Emily Blunt & Robert Habeck für Drehbuchschreiber

In der Wochenendausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 8./9. Dezember gab es ein Interview mit der Schauspielerin Emily Blunt. Hieraus eine Passage:

Emily Blunt: Ich versuche meine Arbeit gut zu machen.
Süddeutsche: Wie funktioniert das?
Tief eintauchen. Man muss versuchen ihr Dilemma zu begreifen, die Situation & den Moment, in dem sie sich gerade befinden. Außerdem höre ich viel zu.
Wem?
Den anderen, die spielen. Weil es in einer Szene nie darum geht, was sie sagen. Es geht um den Raum zwischen den Menschen – nur dadurch entsteht etwas Besonderes. Wenn man sich da zu wichtig nimmt, zerstört man alles.
Wie verstehen Sie eine Figur?
Nicht verurteilen, nicht mal eine Meinung haben, sondern nur verstehen. Warum tut sie, was sie tut? Warum tun Menschen, was sie tun? Ob ich eine Figur mag oder nicht, darüber mache ich mir keine Gedanken. Meine einzige Sorge: ist sie interessant und kann ich sie begreifen. Sie muss mich persönlich interessieren, weil sie mich emotional viel kostet.

Da hat es bei mir Klick gemacht, weil das, was die Schauspielerin sagt, auch 1:1 für Autoren von Drehbüchern gilt, den Schöpfern der Vorlagen, die von den Schauspielern lebendig gemacht werden. Wir sind im Bereich nicht nur der, wie ich das nenne, Makrodramaturgie, dem täglichen Hauptbetätigungsfeld der Entscheider. Emily Blunt geht dann aber „tiefer“, in den Bereich der Mikrodramaturgie. Was genau passiert in der nächsten Millisekunde? Darüber muss sich ein Schauspieler immer Rechenschaft geben können. Er kann das aber, begründet, nur, wenn sich der Autor vorher darüber auch Rechenschaft gegeben hat. Vielleicht ist jetzt auch klar geworden, dass die so oft geforderten Beschreibungen der Charaktere nur theoretische Vorstudien sind. Mit der Aussage vom Dilemma ist Drama gemeint. Zuspitzung. Es zeigt sich in der Situation.

Erhellend im Weiteren: was wir als Autoren und Dramaturgen betreiben ist nicht Individualpsychologie, sondern Sozialpsychologie. Es geht, zumindest, wenn auch nur zwei Menschen in einer Szene sind, um die Beziehung. Wie sagte Watzlawick: Man kann nicht NICHT kommunizieren. Stärker als im Text drückt sich die Beziehung im Subtext aus. Sich, also eine Einzelperson zu wichtig zu nehmen, ist zerstörerische Eitelkeit, sagt die Schauspielerin. Eine Person als Autor zu wichtig zu nehmen, könnte ein Fehler sein. Das Bild vom Helden verleitet dazu. Zur Zeit scheint sich die Dramaturgie mehr ins Soziale zu wenden. Präzise formuliert Emily Blunt hier was in Familienaufstellungen praktiziert wird: der Raum zwischen den Menschen. Insofern sollte es einen nicht wundern, dass die häufig bereits praktizierten Drehbuchaufstellungen durchaus hilfreich sein können.
Auch der Arbeitsprozess des Autors kostet viel an Emotionalität.
Dann geht es um das Grundprinzip aller großen Dramatiker. Meine persönliche Namens-reihe: Shakespeare, Molière, Ibsen Tschechow und sogar Wolfgang Amadeus Mozart. Die machten sich keine Gedanken über Mögen – weil Mögen Figuren leicht zu positiv erscheinen lässt. Und Nicht-Mögen zu negativ. Interessant heißt mit anderen Worten komplex, vielschichtig, widersprüchlich. Wie Menschen in der Wirklichkeit sind. Und in der dargestellten Wirklichkeit auch sein müssen. Sonst werden sie zu Klischeefiguren minderer Genres. Ja und dass auch der Arbeitsprozess des Autors viel an Emotionalität kostet, darauf sollten er/sie gefasst sein.

Und noch ein Beispiel, kürzlich in der Presse zu lesen: Robert Habeck, einer der Vorsitzenden der GRÜNEN-Partei beendete auf einer Wahlveranstaltung in Hessen seine Rede so. (Übrigens kein Berufspolitiker von Anfang an, sondern ein studierter Literaturwissenschaftler und Schriftsteller.)

Robert Habeck: Ich habe neulich allen meinen vier Söhnen eine Bohrmaschine geschenkt, klingt blöd, aber das gehört zu meinem Männlichkeitsbild.
(Lachen)
Lasst uns doch stattdessen eine Welt gestalten, in der wir Dinge benutzen, statt sie zu besitzen. Lasst uns nachdenken: Welche Art von Wohlstand wollen wir haben? Das können wir nicht denen überlassen, die uns Bohrmaschinen und Autos verkaufen wollen. Diese Frage müssen wir politisch beantworten.
(Schluss seiner Rede und Beifall)

Was für ein Subtext-Virtuose und Rhetoriker. Sollten Autoren auch sein! Und das mit Bildern (Regieanweisungen) unterstützen können. Mit dem ersten Satz, selbst, wenn er im Detail nicht stimmen sollte, hat er eine Identifikation mit seinem Publikum hergestellt – aber über das Eingeständnis einer Schwäche. Diese Schwäche dreht er um zu einem Appell. Erst nachdenken, bedenken und dann Konsequenzen ziehen. Konsequenzen, die nur politisch sein können. Und die Gegner werden benannt.

Das ist so viel mehr, als alles, was uns das Gros der Politiker in den Talkshows bietet. In der Aussage Politik. In der Form Kunst.

We can cover that by a line of dialogue...

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