zeit, FAZ über serienjunkies.de, krautreporter.de, horizont.de bis Deutschlandradio und SRW2 – doch recht unwahrscheinlich. Von schlechtem Marketing und mangelnder PR kann meiner Meinung nach also keine Rede sein. Im Gegenteil.

Vermutlich gab es also niemanden, der gerne Qualitätsserien schaut, hin und wieder Zeitung liest, sich ab und zu im Internet informiert und gelegentlich Radio hört, der im Vorfeld nicht davon erfahren hat, wie gut DEUTSCHLAND´83 sein soll.

Aber selbst wenn DEUTSCHLAND´83 das aus Lückeraths Sicht beste Marketing der Welt gehabt hätte, dann wäre zwar die Quote der ersten Folge möglicherweise höher gewesen. Aber nicht die für die anderen. Denn wer schaut eine Serie weiter, die ihm nicht gefällt, nur weil das Marketing so brillant ist?

Das Thema Marketing wirft eine andere Frage auf: War die Quote der Auftaktfolge tatsächlich so niedrig oder waren die Quoten-Erwartungen zu hoch? DEUTSCHLAND´83 wurde als Qualitätsserie angepriesen. Qualitätsserien haben ein bestimmtes Publikum, das andere Rezeptionsbedürfnisse hat als das „Massenpublikum“. Vielleicht gibt es ja in Deutschland schlicht und einfach nicht mehr als zwischen drei und fünf Millionen Menschen, die sich Qualitätsserien anschauen (WEISSENSEE erreichte mit der dritten Staffel im Schnitt 4,72 Millionen, Quelle: spiegel.de). Darauf würden auch die Zahlen der us-amerikanischen Qualitätsserien hinweisen, die ebenfalls weder in den USA noch in Deutschland berauschend sind (wobei man bedenken muss, dass die deutschen Sender sie oft auf sehr ungünstigen Sendeplätzen ausstrahlen und sie tatsächlich mehrheitlich gestreamt oder auf DVD geschaut werden, was natürlich auch auf DEUTSCHLAND´83 zutreffen könnte).

Die Macher und Sender von deutschen Qualitätsserien sollten also anerkennen, dass Qualitätsserien keine Quotenserien sind, sondern Imageserien (so wie das auch die us-amerikanischen Sender des „Third Golden Age of Television“ betrachten): Sie bringen keine hohen Quoten und damit für die Privaten keine hohen Werbeeinnahmen, aber sie polieren das Image der Sendermarke auf, wie auch Julian Miller auf quotenmeter.de schreibt: „Die Quoten mögen enttäuscht haben, aber diese Serie ist wichtig für die Marke RTL. Denn sie ist eines der besten Argumente des Senders, mit denen man den pöbelnden Kritikern das Wasser abgraben kann. Eine Verlängerung wäre ein klares Bekenntnis für ein hervorragendes fiktionales Format und für den Anspruch, inhaltliche Qualität auch dann zu unterstützen, wenn sie sich nicht (sofort) in Marktanteilsgewinne umsetzen lässt. […] Das mag man für naiv halten, weil es den unmittelbaren Gewinnerwartungen des Senders zuwider läuft. Oder weitsichtig, weil es die Marke RTL und damit den ganzen Konzern nachhaltig positiv bei seinen Konsumenten positioniert.“

Falsches Publikum

Das Rätsel, vor dem die Macher von DEUTSCHLAND´83 stehen, ist vor allem auch deshalb so groß, weil die Serie – als angeblich erste deutsche Serie überhaupt, was nicht stimmt (siehe hierzu meine „Wutrede“) – im us-amerikanischen Fernsehen lief, dort auf ein begeistertes Publikum traf, sich international gut verkauft und viele Auszeichnungen und Nominierungen erhalten hat (die „Goldene Kamera“ in der Kategorie „Bester deutscher Mehrteiler/Miniserie“, den „C21 International Drama Award“ im Rahmen des „C21 Drama Summmits“ in den beiden Kategorien „Best Non-English-Language Drama“ sowie „Best Casting“, den Titel „Beste Serie der Welt“ („Meilleure série du monde“) des Festival „Séries Mania“ in der Kategorie „Série du monde“, den „Special Jury Award“ und den Regiepreis „Metropolis“ für die „Beste Regie TV-Serie/Serienfolge“ (Edward Berger) des „RomaFictionFests“, sie wurde außerdem für den „Satellite Award“ der „International Press Academy (IPA)“ in Los Angeles nominiert (Preisverleihung im Februar) und hat eine Nominierung für den „Grimme-Preis 2016“ in der „Kategorie Serie & Mehrteiler“ erhalten.).

