Wie Filmjournalisten DEUTSCHLAND´83 kaputt loben – eine Wutrede

Liebe Filmjournalisten,

die Ihr die Serie DEUTSCHLAND´83 in den Himmel jauchzt,

– sie in einem Atemzug mit HOMELAND nennt, weil sie es „tatsächlich mit der US-Konkurrenz aufnehmen kann“, die Ihr sie „furios“ und „verwegen“ findet, als „Epos“ bezeichnet, das den „Spannungsbogen“ hält und deshalb empfehlt, „unbedingt diese Serie zu schauen“ (Christian Buß auf spiegel.de);

– Ihr, die Ihr sie „auf der Höhe internationaler Erzählstandards“ seht, weshalb sie „neue Erzählstandards für das deutsche Fernsehen“ setzt, sie mit „10 von 10 Punkten“ bewertet und wegen ihrer „bis zur Schmerzgrenze ambivalenten Figuren“ lobt (nochmal Christian Buß auf spiegel.de);

– Ihr, die in ihr „endlich deutsches Fernsehen auf der Höhe der Zeit“ und den Beweis seht, „dass es auch hierzulande gutes Fernsehen geben kann“; Ihr, für die sie die „beste deutsche Serie circa seit Menschengedenken“ ist und die Ihr RTL für einen Sender haltet, „der ernsthaft daran glaubt, dass es in Deutschland genügend Zuschauer gibt, die sich auch mal was anderes im Fernsehen angucken wollen als den üblichen Kram“ (Dirk Peitz auf zeit.de);

– Ihr, die Ihr davon überzeugt seid, dass „in diesem Herbst endlich wieder ein wenig frischer Wind durch die deutsche Serienlandschaft“ weht und „die Chancen auf Erfolg gut stehen“; die Deutschland ´83 gar für das „deutsche „Borgen““ haltet, weil die Serie „ausgetretene Pfade“ verlässt und „ins Risiko“ geht (David Hein auf horizont.net);

– Ihr, für die DEUTSCHLAND´83 einen „riesigen, einen exorbitanten Sprung vorwärts dar[stellt]“, da sie „für deutsche Verhältnisse absolut hochwertig und das heißt auch hochpreisig produziert“ ist; Ihr, für die sie das „Niveau anderer europäischer Qualitätsserien“ hat und der „vorläufige Höhepunkt dieses deutschen Serien-Herbsts“ ist, weil sie „ausgetretene Pfade“ verlässt und „etwas Neues“ probiert und deshalb „im besten Fall […]der Beginn einer neuen Ära des deutschen Fernsehens [ist], in der wir Serien auf internationalem Niveau produzieren: Einfallsreich und vielfältig in Themen, Stoffen und Erzählformen“ (Christian Junklewitz auf serienjunkies.de);

– Ihr, für die sie „absolut nichts von prestigeträchtigen Emmy-Gewinnern wie „The Americans“ oder „Homeland““ trennt, die in ihr ein hohes „stilistisches und erzählerisches Niveau“ und einen „gut getimten Erzählfluss“ erkennt (Tobias Heidemann auf giga.de);

– Ihr, die Ihr in DEUTSCHLAND´83 eine „besonderer Qualität“ zu erkennen glaubt, die „auch Fans von Serien amerikanischer Kabelsender wie HBO und AMC oder vom Streamingdienst Netflix“ gut unterhält, weil ihr „mit Tempo, (Dialog-)Witz und sogar Action der Spagat zwischen Konventionalität und Anspruch“ gelingt und die deshalb mit BREAKING BAD oder GAME OF THRONES verglichen werden kann (David Denk auf sueddeutsche.de);

– Ihr, die von “hochinteressanten Charakteren” schwärmt und findet, dass „es schon lange keine deutsche Serie mehr geschafft hat, dass man nach einer Folge mit so großer Ungeduld auf die nächste gewartet hätte“ und Ihr deshalb dem Publikum den Tipp gebt: „Wer sich in diesem Jahr nur eine deutsche Serie ansehen mag, kann sich schon mal merken: die isses!“ (Peer Schader auf krautreporter.de);

– Ihr, die Ihr DEUTSCHLAND´83 „provokativ“ findet, sie als „eine großartige Produktion“, als „Vorzeigeserie, die ein Vakuum zu füllen scheint“ bezeichnet, die „jüngste Zeitgeschichte zu einem spannungsvollen Thriller“ verdichtet und die deshalb einen „einmaligen Siegeszug antritt“, „weil das Publikum sich mit dem unbedarften Jungen sofort identifiziert und, auch gegen die eigene Überzeugung, mit ihm zittert und schwitzt“ (derwesten.de);

