Bundestagswahl 2017: Die Kulturpolitik der Parteien, II/III

Erzähler wissen: Entscheidungen sind schwer. Und: Für Entscheidungen muss man gerade stehen. Ein Überblick über die kulturpolitischen Ideen der Parteien, deren Vertreter vermutlich im nächsten Bundestag sitzen werden, besonders in Bezug auf Schrift und Film. Der erste Teil findet sich hier.

Die Wirtschaftlichkeit von Kunst und Kultur

Die bestehende oder fehlende, zu fördernde oder zu kritisierende Wirtschaftlichkeit von Kultur ist auch über die Kunstfreiheit hinaus bei den Parteien Thema. Die LINKE diagnostiziert: „Kürzungen der Kulturförderung, Schließungen oder Privatisierungen von öffentlichen Einrichtungen und ein massiver Personalabbau haben den öffentlichen Kultursektor geschwächt.“

Das sei schlecht für die Zugänglichkeit zu Kultur (s. Kulturelle Bildung und Medienkompetenz), die LINKE fordert wenig konkret: „Eine kommunale Haushaltsnotlage darf nicht zur Schließung von Kultureinrichtungen führen.“ Die SPD sucht den Kompromiss: „Wir wollen mit öffentlicher Kulturförderung ein breites kulturelles Angebot zu sozialverträglichen Preisen ermöglichen.“

Die SPD spricht dennoch von einer „Kreativwirtschaft“, die es zu stärken gelte, die CDU betont „Kultur ist unbestritten auch ein Standortfaktor“ und „Filme sind wertvoll als Wirtschaftsprodukt“ – der Satz geht immerhin weiter mit „und als Kulturgut.“ Dankeschön. Bei der FDP kommt der Begriff Kultur zuallererst und überhaupt vor allem als Bestandteil des Wortes „Gründerkultur“ vor. Die AfD bläst auch in dieses Horn: „Die AfD will die Kulturpolitik an fachlichen Qualitätskriterien und ökonomischer Vernunft anstatt an politischen Vorgaben ausrichten.“
„Filme sind wertvoll als Wirtschaftsprodukt“ … „und als Kulturgut.“
Die GRÜNEN äußern eine Idee, die in eine ganz andere Richtung geht: „Nicht-kommerzielle Bürger*innenmedien sollen ihre Arbeit als gemeinnützig anerkennen lassen können.“ Und die LINKE positioniert sich gewohnt kompromisslos: „Wir wollen die Bundeskulturförderung neu strukturieren. DIE LINKE stellt sich gegen die Ökonomisierung und Privatisierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge.“

Dass es ein kulturelles und soziales Problem ist, wenn Kultur mit Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit gefördert wird, und dementsprechend sich gut bezahlen lassen muss, was wieder der Zugänglichkeit schadet, die zum Beispiel die FDP ja selbst vollmündig verkündet hat? „Wir Freie Demokraten wollen die Vielfalt und die Freiheit des Kulturlebens in Deutschland […] für alle Menschen in unserem Land zugänglich machen.“ Mit der „Förderung der Entwicklung jedes Einzelnen“ durch Kultur (CDU) ist dann wohl bloß jeder einzelne mit genug Geld gemeint.

Leben und Arbeiten der Künstler

Bei den GRÜNEN und LINKEN ist das Thema Wirtschaftlichkeit dann auch eng mit dem Wirtschaften der Künstler verbunden: „Wir wollen sicherstellen, dass Urheber*innen und Verwerter*innen zum beiderseitigen Nutzen zusammenwirken und dass öffentlich finanzierte Kunst und Forschung nicht zuvörderst von privaten Unternehmen kommerzialisiert werden“, und: „Statt Druck durch die Ökonomisierung wollen wir eine solide, nicht produkt-, sondern prozessorientierte Grundfinanzierung. Sie soll genügend Freiräume für Projektentwicklung bieten und die Kulturschaffenden – ob angestellt oder freischaffend – sozial absichern.“

Bei der CDU klingt das eher allgemein: „Deutschland ist das Land mit der höchsten Dichte an Theatern, Opern, Orchestern, Museen, Literaturhäusern und Festivals weltweit. Nirgendwo werden mehr Bücher geschrieben und gelesen als bei uns. Um diesen Reichtum zu sichern, stärken wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen für künstlerisches Schaffen. Denn Kreative müssen auch im digitalen Zeitalter von ihrer geistigen Leistung leben können.“
„Nirgendwo werden mehr Bücher geschrieben und gelesen als bei uns.“
Wobei mir da auch eine Quellenangabe fehlt. Dass in Deutschland mehr Bücher geschrieben und gelesen werden als in den USA, Russland, China und anderen Ländern mit deutlich höherer Bevölkerungszahl klingt dann doch eher nach einem patriotischen Märchen. Und bei einem Land mit der höchsten Dichte an Kultur würde ich eher auf den Vatikan tippen. (Einen anderen Rekord würde ich hingegen sofort glauben: In Deutschland wurden vermutlich die meisten Bücher verbrannt.)

