FSE16: Realität erzählen

Unter dem Titel »Realität erzählen. Dramaturgische Beratung im Dokumentarfilm« fand bei FilmStoffEntwicklung dieses Jahr ein Gespräch zwischen den Dramaturginnen Kritl Philippi und Kyra Scheuer und den Dokumentarfilmregisseuren Klaus Stern und Steffi Wurster statt, mit dem Anliegen dem Publikum diese sehr sinnvolle und dennoch viel zu selten zu Stande kommende Zusammenarbeit vorzustellen.

Wurster ist Szenografin und auch sonst am Raum interessiert: Ihr aktuelles Dokumentarfilmprojekt, Posten 6, das im Rahmen des Gesprächs auch vorgestellt wird, handelt von einem Grenzposten zwischen der Republik Moldau und dem international nicht anerkannten Transnistrien. Stern ist Dokumentarfilm-Autodidakt, er stellt mit Versicherungsvertreter 2 die Fortsetzung seiner Arbeit am großspurigen, zwielichtigen Makler Göker vor. Wurster ist Autorin und Dramaturgin und über ihre Arbeit als Redakteurin bei 3sat mit dem Dokumentarfilm in Berührung gekommen. Scheuer ist Dramaturgin und stellvertretende Vorsitzende von VeDRA.
Das Exposé ist oft Dokument dieser Unsicherheit.
Nach einem kurzen Überblick (Ja, es gibt dramaturgische Beratung im Dokumentarfilm. Sie unterscheidet sich gar nicht so sehr von jener bei fiktionalen Formen.) kamen die Gesprächspartner bald und immer mal wieder auf den wohl grundsätzlichsten Unterschied in der erzählerischen und dramaturgischen Arbeit zwischen Dokumentar- und Spielfilm zu sprechen: Die Planbarkeit. Denn natürlich hat der Dokumentarfilmregisseur eine erzählerische Absicht, ein Interesse am und eine Haltung zum Gegenstand, genauso natürlich aber entspricht die Realität dann selten den Erwartungen.

Diese Unwägbarkeit erschwert die Arbeit am Projekt schon sehr früh: Produzenten und Sender wollen wissen, worauf sie sich einlassen, was sie als Gegenleistung für ihre Finanzierung erwarten können. Und auch die Dokumentarfilmer selbst können etwas Sicherheit gut gebrauchen. Die dramaturgische Arbeit, sagt Scheuer, finde hier sehr grundlegend statt: Was ist das universelle Thema? Was ist die Haltung des Autors? Ich denke bei letzterem gern (und schon wieder) an Herzog: „Ich kann vielleicht sagen – das mag seltsam klingen –, dass ich an dem Punkt genau stehe, wo der Film für mich selbst seinen Ausgangspunkt genommen hat.“

Das Exposé ist oft Dokument dieser Unsicherheit, so klingt es durch in diesem Gespräch, es muss einen Film verkaufen, den es nicht gibt und so nicht geben wird. Und doch kann es als Arbeitspapier hilfreich sein, bei der Suche der Autoren nach Zugang und Haltung. Viel zu oft, zumindest glaube ich das von Wurster so zu verstehen, scheitert es aber gleich bei beiden dieser Funktionen. Bei schlechten Exposés helfe höchstens noch eine Referenz, an der der Sender erkennen könne, wie andere Themen angegangen und umgesetzt wurden.

FSE16, Realität Erzählen
Photo: André Wunstorf. VeDRA, FilmStoffEntwicklung 2016.

Aus der Dramaturgie heraus können wir dieses Dilemma der Dokumentarfilmer, ein Interesse am Gegenstand zu verfolgen und sich dabei aber nicht der Realität zu verschließen, zumindest sehr gut verstehen. Spätestens wenn das Ziel entschieden ist, wird der fiktionale Protagonist blind für anderes. Erst wenn er dann damit gegen die Wand gefahren ist, sensibilisiert er sich, kann er wieder erkennen, zum Beispiel sein eigentliches Bedürfnis. Nach aller Möglichkeit aber – behaupte, vermute ich – sollten Dokumentarfilmautoren offen und aufmerksam bleiben, ohne ihr Projekt vorher vor die Wand zu fahren.

Dass dabei die Hilfe einer Dramaturgin hilfreich ist, leuchtet ein; über das Wie muss nachgedacht werden. Das Gespräch ist für solche Fragen leider zu kurz, und die Projekte haben sich nach allem, was man erfahren kann glücklicherweise ohne solche Krisen entwickelt, eignen sich dafür daher schlecht als Anschauungsobjekt.

Interessant ist, wie sehr alle die wichtige dramaturgische Arbeit nach dem Dreh, im Filmschnitt betonen. Tatsächlich ist das Editing wohl neben dem Drehbuchschreiben (und der Filmmusik?) das wohl „dramaturgischste“ filmschaffende Gewerk. Angesichts der Einladung des VDD zur diesjährigen FilmStoffEntwicklung kann man sich in zwei Jahren vielleicht auf den BFS freuen? Ein Gedanke, den ich hier nicht unformuliert lassen will. Allerdings weiß ich weder, wie sehr sich der BFS für eine dramaturgische theoretische Grundlage der Arbeit seiner Mitglieder interessiert, noch, ob es solche Kooperation nicht schon längst gibt. Es würde mich freuen.

Weitere Artikel zu den Veranstaltungen auf FilmStoffEntwicklung 2016 folgen.

Ein Kommentar

  1. Michael Füting

    Sehr klug und wichtig!
    Dramaturgie gilt für alles, egal ob Fiction oder Dokumentation:
    Wann muss was wie erzählt werden…

    26. November 2016

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