– Ihr, die Ihr sie für eine „spannende Serie“ haltet, „die mit den Vorbildern aus den USA und Skandinavien mithalten“ kann (focus.de)

– Ihr, die Ihr es für eine „geniale Idee“ haltet, „den Kalten Krieg aus der Ost-Perspektive in Szene zu setzen“, „dem Bann dieses jungen Spions“ erliegt und „mit Spannung“ erwartet, „wie es weitergeht mit ihm“ (Sabine Oelze auf deutschlandfunk.de);

– Ihr, die Ihr „den ersten beiden Folgen“ „Spannung nicht absprechen“ könnt (ausgerechnet den ersten beiden Folgen) und findet, dass „in „Deutschland 83“ nicht lange gefackelt“ wird (Daland Segler auf fr-online.de);

– Ihr, die Ihr in DEUTSCHLAND´83 aufgrund der „guten Unterhaltung und der interessanten Charaktere“ einen „Lichtblick am deutschen TV-Himmel“ und „eine der interessantesten Serien der aktuellen deutschen Fernsehlandschaft“ seht, die sich „auf den Spuren von HOMELAND“ befindet und die den „Vergleich mit amerikanischen Ensemble- und Genre-Vorbildern wie HOMELAND nicht zu scheuen“ braucht (n-tv.de);

– Ihr, für die DEUTSCHLAND´83 eine „Gute-Laune-Serie“ ist, die „gar nicht floppen kann“ (berliner-zeitung.de) –

– um nur einige zu nennen –

Ihr habt die Serie damit kaputt geschrieben. Denn euer himmelhohes Gejauchze hat Erwartungen geweckt, die die Serie einfach nicht erfüllen kann.

Ich frage mich, was euch geritten hat, DEUTSCHLAND ´83 dermaßen hochzujubeln. Die Ausstattung mag euch begeistert haben, die Musik mag in euch die Nostalgie eurer jungen Jahre geweckt haben – alles schön und gut, das Problem ist aber, dass die Geschichte, die DEUTSCHLAND´83 erzählt, einfach nicht gut genug ist, um das Interesse des Publikums zu wecken, geschweige denn zu steigern, und das Publikum deswegen massenhaft wegzappt.

Ihr seid keine Dramaturgen, okay, aber eine derart schwache Story solltet Ihr als Filmjournalisten erkennen können. Dafür sind die dramaturgischen Schwächen einfach zu eklatant, insbesondere verglichen mit den us-amerikanischen Top-Serien: eindimensionale und emotional zu instabile Figuren mit mangelndem Identifikationspotenzial, ein falsch gewähltes emotionales Thema, dadurch eine zu schwache Beziehungsebene, die in keinem ausgewogenen Verhältnis zur Handlungsebene stehen kann, wodurch die horizontale und vertikale Erzählebene nicht miteinander harmonieren, zudem ein für eine rein plotorientiert entwickelte Serie stellenweise zu hanebüchener Plot mit unklaren Motivationen der Figuren (dazu in einem anderen Artikel ausführlich).

Vielleicht habt Ihr sie so gut besprochen, weil sie als (vermeintlich) erste deutsche Serie im amerikanischen Fernsehen lief und von einer amerikanischen Autorin geschrieben wurde. Zumindest werdet Ihr nicht müde, das zu betonen und als Qualitätsbeweis auszulegen. Die Tatsache, dass eine deutsche Serie im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wird, bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sie auch die dramaturgische Qualität der international erfolgreichen amerikanischen Top-Serien hat. Zumal es sich um einen kleinen Sender handelt, der zwar für Serien wie RECTIFY und TOP OF THE LAKE verantwortlich ist, DEUTSCHLAND´83 aber im Original mit Untertiteln gezeigt hat, was auch beim arthouse-interessierten us-amerikanischen Publikum bedeutet, dass sie quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief: Die Zuschauerzahlen lagen laut medienkorrespondenz.de zwischen 60.000 und 140.000.

Dass die Serie – wie Stefan Niggemeier in der FAS schreibt – auf der ganzen Welt gefeiert wird und die BILD sie laut Niggemeier als Riesenerfolg in den Vereinigten Staaten bezeichnet, sollte etwas eingedampft werden.