Wie kann es da sein, dass das deutsche Publikum sie nicht sehen will? Einfache Antwort: Weil man aus dem internationalen Erfolg noch keine Rückschlüsse auf das deutsche Serien-Publikum ziehen kann. Denn all das bedeutet nicht notwendigerweise, dass DEUTSCHLAND´83 eine Geschichte erzählt, dessen Thema das deutsche Publikum so sehr interessiert, dass es zum Staffelauftakt einschaltet, und die so gut ist, dass es die gesamte Staffel sehen mag.

Aus den Preisen und Nominierungen lassen sich keine Rückschlüsse ziehen, weil das Preise-, Festival- und Jury-Publikum nicht das TV-Publikum ist. Was ersteres gut findet, muss letzteres nicht auch gut finden. Hier klafft eine ähnlich große Lücke wie die zwischen Filmjournalisten und TV-Publikum. Offensichtlich sind die Kriterien und Maßstäbe schlicht unterschiedlich. Und offensichtlich sind es keine dramaturgischen.

Aus der bloßen Anzahl der Auslandsverkäufe lassen sich auch keine Rückschlüsse ziehen, weil Einkäufer ebenfalls andere Bewertungskriterien anlegen als das gemeine Fernsehpublikum (obwohl sie ja für es eigentlich einkaufen). Und sie sagt gleichfalls nichts über die Qualität einer Story aus. Dazu müsste man wissen, auf welchen Sendern DEUTSCHLAND´83 läuft, ob sie im Original oder synchronisiert läuft, wie viele Zuschauer sie schauen, mit welchem historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund sie schauen (dazu gleich mehr) und wie der Quotenverlauf dort ist.

Vielleicht lassen sich Rückschlüsse aus den us-amerikanischen Zuschauerzahlen ziehen. Denn dort lief die Serie ja bereits in dem kleinen Arthouse-Sender Sundance TV, der für Serien wie RECTIFY und TOP OF THE LAKE verantwortlich ist. DEUTSCHLAND´83 zeigte er im Original mit Untertiteln, was auch beim arthouse-interessierten us-amerikanischen Publikum bedeutet, dass sie quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief: Die Zuschauerzahlen lagen laut medienkorrespondenz.de zwischen 60.000 und 140.000. Das ist gemessen an den sonstigen Zahlen des Senders – beispielsweise kam die Sundance-Eigenproduktion „The Red Road“ zuletzt auf 183.000 Zuschauer (Quelle: serienjunkies.de) zwar nicht schlecht. Von einem Erfolg oder Hit in den Vereinigten Staaten zu sprechen wie das neben einigen anderen auch Alan Posener auf welt.de oder Astrid Kistner und Stefanie Thyssen auf tz.de tun, scheint dann aber doch etwas übertrieben.

Zumal sich die Frage stellt, ob die Serie zum Staffelauftakt 40.000 und zum Staffelende 160.000 Zuschauerinnen und Zuschauer hatte oder 160.000 am Anfang und 40.000 am Ende. Denn das macht ja einen großen Unterschied. Vielleicht kann Christian Junklewitz die Frage beantworten, der auf serienjunkies.de die Zahlen auf Sundance TV verfolgt hat (und keine 140.000 nennt wie medienkorresondenz.de, sondern 66.000).

Ob nun 66.000 oder 140.000: Angeblich waren sie begeistert. Einen Grund dafür nennt Christian Vesper, der Serien-Programmchef von Sundance. Nina Rehfeld zitiert ihn auf faz.net mit der Aussage, dass die Serie ihm einen neuen Blick auf die Ostdeutschen während des Kalten Krieges gewährt habe. „Als Amerikaner, der wie ich in den siebziger und achtziger Jahren aufwuchs, hatte man irgendwie den Eindruck, dass alle DDR-Bürger deprimiert und wütend seien, dass sie ihre Regierung und ihr Leben hassten. Aber hier bekommt man einen viel nuancierteren Einblick in diese Ära, und man merkt: Das stimmt so nicht.“

