Erzähler wissen: Entscheidungen sind schwer. Und: Für Entscheidungen muss man gerade stehen. Ein Überblick über die kulturpolitischen Ideen der Parteien, deren Vertreter vermutlich im nächsten Bundestag sitzen werden, besonders in Bezug auf Schrift und Film. Der erste Teil findet sich hier, der zweite hier.
Künstlerisches Schaffen und Urheberrecht
Wenn es um das Leben und Arbeiten von Künstlern geht, geht es auch um das Urheberrecht. Dafür, dass es so ein großes Thema der EU ist, und sowohl Künstler (Buy Out) als auch Verbraucher (DRM) ständig übers Ohr gehauen werden, wird es von den Parteien eher ignoriert. Der CDU fällt gar nichts dazu ein (nach „Urheber“ durchsucht man ihr Programm vergeblich), den Grünen fast nur die bereits zitierte Aussage vom beiderseitigen Zusammenwirken von Urhebern und Verwertern.
Die LINKE verkündet ganz allgemein, dass sie die „Verhandlungsmacht der Kreativen im Urhebervertragsrecht stärken“ wollen. Und die AfD betrachtet das Thema wie gewohnt bloß von einer Seite: „Der Abmahnindustrie, die das Urheberrecht missbraucht, um von unbescholtenen Bürgern im Internet jährlich Millionenbeträge abzukassieren, will die AfD einen gesetzlichen Riegel vorschieben.“
Anders bei FDP und SPD: „Wir Freie Demokraten wollen ein modernes Urheberrecht, das auch die berechtigten Interessen von Nutzern und Investoren berücksichtigt. Ein wirksamer Schutz durch das Urheberrecht ist notwendige Voraussetzung für kreative Tätigkeit und für Investitionen in deren wirtschaftliche Verwertung.“ „Es […] muss gerade auch in der digitalen Welt gewährleisten, dass die Erträge aus der Verwertung kreativer Leistungen den Urhebern und den weiteren Berechtigten zufließen.“
„Der Anspruch der Urheberinnen und Urheber […] muss stärker berücksichtigt werden.“
Weiter: „Wir wollen deshalb ein Urheberrecht, das einen einfachen Rechteerwerb und die unbürokratische und transparente Beteiligung der Urheber an der Verwertung ihrer Werke ermöglicht.“ Möglicherweise ähnlich klingt das bei der SPD: „Das Prinzip der pauschalen Vergütung [soll] auf diejenigen ausgeweitet werden, die mit der Vermarktung von kreativen Leistungen im Internet Geld verdienen – beispielsweise Online-Plattformen.“ Das kann man durchaus problematisch finden, aber immerhin ist es eine Auseinandersetzung mit dem Thema.
Mehr von der SPD: „Wir unterstützen die Bemühungen der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments, ein modernes und zukunftsfähiges Urheberrecht in Europa zu schaffen. […] Der Anspruch der Urheberinnen und Urheber und der Verlegerinnen und Verleger auf eine angemessene Vergütung muss stärker berücksichtigt werden.“
Digitalisierung und Digitales
Im Zuge der Frage des Urheberrechts schon angeschnitten ist natürlich auch Digitalisierung bei den meisten Parteien ein Thema, das aber besonders von der FDP beansprucht wird. Im Kontext Film bedeutet Digitalisierung vor allem die digitale Bewahrung deutscher Filme. GRÜNE, LINKE und SPD äußern sich dazu, im Programm der CDU wird im Kapitel „Chancen im digitalen Zeitalter“ die Kultur ausgeblendet, vielleicht gibt es diese Chancen einfach nicht.
GRÜNE: „Unser Kulturerbe soll zugänglicher werden. Dafür müssen wir es erhalten. Diese Sicherung wie durch die Digitalisierung und Konservierung beim Film ist eine zentrale Aufgabe unserer Kulturpolitik und muss finanziell und institutionell gefördert werden.“ LINKE: „Wir wollen Filme auf Dauer bewahren und zugänglich machen“, „Dafür brauchen wir eine gesamtstaatliche Digitalisierungsstrategie.“ SPD: „Die Digitalisierung des nationalen Filmerbes durch ein abgestimmtes Konzept von Bund, Ländern und der Filmbranche unterstützen wir. Die Einrichtungen für das Filmerbe des Kinemathekverbundes wollen wir personell und finanziell stärken.“
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
„Der gegenwärtige öffentlich-rechtliche Rundfunk wird durch Zwangsbeiträge finanziert, ist mit einem Jahresbudget von über neun Milliarden Euro viel zu teuer und wird in einer Weise von der Politik dominiert, die einer Demokratie unwürdig erscheint“ (AfD).