Übrigens: DEUTSCHLAND´83 war gar nicht die erste deutsche Serie im us-amerikanischen Fernsehen, wie einige von euch nahe legen: Edgar Reitz’ Fernsehepos „Heimat – Eine deutsche Chronik“ lief ebenfalls auf US-Bildschirmen, um nur ein Beispiel zu nennen. Als gute Filmjournalisten hättet Ihr das wissen sollen. Dass DEUTSCHLAND´83 dennoch diesen Ruhm einheimst, scheint an einer falsch verstandenen RTL-Pressemitteilung der dpa zu liegen, die dann von euch begeistert weitergetragen wurde. Dort heißt es nämlich: „Die Event-Serie, von Ufa Fiction für RTL produziert, wird in den USA auf Sundance TV in Deutsch mit englischen Untertiteln laufen und ist damit die erste deutschsprachige Dramaserie, die im US-Fernsehen gezeigt wird.“ (zitiert nach Harald Keller). Es heißt: „deutschsprachige“, nicht „deutsche“. DEUTSCHLAND´83 ist also die erste deutsche Serie, die im Original mit Untertitel ausgestrahlt wird: „“DEUTSCHLAND´83 ist die erste Serie, die in den USA deutsch gesprochen und englisch untertitelt zur Ausstrahlung gelangt. Ein Slogan aus der PR von Sundance TV. Er wird wohl stimmen.“, schreibt euer kundiger Kollege Harald Keller auf medienkorrespondenz.de.

Wie kann es sein, dass die Diskrepanz zwischen eurer journalistischen Bewertung und der dramaturgischen Qualität so groß ist? Habt Ihr lediglich keine Ahnung? Schreibt Ihr bloß PR-Texte ab? Oder seid Ihr am Ende sogar käuflich?

Und sagt mir bitte: Wie soll ich mich in Zukunft verhalten? Soll ich euch vertrauen, wenn Ihr das nächste Mal eine Serie lobt? Ich kann euch sagen, was ich tun werde: Ich werde euch nicht mehr lesen.

Und kommt bloß nicht mit irgendwelchen Ausreden von wegen das deutsche Fernsehpublikum, vor allem das von RTL, ist nicht reif oder was auch immer genug für eine solche Serie. Die ersten Erklärungsversuche gibt es ja bereits:

Lieber Christian Junklewitz, serienjunkies.de ist eine ganz hervorragende Seite, aber Ihre Theorie, dass DEUTSCHLAND´83 während der Ukraine-Krise besser gelaufen wäre als jetzt in Zeiten der Flüchtlingskrise und der Terroranschläge von Paris, in denen die Menschen lieber Helene Fischer schauen, ist mit Verlaub gesagt absurd. Da haben Sie sich verrannt.

Dennoch führt Ihre Theorie letztlich auf die richtige Fährte. Denn DEUTSCHLAND´83 hat zwar ein interessantes inhaltliches Thema – Kalter Krieg, NATO-Doppelbeschluss -, aber ein zu schwach entwickeltes und im Hinblick auf die Erzählweise, die sich aus dem zentralen Konflikt ergibt, falsch gewähltes emotionales Thema (Gemeinschaft in Form von Mutter-Sohn- und Liebesbeziehung, statt Freiheit – auch dazu an anderer Stelle ausführlich).

Inhaltliche Themen können gesellschafts-, kultur- und zeitspezifisch sein, das heißt, sie stoßen nur in einer bestimmten Gesellschaft, in einer bestimmten Kultur oder zu einer bestimmten Zeit auf Interesse, weil sie nur dort und dann relevant sind. Emotionale Themen hingegen sind universell, transhistorisch und transkulturell. Sie wecken also immer und überall Interesse. Genau hier liegt das Problem von DEUTSCHLAND´83: Sie fokussiert sich zu stark auf die inhaltliche Ebene und zu wenig auf die emotionale Ebene. So gesehen könnte ihre Theorie rein theoretisch sogar richtig sein, allerdings bezweifle ich, dass die Ukraine-Krise in der Lage gewesen wäre, das Interesse der Menschen am Kalten Krieg zu wecken. Dafür sind die Unterschiede zwischen den beiden Ereignissen doch zu groß.