Für die us-amerikanischen – und wohl auch für viele andere internationale – Zuschauerinnen und Zuschauer hat das inhaltliche Thema der Serie also einen historischen Mehrwert, den es für uns nicht in dem Maße hat: Sie erfahren etwas über die Situation der beiden Deutschlands in den 80-er Jahren und vor allem über die DDR, das sie im Gegensatz zu uns größtenteils noch nicht wussten. Und wenn der Quotenverlauf konstant geblieben oder sogar gestiegen ist, dann scheint dieses Thema sie offensichtlich so sehr zu interessieren, dass sie über die dramaturgischen Schwächen in der Story hinweg schauten. Man darf also aus der Begeisterung des Sundance-Publikums, der laut RTL-Presseportal angeblich erfolgreichen Ausstrahlung in Schweden, Dänemark, Italien, Island, Finnland und Frankreich und dem besten Start einer fremdsprachigen Serie im britischen TV (laut filmstarts.de sahen die erste Folge zur Erstausstrahlung und in den folgenden sieben Tagen insgesamt rund 2,5 Millionen Zuschauer) noch keine Rückschlüsse auf den Erfolg beim deutschen Publikum und auf die dramaturgische Qualität der Serie ziehen.

Das ist aus meiner Sicht einer der Hauptgründe, warum die Quote der Auftaktfolge bei RTL nicht höher war: Das inhaltliche Thema „Kalter Krieg“ konnte nicht genug Interesse wecken. Dass diejenigen, die das Thema dennoch interessierte und die einschalteten, dann nicht weiter schauen wollten, kann meiner Meinung nach nur einen Grund haben: Die Story hat ihnen nicht gefallen.

Mit dem deutschen Qualitätsserien-Publikum ist also alles in Ordnung. Man muss ihm halt Stoffe bieten, die ihn interessieren und die gut entwickelt und erzählt sind. Auf DEUTSCHALND´83 trifft offenbar nichts davon zu.

Wenn also die Lösung des Rätsels, warum DEUTSCHLAND´83 beim deutschen Publikum durchgefallen ist, darin liegt, dass das Thema sein Interesse nicht wecken konnte und die Story nicht gut genug ist, um es bei der Stange zu halten, dann müsste diese Schwäche mit Hilfe der Dramaturgie genauer aufgezeigt werden können. Genau darum wird es in nächsten Beiträgen dieser Reihe gehen: Welche dramaturgischen Schwächen von DEUTSCHLAND´83 führen dazu, dass den Menschen die Geschichte nicht gefällt und sie nicht mehr von der Serie schauen wollen? Meine Antwort darauf besteht aus vier Hypothesen:

  • Die Figuren sind nicht optimal entwickelt, haben deshalb u.a. zu wenig Identifikationspotenzial und psychologische Substanz, eine zu geringe emotionale Tiefe und nicht immer klare Handlungsmotivationen.
  • Ein Grund hierfür ist, dass die Serie zu plotorientiert entwickelt ist und dabei zu sehr die Erzählung ihrer Figuren vernachlässigt. Zugleich funktioniert der für plotorientierte Geschichten zentrale Spannungsaufbau nur ungenügend.
  • Die Erzählweise – eine Kombination aus vertikalem und horizontalem Erzählen – funktioniert nicht ausreichend. Die vertikale Ebene ist zu dominant, da der Konflikt auf der horizontalen Ebene zu schwach und aufgrund der Grundkonstellation der Story nur ungenügend erzählt werden kann.
  • Der Grund hierfür wiederum ist, dass die Beziehungsebene, die horizontal erzählt wird, angesichts des zentralen Konflikts, den die Serie erzählt, auf einem falsch gewählten emotionalen Thema aufbaut. Das wiederum führt dazu, dass dieses Thema nicht ausreichend entwickelt werden und in keinem ausgewogenen Verhältnis zur größtenteils vertikal erzählten Handlungsebene des inhaltlichen Themas stehen kann.

Da DEUTSCHLAND´83 von einigen Filmjournalisten mit us-amerikanischen Serien, vor allem mit HOUSE OF CARDS, in einem Atemzug genannt wird, will ich in einem Vergleich mit HOUSE OF CARDS Unterschiede und dramaturgische Schwächen von DEUTSCHLAND´83 aufzeigen – irgendwann in nächster Zeit.

2 Comments

  1. Michael Füting

    Es ist für mich nur interessant, wie das deutsche Publikum reagiert hat.
    Mein Vorschlag deshalb, einen anderen „Maßstab“ zu nehmen: WEISSENSEE.
    Da ist doch einfach viel emotionaler reingegangen worden – was PLOT und
    FIGUREN anbelangt…

    15. Februar 2016
  2. Ich stimme Ihnen soweit zu, Michael. Die us-amerikanischen Qualitätsserien sollten nicht unser Maßstab sein. Und wir sollten nicht versuchen, sie zu kopieren. Aber wir können uns an ihrer dramaturgischen Qualität orientieren.

    WEISSENSEE halte ich auch für eine gute Referenz. Ich halte sie für eine der besten deutschen Serien, neben KDD.

    18. Februar 2016

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