Grundsätzliches zu KINDESWOHL

Der englische Film Kindeswohl, zur Zeit in den Kinos, ist eigentlich recht positiv besprochen worden. Kritiker fühlen sich nur dann in ihrer Identität wohl, wenn sie zumindest etwas mäkeln können. So auch in diesem Fall. Das nehme ich zum Anlass, aus der Perspektive eines Dramaturgen und Gelegenheits-Autoren darauf aufmerksam zu machen, dass die Schöpfer von Kunstwerken immer das Recht haben, ihrer Intention zu folgen. Mindestens ein Kritiker meinte, der Film erfülle den Roman nicht, er müsste eigentlich so oder so anders ablaufen.

Vorgeschichte: Ian McEwan hatte vor drei Jahren den gleichnamigen Roman veröffentlicht. Erfolgreich und hochgelobt. Eine gute Geschichte. Richard Eyre, Theater-, Opern- und Filmregisseur wollte daraus einen Film machen. Er ließ McEwan das Drehbuch schreiben, was der vor Jahren schon einmal für Eyre gemacht hatte. Ein vertrautes Team also. Und ihre Bedingung war Emma Thompson als Protagonistin, die Richterin, die einem gerade noch Minderjährigen durch gerichtliche Verfügung mittels einer Zwangs-Bluttransfusion das Leben rettet. Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern des Jungen, die Zeugen Jehovas sind. Sie hatte die Verhandlung unterbrochen, um sich in der Klinik ein Bild von diesem Jungen zu machen.
Nun steht im Roman ein Satz, der die Idee im Herzen der Geschichte ist.
Nun steht im Roman ein Satz, der filmtechnisch gesprochen, die Prämisse, also die Idee im Herzen der Geschichte ist. Da das Buch z. Zt. vergriffen ist, übersetze ich den Satz aus dem englischen Original:

Das Kindeswohl ist etwas Soziales. Kein Kind ist eine Insel. Sie hatte geglaubt, ihre Verantwortung ende an der Tür des Gerichtssaals. Aber wie sollte das gehen? Er war zu ihr gekommen, er wollte von ihr, was jeder will, und was nur der Mensch, nicht das Übernatürliche, geben kann: Sinn.
[Hervorhebungen von mir.]

Ein Kernsatz ziemlich am Ende des Romans. Vom auktorialen Erzähler gesagt, nachdem die Geschichte durch den Tod des nun Volljährigen sozusagen unhappy geendet ist. Das Problem bei Romanadaptionen immer: wie kann man solche Sätze ins Filmische bekommen? Eine Erzählerstimme? – Wäre zu einfach und episch undramatisch? Ihn jemand von der Personage sagen zu lassen? – Peinlich und dilettantisch.
Der Junge ist tot, sie weiß, dass sie daran einen Anteil hat.
Was haben McEwan und Eyre getan? – Es sich zeigen lassen. Es ist ja ein Film! Und das gelingt nach meiner Meinung. Zum einen durch die großartig präzisen Bilder, die ja die Stelle des auktorialen Erzählers einnehmen müssen. Allerdings auch mit einer Szene, die es, glaube ich, im Roman nicht gibt. Die Heldin ist bei einem Anlass gegenwärtig, bei dem junge Richter für höhere Ämter quasi noch einmal vereidigt werden. Dabei werden Normen zitiert, nämlich auch, dass ein Richter persönliche Beziehungen zu Personen der Verhandlungssache nicht haben darf.
Es ist nach unserem Recht die Befangenheitsregel.

Danach handelte die Heldin und hat sich so im Endeffekt in ein moralisches Dilemma gebracht. Der Junge ist tot, sie weiß, dass sie daran einen Anteil hat. Aber ihre Ehe, die während des Falls (Nebenhandlung als Schlaglicht auf die Richterin) in der Krise war, ist gerettet.

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