Was international erfolgreiche Top-Serien so erfolgreich macht, sind nicht ihre inhaltlichen Themen, sondern ihre emotionalen. Stellen Sie sich Walter White als einen Chemielehrer vor, der keine Familie hat und anfängt, Drogen herzustellen, weil er in finanziellem Reichtum leben will. Keine Sau würde sich dafür interessieren, zumindest keine sechs Staffeln lang. Die Qualität von BREAKING BAD liegt in der Erzählung der emotionalen Ebene, dem Konflikt, in den Walter mit seiner Familie gerät, als er anfängt, Drogen herzustellen. Und diese emotionale Ebene ist in DEUTSCHLAND´83 zu schwach.

Auch das vielleicht falsche Marketing, wie Thomas Lückerath auf dwdl.de behauptet, ist nicht der Grund. Denn selbst das beste Marketing hätte zwar möglicherweise die Quote für die erste Folge erhöhen können, aber nicht für die anderen. Denn wer schaut eine Serie weiter, die ihm nicht gefällt, nur weil das Marketing so brillant ist? Ich vermute: niemand.

Da ich nicht alle Filmjournalisten über einen Kamm scheren will, nenne ich zum Abschluss auch einen der guten: Matthias Dell. Er bezeichnet in seiner Kritik auf deutschlandradio.de die Serie als „zu gewöhnlich, die Figuren zu platt“. Und auf freitag.de schreibt er, dass DEUTSCHLAND´83 „allerdings bloß wie die verlängerte Spielfilmvariante [wirkt]. Einer Änderung bei der Zimmerbelegung in einem Hotel wird zugestimmt mit dem traurigen Dialogsatz „Ich guck eh nicht raus“, der leider das Niveau des Drehbuchs besser vermittelt als die PR-trächtige Idee, eine in den USA geborene Autorin (Anna Winger) würde automatisch die Komplexität amerikanischer Serien importieren.“

17 Gedanken zu „Wie Filmjournalisten DEUTSCHLAND´83 kaputt loben – eine Wutrede“

  1. Ich habe die Serie gesehen – ohne große Begeisterung. Und ich habe den Hype
    um Deutschland ’83 nicht verstehen können. Als Oldie des Jahrgangs 1944
    habe ich einige wirklich großartige deutsche Serien in Erinnerung.
    Ist doch klar, was da passiert ist: dem ERFOLG auf den Leim gegangen –
    und dann nicht mehr hingeschaut…

  2. Ich stimme dem Urteil größtenteils tatsächlich zu, jedoch sollten sie in Zukunft bedenken, dass das lediglich ihre Meinung ist. Sie können nicht sagen, dass alle Kritiker falsch oder gekauft sind, weil sie eine andere Meinung haben und Deutschland 83 nicht gut finden. Ist Deutschland 83 perfekt ? Nein, lange nicht. Ist die emotionale Ebene schwach ? Möglich. Dennoch Kritiker öffentlich angehen, weil sie nicht ihrer Meinung sind, ist wohl kaum der richtige Weg. Denn trotz alledem sind die von ihnen genannten dramaturgischen Schwächen kein Fakt, sondern lediglich ihre persönliche Meinung, mit denen viele Menschen und Kritiker nicht übereinstimmen. Machen sie also nicht den Fehler, nur von ihrer Meinung aus, auf die Fehler anderer zu schließen

  3. Stimme ihrer kritik an der Serie in vollem Umfang zu. Habe genau aus den beschriebenen Gründen nach der vierten Folge das Schauen eingestellt. Ist der „andere Artikel“, von dem die Rede ist, schon erschienen oder erst in der Vorbereitung?