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Beschuss, besonders von Seiten der AfD. Das führt bei manchen Parteien zu einem Bekenntnis zum ÖRR, manchmal ein größeres – „Für eine unabhängige und qualitätsvolle Berichterstattung kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine wichtige Rolle zu“ (GRÜNE) – manchmal ein eher kleines: „Wir bekennen uns zur gewachsenen dualen Medienordnung von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk“ (CDU).
„Der Rundfunkbeitrag ist abzuschaffen“
Die AfD fordert: „Der Rundfunkbeitrag ist abzuschaffen, damit in Zukunft jeder Bürger selbst und frei entscheiden kann, ob er das öffentlich-rechtliche Angebot empfangen und bezahlen will.“ Das ist insofern interessant, weil die AfD auch fordert, Kontrollgremien demokratisch wählen zu lassen, das irritiert, weil Nichtzahler wohl ebenfalls wahlberechtigt wären (?) und das ÖRR-Angebot auf diejenigen zu reduzieren, die es sich leisten können, plötzlich nicht mehr sehr demokratisch klingt.
Vielleicht ist aber auch die Sorge, dass es mit dieser Regelung plötzlich Menschen gäbe, die nicht mehr an unabhängigen Medien teilhaben können, völlig unbegründet. Da die „Wertschätzung von Bildung, Kunst“ ja deutsche Leitkultur ist, würden die kulturell geleiteten Deutschen sich wohl kaum gegen Empfang und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheiden. Oder?
Die politische Abhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beklagen und als Lösung seine wirtschaftliche Abhängigkeit fordern? Das verwundert. Die GRÜNEN identifizieren das selbe Problem, mit gegenteiliger Lösung: „Deshalb muss er ohne staatliche oder kommerzielle Einflussnahme arbeiten können. Das geht nur, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch weiterhin über Beiträge der Allgemeinheit finanziert wird und frei von wirtschaftlichen Interessen bleibt.“
Nicht nur bei der AfD, auch bei anderen Parteien finden sich überraschende Widersprüche. Bekannte sich die FDP zu Anfangs noch zu kultureller Vielfalt, fordert sie beim ÖRR eine „Verschlankung“. „Die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler sollen […] keine Doppelstrukturen finanzieren, wie sie bei 60 eigenständigen Hörfunkprogrammen unvermeidbar und bei sich ähnelnden Sendungen im Fernsehen offenkundig sind.“
Das ist durchaus ein Problem, aber eine „Verschlankung“, die erreichen soll, dass der Rundfunkbeitrag „mittelfristig auch auf die Hälfte gesenkt werden kann“ sorgt vielleicht für weniger sich ähnelnde Sendungen, aber nicht für mehr sich unterscheidende. Auch die LINKE kritisiert indirekt die Höhe des Beitrags, jedoch durchaus im Interesse des ÖRR: „Der Empfang der Öffentlich-rechtlichen muss für die Bürgerinnen und Bürger bezahlbar bleiben.“
„Der Empfang der Öffentlich-rechtlichen muss […] bezahlbar bleiben.“
Die LINKE fordert dennoch eine Senkung der Einnahmen: „Wir wollen den Umfang der Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk schrittweise reduzieren.“ Genauso wie die GRÜNEN, die erklären, sich dafür einzusetzen, dass der ÖRR „in Zukunft möglichst ohne Werbung auskommt“, und zusätzliche Ausgaben fordert: „Dafür können unsere Bürger*innen auch erwarten, dass sie die von ihnen finanzierten Inhalte dauerhaft im Netz abrufen können und die Kreativen angemessen vergütet werden.“
Ähnlich klingt das bei der SPD – „Die 7-Tage-Bereitstellungsregelung der öffentlich-rechtlichen Mediatheken ist nicht mehr zeitgemäß und soll entfallen“ – die sich sonst nur allgemein äußert: „ Diese duale Medienordnung hat nur Bestand, wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten so finanziert sind, dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können und qualitativ hochwertige Angebote entwickeln“.