Die LINKE versucht sich wieder an einer Diagnose: „Die wirtschaftlichen und sozialen Risiken für die Kulturschaffenden haben sich vergrößert. Ihre Situation ist zunehmend von sozialer Unsicherheit sowie geringen und schwankenden Einkünften gekennzeichnet.“ Ebenso die SPD: „Flexiblere Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien und die schwierigen Einkommensverhältnisse machen es freiberuflichen Kulturschaffenden zunehmend schwer, Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen.“

Sie hat auch konkrete Ideen, das zu ändern: „Bei Bundeskulturförderungen werden wir für gerechte Vergütungsregeln sorgen. […] Wir machen uns für Mindestvergütungen und Ausstellungsvergütungen stark und prüfen die Einführung eines Künstlergemeinschaftsrechts.“ Sie will „Solo-Selbstständige möglichst umfassend in die verschiedenen Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung einbinden“, die KSK sei davon ausgenommen.
„Die wirtschaftlichen und sozialen Risiken für die Kulturschaffenden haben sich vergrößert.“
Ähnlich klingt das bei GRÜNEN und LINKEN: „Künstler*innen und Kulturschaffende brauchen eine stabile soziale Absicherung und verbesserte Verdienstmöglichkeiten durch Mindestlöhne und Honoraruntergrenzen, die unter anderem in öffentlichen Förderprogrammen verankert werden müssen“, bzw. „Wir streben die Einbeziehung von (Solo-)Selbstständigen in unsere solidarischen Versicherungsmodelle (Gesundheit, Erwerbslosigkeit, Rente, Pflege) an.“

AfD, CDU und FDP äußern sich dazu nicht. Was verständlich ist, weil sie zuvor die Wirtschaftlichkeit von Kultur erklärt hatten, es das Problem also gar nicht geben kann oder selbstverschuldet ist. Zumindest zu Verwertungsgesellschaften fällt der FDP ein: „Wir […] setzen hier aber auf eine Stärkung des Wettbewerbs, auch in Form von gemeinsamen Vergütungsregeln der Rechteinhaber.“ Die LINKE will VGs wenig konkret „reformieren und die Mitbestimmungsrechte der Kreativen verbessern.“

Vielfalt und Gerechtigkeit in der Kultur

Von kultureller Vielfalt war bei fünf von sechs Parteien die Rede. GRÜNE, LINKE und SPD haben diesbezüglich noch ein Anliegen: „Wir GRÜNE werden die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und im Medienbereich, immer noch keine Selbstverständlichkeit, weiter voranbringen“, und: „Wir wollen die Geschlechtergerechtigkeit in Kunst und Kultur weiter ausbauen“ (SPD).

Konkret: „Die Entscheidung, was und wie gefördert wird, muss auch nach Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion, Nachhaltigkeit, Integration und Aspekten kultureller Bildung getroffen werden“ (SPD), bzw. „Wir wollen die Vergabe öffentlicher Fördermittel an eine gute, existenzsichernde Vergütung, gute Arbeitsbedingungen und Gendergerechtigkeit koppeln“ (LINKE).

Die SPD lehnt sich offenbar weit aus dem Fenster: Künstlerische Leistungen sollen geschlechterunabhängig honoriert werden. „Mehr Frauen sollen Führungsverantwortung in Kultureinrichtungen übernehmen und künstlerische Leistungen geschlechterunabhängig honoriert werden. Die Besetzung von Jurys, Gremien, etc. muss quotiert erfolgen, damit das künstlerische Schaffen von Frauen angemessen einbezogen werden kann.“

Bild: Jürgen Matern / Wikimedia Commons

2 Gedanken zu „Bundestagswahl 2017: Die Kulturpolitik der Parteien, II/III“

  1. Vielen Dank für diese fleißige Zusammenstellung. Sie zeigt leider, dass Politiker ganz schön zu Phrasen greifen müssen, wenn es um Kultur geht. Aber gelegentlich sieht man zumindest Bemühungen, etwas für Künstler zu tun. Das Einzige, worauf wir uns verlassen können, ist der Artikel der Kunstfreiheit im Grundgesetz.

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