  4. Dass der Hype zu groß war, damit die Erwartungshaltung, mag stimmen. Emotionen spielen durchaus eine Rolle, doch insgesamt war der Themenbogen so breit angelegt, dass man sich als Zuschauer darin verliert. Ich hatte erwartet, „DEUTSCHLAND 83“ würde sich konkret auf das NATO-Manöver Able Archer foksusieren, wo der 3. Weltkrieg kurz bevor stand, ohne dass es (anders als bei der Kuba-Krise) jemand im Westen bemerkt hätte. Das kommt vermutlich auch vor (nachdem ich weggezappt habe), aber ist eben zu sehr vermengt mit dem „DDR-Einerlei“. Eine derartige inhaltliche Fokussiereung hätte wohl auch mehr emotionalien bzw. transkulturellen Drive entwickelt – da es um existenzielle Fragen von Leben, Tod und Gesellschaft geht, und zudem auf der Plot Ebene viel mehr Spielraum für Verdichtung und „Raising the Stakes“ lässt. Die Argumentation, dass „Inhalt nicht trägt“ teile ich so nicht! Sicherlich ist etwa bei HOMELAND das familiäre Beziehungsgeflecht perfekt aufgebaut und der Held/Anti-Held zeitweilen extrem im innerlichen Konflikt hin- und hergerissen. Dies funktioniert aber nur, wenn auf der inhaltlichen Ebene genug auf dem Spiel steht, hier der Angriff auf das Land, den Fizepräsidenten, die CIA-Zentrale usw. – und das ganze vom Spannungsbogen und Timing her optimal choreographiert ist. Hier mag es durchaus stimmen, dass die Ukraine-Krise (die faktisch eine Neuauflage des kalten Krieges ist, ob es einem nun passt oder nicht) dem Thema mehr Relevanz gegeben hätte, was den initialten Zuschaeurpool vergrößert hätte (auch wenn das noch keine Serien-Fans garatniert). Der klassische Ruf nach „mehr Emotionen“ ist mit schuld an der Belanglosigkeit Deutscher Serien… die sich zu sehr in Beziehungsgelfecht-Dramaturgie ergötzen, ohne inhaltilch relevant zu sein. Echte Helden kämpfen eben um mehr, als ihr eigenes Ego, ihre eigene Selbstverwirklichung! Ganz im Gegenteil: Sie opfern ihre eigenen Vorteile für die „große Sache“ – und erst daraus entsteht der emotionale Konflikt!“ Ín „HOMELAND“ ist die Beziehung eines Kriegshelden, Kriegsgefangenen und Terroristen zu seiner Tochter ein starker emotionaler Konflikt – derselbe Beziehungskonlfikt wäre eher langweilig, wenn er ein „Jedermann“ wäre. Im Fall von „DEUTSCHLAND 83“ hätte es aber vermutlich eines starken, sowietischen Protagonisten bedurft, der ggf. eingebettet sein müsste in das Konzept der „offenen Kanäle“, wie sie im Tom-Clancy-Roman/Film „DER ANSCHLAG“ aufgeführt sind. Ein Jungspund von einem Grenzsoldaten, quasi noch grün hinter den Ohren, trägt nicht, da sich nur junge Leute mit ihm identifizerien können, diese sich aber nicht primär für Kalten Krieg interessieren und Serien längst nicht mehr (wie wir alten Hasen) im TV sehen, sondern bei Netflixx. Ehrlich gesagt ist das Thema „DDR“ langsam ausgelutscht und reißt im Westen niemanden mehr vom Hocker. Die hochgelobte, historisch-authentische Ausstattung ist hier eher ein Hindernis, da das Publikum einen modernen Look & Feel gewohnt ist. Dieser Retro-Touch funktioniert in einer humorigen Serie wie „SEDWITZ“ besser, als in einem ernsten, Thriller-orientierten Stoff. Da wirken diese verstaubten Ost-Kulissen zu sehr nach gequätlem Drama, als dass sie dem Anspruch an einen unterhaltsamen, actiongeladenen Prime-Time-Thriller gerecht würden. Auch wenn die Serie durchaus ihren Charme hatte – und es zugleich schade ist, dass man dafür einen US-Autorin bedienen musste, so ist es doch noch ein weiter Weg, bis man hierzulande wirklich wieder Serien auf Weltniveau hinbekommt.

  5. Christian Junklewitz entschuldigt sich in serviler Art und Weise, er habe mit seiner Huldigung zum Versagen von Deutschland 83 beigetragen. Ron Kellermann check ich gar nicht. Seine Wutrede bedient den gleichen Vorwurf, den er mustergültig mit 2000 Zitaten belegt, was ihn letztlich aber zum Fazit bringt: die Serie scheiterte an der fehlenden emotionalen Tiefe der Figuren. What the heck?

    Fakt ist, dass der deutsche Serienmarkt, jenseits eines selbstproduzierten Hypes, bei potentiellen Zuschauern nur sehr vereinzelt mit Erfolgskonzepten aufwarten kann. Ich bin weder in der Lage noch Position zu bewerten, inwiefern das an den dramaturgischen Konzepten der einzelnen Produktionen liegt. Das sollen die Kellermanns übernehmen. Zu behaupten, es läge an der fehlenden emotionalen Tiefe oder der journalistischen Berichterstattung greift aber viel zu kurz, hat sogar etwas inzestuös elitäres. Bei aller Liebe: der Quotenerfolg einer Serie entscheidet sich weder bei Serienjunkies noch im Feuilleton der „Zeit“, erst recht nicht in 200 Dramaturgie-Seminaren eines Herrn Kellermann.