Andere Ideen und Aussagen
Die deutsche Sprache ist neben der AfD in den bereits zitierten Passagen auch der CDU ein besonderes Anliegen: Bei der Verständigung in einer vielfältigen Gesellschaft „ist uns die Pflege unserer Sprache sehr wichtig. Sie ist elementar für die gesellschaftliche Integration.“
Die AfD bedauert die „aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“, die „zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen“ sei, „die auch die positiv identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“
„In Zeiten des wachsenden Populismus ist eine offene Kultur der Schlüssel zum Dialog.“
GRÜNE und SPD positionieren sich gegen Populismus: „Wir GRÜNE wollen eine vielfältige und unabhängige Medienlandschaft verteidigen, auch gegen die Angriffe von Populist*innen und Hetzer*innen, die ihrerseits mit Falschmeldungen und Meinungsrobotern objektive Information durch Propaganda ersetzen“, bzw. „In Zeiten des wachsenden Populismus ist eine offene Kultur der Schlüssel zum Dialog.“
Die LINKE macht den Vorschlag eines Bundeskulturministeriums, will mehr Kulturpolitikforschung und einen Kulturbericht: „Wir wollen einen Bundeskulturminister bzw. eine -ministerin mit Kabinettsrang und ein Kulturministerium, um die Belange der Kultur gegenüber anderen Ressorts sowie auf europäischer Ebene wirksamer vertreten zu können“, „Wir wollen die Kulturpolitikforschung ausbauen, einen Kulturbericht etablieren und die Kulturförderung des Bundes neu systematisieren.“
Fazit
Wenn ein Fazit dieses Überblicks möglich ist, dann das zumindest in den Wahlprogrammen Kulturpolitik eher eine untergeordnete Rolle spielt. Viele Parteien haben zu manchen Problemen keine oder nur geringfügig Stellung bezogen. Absichtserklärungen sind oft sehr allgemein gehalten und wenig konkret, was ihre politische Diskussion eigentlich unmöglich macht.
Das ist schade, denn Politik ist da, wo Entscheidungen getroffen werden können. Da ist sie der Kunst dann sehr ähnlich. Auch Kunst ist Entscheidung, nicht Zwangsläufigkeit, oder Alternativlosigkeit, wie es seit Merkel so schön heißt. Das heißt auch: Entscheidungen für etwas sind auch Entscheidungen gegen etwas, Entscheidungen für jemanden, sind Entscheidungen gegen andere.
„Fantasie und Kreativität zeigen, dass wir uns mit der Realität nicht abfinden müssen“
Politik hat Nachteile, wenn sie Vorteile hat. Das müsste vermittelt werden, doch über Nachteile zu sprechen fällt den Parteien natürlich gerade vor einer Wahl besonders schwer. Was in unserem Kontext besonders beim Urheberrecht und ÖRR auffällt. Das ist verständlich, aber auch antidemokratisch, weil jeder Wähler so umfassend informiert werden müsste, wie nur möglich, um am Wahltag eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen zu können.
Ein zweites Fazit: Die AfD ist ein Witz. Diese Verurteilung tut mir Leid, ich habe sie im Rahmen dieses Artikels versucht ernst zu nehmen, weil auch sie in unserem nächsten Bundestag sitzen wird und Entscheidungen über uns treffen wird, und das ist durchaus ernst. Den dümmlichen Wust an Ignoranz und Selbstsucht dieser „Professorenpartei“ zu ertragen fällt aber schwer und ist mir vielleicht auch manchmal nicht ganz gelungen. Er offenbart eine große Ahnungslosigkeit über Demokratie, Politik und auch Kultur, die mit viel Geschwätz vertuscht werden soll.
Ich habe bei meiner Arbeit mit den Wahlprogrammen (CDU und SPD nennen ihre Regierungsprogramm, offenbar gelten die Absichtserklärungen dann nichts in der Opposition) versucht, sorgfältig und möglichst neutral zu sein, aber natürlich geht mir auch mal etwas durch und natürlich habe auch ich politische Meinungen. Ich lade deshalb alle Leser ein, sich selbst ein Bild zu machen. Hier geht es zu den Programmen der AfD, CDU, FDP, GRÜNEN, LINKEN, und SPD (alle PDF).
Als Schlusswort ein Zitat aus dem Programm der LINKEN: „Fantasie und Kreativität zeigen, dass wir uns mit der Realität nicht abfinden müssen, sondern sie gestalten können.“
Bild: Jürgen Matern / Wikimedia Commons