    Die deutsche Serie versagt als Markt. Und dass es nicht an der Nachfrage liegt, bezeugen die nachhaltigen Erfolge amerikanischer Serien auch hier in Deutschland. Es ist ein Problem des Angebots. Und dies in zweifacher Hinsicht. Der deutschen Serie mangelt es an Frequenz und Referenz.
    Die Frequenz in der Serienformate in Deutschland pilotiert werden, reicht bei weitem nicht aus. Vergleicht man die Rate der Serien in den USA, die eine Staffel nach den Upfronts überleben, kommt man sicher kaum auf mehr als 20%. Für exakte Zahlen dürfte Herr Junklewitz Experte sein. 80% werden produziert, damit dieser kleine Bruchteil erfolgreich sein kann. Und die 20%, die es dauerhaft in Serie schaffen, müssen soviel Ertrag produzieren, dass das gesamte System sich wirtschaftlich trägt. Ein Sender wie RTL hätte meinen Respekt verdient, wenn er jährlich 10 neue Serienformate pilotieren würde. Finanzieren ließe sich das durch Einsparungen bei Einkäufen von US-Ware, Skalierungseffekten in der Produktion und letztlich dem potenziellen Erfolg einer eigenproduzierten Serie, die sich ganz anders verwerten lässt als eingekaufter Stoff.

    Der zweite entscheidende Faktor ist die fehlende Referenz deutscher Serien auf inhaltlicher Ebene. Was hat dieses Land mitten in Europa in den letzten 30 Jahren erlebt und wie wenig davon wurde in seriellen TV Formaten aufgegriffen. Sei es politisch, gesellschaftlich oder auch wirtschaftlich. Wieso gibt es keine Serie, die Frauen in politischer Verantwortung zeigt? Wo ist eine Serie, die mit der neuen Rolle einer deutschen Bundeswehr in den letzten 20 Jahren operiert? Unialltag, Fernsehköche, Steuerhinterziehung, mittelständisches Autohaus oder Jobagentur. Nichts davon findet ernsthaft in deutschen Serien statt.

    Stattdessen betreiben vermeintliche Expertendebatten Ursachenforschung und suchen die Faktoren außerhalb des eigentlichen Biotops.

    Frohe Weihnachten

    Dieser Kommentar ist sowohl bei filmschreiben.de als auch serienjunkies.de von mir gepostet worden.

  6. Der Text liest isch, als sei da jemand persönlich beleidigt. Die These, dass die Serie deshalb nicht erfolgreich sei, weil sie dramaturgisch schwach ist, ist natürlich Käse, der Gegenbeweis läuft fast täglich im Fernsehen, Serien die nicht nur in ihrer Dramaturgie, auch in den Figuren oder Handlungen oder selbst den Actionszenen gruselig anzuschauen sind.
    Die überbordende Lobhudelei ist in der Tat katastrophal, zeigt aber wie oft Filmjournalisten sich von PR beeinflussen lassen, das ist Deutschland 83 keine Ausnahme.

  7. Wenn wer etwas kaputtgeschrieben hat, dann ist es der Autor hier auf dieser Seite. – Die Serie wurde zurecht international gefeiert. Scheint so, als hätte man wohl im Ausland einen unvoreingenommeneren Blick. Deutschlan83 ist bislang die einzige deutsche Serie, die es bei der Dramaturgie und dem Drehbuch mit Top-Serien á la Homeland aufnehmen kann. Und nein: das ist nicht zu hoch gegriffen!
    Was die überhöhten Erwartungen betrifft, so gilt das gleiche für alle Filme und Serien und wirkt dort jeweils genauso. Am besten, Sie lesen die anderen Kritiken nächstes Mal erst dann, wenn Sie die eigene abgeliefert haben.

  8. Hallo Frankie,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich fände es schön, wenn Sie Ihre Aussage, dass D´83 es bei der Dramaturgie und dem Drehbuch mit HOMELAND aufnehmen kann, anhand konkreter Beispiele belegen würden. Dann könnten wir in eine konstruktive Debatte eintreten. Sonst ist Ihr Kommentar einigermaßen fruchtlos.

    Viele Grüße

    Ron

  9. Hallo JMK,

    mir erschließt sich leider die Logik Ihrer Argumentation nicht: Weil es Ihrer Meinung nach erfolgreiche Serien mit schwacher Dramaturgie im deutschen Fernsehen gibt (konkrete Beispiele wären hilfreich), kann es nicht sein, dass D´83 wegen ihrer dramaturgischen Schwächen nur von so wenigen Menschen gesehen wurde? Wo ist hier die Kausalität? Können Sie mir das bitte erläutern? Mir scheint, dass Sie hier von einer Existenzaussage auf eine Allaussage schließen: Es gibt erfolgreiche Serien mit schlechter Dramaturgie, also haben alle erfolglosen Serien eine gute Dramaturgie.

    Viele Grüße

    Ron

  10. Hallo Der Plotter,

    vielen Dank für Ihren kenntnisreichen Kommentar. Die meisten Ihrer Anmerkungen unterschreibe ich. Wo ich Ihnen nicht zustimme, ist, dass ich nach „mehr Emotionen“ rufe, um mich dann in einer Beziehungsgeflecht-Dramaturgie zu ergötzen. Der Begriff „emotionales Thema“ scheint hier missverständlich zu sein, „universelles Thema“ wäre wohl treffender. Denn genau darum geht es mir: um die großen universellen und existenziellen Themen wie Leben, Freiheit, Sicherheit, Anerkennung, Zugehörigkeit, Gemeinschaft etc., die einem starken inhaltlichen Thema zugrundeliegen.

    Stellen Sie sich BREAKING BAD mit einem frustrierten Walter White vor, der keine Beziehung und keine Familie hat und anfängt, Drogen zu kochen, um reich zu werden. Das würde sich kein Mensch anschauen, zumindest keine sechst Staffeln lang. Erst durch das emotionale / universelle Thema Gemeinschaft / Familie / Zugehörigkeit und den daraus entstehenden zentralen Konflikt erhält BREAKING BAD seine dramaturgische Tiefe. Und genau das ist aus meiner Sicht eine der Hauptschwächen von DEUTSCHLAND´83: Sie fokussiert sich zu sehr auf die inhaltliche Ebene, auf den Plot, und vernachlässigt das große Ganze, wodurch sie nichtssagend wird.

    Vermutlich liegen wir also gar nicht so weit auseinander. Wo wir sehr nahe beieinander sind, ist bei der anderen Gestaltung der Hauptfigur: Ich glaube auch, dass die Hauptfigur, so wie sie in D´83 entwickelt wurde, nicht tragen kann, und ein topausgebildeter Spion, der vom Sozialismus absolut überzeugt ist und sowohl die BRD als auch den Kapitalismus hasst und der bereit ist, für seine Überzeugung zu sterben, besser funktioniert hätte.

    Viele Grüße

    Ron

  11. Hallo Herr Plewka,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Der andere Artikel ist noch in Arbeit. Zuerst kam mir der Vorweihnachtsstress in die Quere und dann Weihnachten und der ganze Rest… Ich hoffe, dass ich ihn in der dritten Januarwoche veröffentlichen werde.

    Viele Grüße

    Ron

  12. Hallo JMK,

    dass wir hier Objektivität nicht im streng erkenntnistheoretischen Sinne verstehen, sollte eigentlich aus unseren bisher veröffentlichten Texten als selbstverständlich hervorgehen. Dramaturgie ist keine exakte Wissenschaft, mit der sich reproduzierbare und prognostizierbare Ergebnisse erzielen lassen.

    Aber es gibt eine Reihe von dramaturgischen Prinzipien, die man als „„dramaturgische Wahrheiten““ (bitte in doppelten Anführungszeichen lesen) bezeichnen könnte, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, indem sie zuverlässig bewiesen haben, dass Geschichten funktionieren, wenn man sie befolgt.

    Das sind so grundlegende Dinge wie das Prinzip des Antagonismus oder die Drei-Akt-Struktur als Basismodell für einen optimalen Konfliktaufbau. Es sind aber auch speziellere Aspekte wie beispielsweise „ambivalente Hauptfiguren“ oder das „ungerechtfertigte Leid“ als Mittel, um Identifikation mit einer ambivalenten Hauptfigur herzustellen, die wesentliche Bestandteile international erfolgreicher Serien sind.

    Das heißt aber keineswegs, dass eine ambivalente Hauptfigur, der ein ungerechtfertigtes Leid widerfahren ist, automatisch für eine hohe dramaturgische Qualität und internationalen Erfolg bürgt, siehe TRUE DETECTIVE, wo das ungerechtfertigte Leid sich nicht wie in BREAKING BAD, MAD MEN, DEXTER, DR. HOUSE etc. unmittelbar auf die Geschichte auswirkt (hier ausführlicher https://filmschreiben.de/wie-man-identifikation-erzeugt-und-wie-nicht-breaking-bad-und-true-detective/). Genauso wenig bedeutet es, dass eine Serie ohne ambivalente Hauptfigur deswegen schon erfolglos sein wird.

    Wir sprechen hier im Grunde über banale Selbstverständlichkeiten. Denn natürlich macht noch kein dramaturgisches Prinzip oder Werkzeug eine hohe dramaturgische Qualität. Die Komplexität einer Geschichte ist hierfür viel zu hoch. Ein Hammer ist ein prima Werkzeug. Aber er garantiert nicht, dass ich den Nagel gerade in die Wand haue.

    Viele Grüße

    Ron

  13. Hallo Anonymus,

    der Text stellt selbstverständlich meine ganz persönliche, subjektive Meinung dar. Sollte ein anderer Eindruck entstanden sein, dann habe ich mich missverständlich ausgedrückt.

    Ich behaupte außerdem nicht, dass alle Kritiker falsch liegen. Deshalb erwähne ich diejenigen, die ich meine, am Anfang des Textes namentlich und führe am Ende explizit einen an, der sich dem überschwänglichen Lob seiner Kollegen nicht angeschlossen hat (mehr als diesen einen habe ich leider nicht gefunden).

    Es geht mir nicht darum, dass ich die Kritiker angehe, weil sie eine andere Meinung als ich haben, sondern darum, dass noch nie eine Serie so gut besprochen wurde und zugleich so wenige Menschen sie sehen wollten. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einer der wichtigsten ist aus meiner Sicht, dass die Story nicht gut genug ist, um die Menschen zu fesseln. Und das hat dramaturgische Gründe. Die Kritiker, auf die ich mich beziehe, führen aber immer auch dramaturgische Aspekte an, um die Qualität der Serie zu belegen. Und deshalb frage ich sie, ob sie keine Ahnung haben, nur PR-Texte abschreiben oder käuflich sind. Aber ich behaupte das nicht.

    Selbstverständlich kann ich mit meiner Einschätzung der dramaturgischen Qualität daneben liegen. Dann würde ich mich freuen, wenn mir jemand zeigen würde, wo, und wir in ein konstruktives Gespräch einsteigen könnten. Ich lade Sie herzlich dazu ein.

    Viele Grüße

    Ron

  14. Lieber Michael,

    darf ich Sie als „Oldie“ fragen, welche deutschen Serien für Sie die besten sind?

    Vielleicht wäre es ja mal interessant, sie dramaturgisch zu besprechen. Denn möglicherweise käme dabei heraus, dass wir eigentlich eine gute Serientradition in Deutschland haben und gar nicht so sehr den us-amerikanischen Serien nachhecheln müssen.

    Herzliche Grüße

    Ron

  15. Na jetzt hatte ich die Antwort zum Jahresanfang leider überlesen. Bin aber hier ihrer Meinung, sofern es um unverselle Emotionen wie beschrieben geht, kann ich die Kritik gut nachvollziehen! Dramaturgisch hätte man bestimmt einiges besser machen können.
    @Nachtrag zu einem kürzlichen Newsletter zur Fehleranalyse, wo auch die nicht-dramaturgischen Faktoren beleuchtet wurden: In der Tat fürchte ich auch, dass gerade dieser „Qualitätsserien-Hype“ in der Presse viele potenziellen Zuschauer verscheucht hat. Das Publikum möchte sich eben nicht gern „Qualität von oben diktieren lassen“, so dass zu viel „Qulitätsdruck“ am Ende auch schaden kann. Schon glaube ich, dass der klassische RTL Cobra11-Zuschauer mit der neuen Serie einfach nichts anfangen konnte und der qualitätsorientierte, lineare TV-Gucker am Donnerstag einfach auch kein RTL auf dem Schirm hat. Und die Netzgemeinde, die ihre Serien lieber dann abruft wann es ihr passt, möchte eben umso mehr auch selbst entscheiden, was sie Qualitätsserie nennt. Diese Anmerkungen stehen aber nicht im Widerspruch zu der Fehleranalyse, die sich auf die Dramaturgie bezieht.

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