Erster Eindruck: Gundermann

Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Gundermann, Buch: Laila Stieler.

Musiker Gerhard Gundermann wird in den 90ern damit konfrontiert, dass er zu Zeiten der DDR Freunde für die Stasi bespitzelt habe. Er ist überrascht, hat das vor sich verleugnet und völlig verdrängt. Gundermann erzählt nun in einer Gegenwartserzählung (90er) Gundermanns schwierigen Prozess der Akzeptanz, der über verschiedene Stufen des Verweigerns, Klein- und Schönredens zu einer Korrektur seines Bildes von sich selbst führt, und in einer Vergangenheitserzählung (70er, 80er) von seinem Kontakt zur Stasi und seiner AuseinandDas gibt der Erzählung eine journalistische Anmutungersetzung mit SED und DDR, die durchaus kritisch ist, trotz bzw. gerade seiner sozialistischen Überzeugungen, sowie von seinem Privat- und Liebensleben.

Gundermann ist eine Flashbackerzählung, die Geschehnisse in der Gegenwart durch Erkenntnisse aus der Vergangenheit anstößt, wie wir das etwa aus Citizen Kane kennen. Wie auch bei Citizen Kane ist die Hauptfigur ein rätselhafter Außenseiter, den wir als jemanden kennenlernen, der uns unverständlich ist, der uns aber durch die Vergangenheitserzählung verständlich wird. Dass bei Gundermann anders als etwa bei Citizen Kane Protagonist der Vergangenheitserzählung und Protagonist der Gegenwartserzählung identisch sein können, es einen Ermittler gibt, der nicht in einem fremden, sondern seinem eigenen Leben recherchiert, liegt an Gundermanns Distanz zu seinem vergangenen Selbst. Beschrieben wird eine solche Flashbackerzählung mit rätselhaftem Außenseiter in Linda Aronsons The 21st Century Screenplay.
Es geht um Unrecht und Verrat, Gundermann ist mal Opfer und mal Täter.
Das gibt der Erzählung eine journalistische Anmutung, die ja durchaus bei dem Bericht über Historisches und der Distanz zur Hauptfigur nahe liegt. Die inhaltliche Auswahl der Flashbacks in die Vergangenheit wirkt assoziativ. Wir und unsere Sehgewohnheiten sind mit Flashbackerzählungen vertraut, wir brauchen keinen unmittelbaren inhaltlichen und formalen Zusammenhang von Gegenwart und Vergangenheit (mehr?), um die Sinnhaftigkeit des Flashbacks nachzuvollziehen. Immerhin die Recherche im Archiv ist uns bei Gundermann als Handlung erhalten geblieben. Gemeinsam ist der Gegenwartsgeschichte und allen Vergangenheitsgeschichten aber ein gemeinsames emotionales Thema: Es geht um Unrecht und Verrat, und Gundermann ist mal Opfer und mal Täter.

Da ist Gundermanns Liebesleben: Seine Freundin und spätere Ehefrau verliebt sich und schläft schon mit ihm, während sie noch mit einem Bandkollegen der beiden verheiratet ist und sich um die zwei kleinen Kinder kümmert. Da ist Gundermanns Familienleben: Sein Vater hat den Kontakt beendet, er musste ins Gefängnis nachdem Gundermann als Kind eine Waffe bei ihm entdeckt und öffentlich gezeigt hatte. Wie so viele Opfer von „Whistleblowern“ sieht er offenbar nicht den eigenen Fehler, sondern nur den Verrat dieses Fehlers durch den Sohn. Da ist Gundermanns berufliches Leben: Wie die Regierung die Bergleute im Tagebau verrät und sich trotz Gundermanns Protest solange nicht um deren Sicherheit schert, bis tatsächlich ein Kollege durch die Arbeit stirbt.

Da ist Gundermanns politisches Leben: Gundermann, seine sozialistischen Ideale, und wohl ähnlich überzeugte Mitglieder werden von der SED verraten, während die SED alle, die nicht auf Parteilinien sind ihrerseits als Verräter versteht. Und schließlich ist da eben Gundermanns Spitzelei für die Staatssicherheit, wie er, um im Ausland auftreten zu können, über seine Freunde spricht, aber auch, wie ein Freund vor der Staatssicherheit dann über ihn spricht (schöne Idee: ganz arglos stellt Gundermann fest, dass der Freund ja die selbe Obstschale habe wie er selbst, die er, wie wir erfahren, von der Stasi als Geschenk erhalten hat).
Im Nebeneinander der Geschichten liegt die epische Qualität des Films.
Dieses gemeinsame emotionale Thema bindet die verschiedenen Geschichten zusammen. Und in diesem Nebeneinander liegt die epische Qualität des Filmes: Wir sehen so viele Menschen, die verraten haben, und verraten worden sind, ihr Umgang damit sind die Referenzen, die wir untereinander, aber zu denen wir vor allem Gundermanns Umgang mit dem und all dem Verrat ins Verhältnis setzen können. (Besonders interessant: Gundermanns Führungsoffizier, den er in der Gegenwartserzählung schließlich wieder aufsucht.) In diesem Vergleich der Geschichten und Figuren findet – unabhängig vom Protagonisten, denn dass Gundermann wie im Film auch an seinen Mitmenschen lernt müsste so nicht sein – die Erkenntnis, der Rat der Erzählung für ihr Publikum, statt. Ich vermute, Brecht hätte es gefallen:

Da das Publikum ja nicht eingeladen werde, sich in die Fabel wie in einem Fluss zu werfen, um sich hierhin und dorthin unbestimmt treiben zu lassen, müssen die einzelnen Geschehnisse so verknüpft sein, dass die Knoten auffällig werden. Die Geschehnisse dürfen sich nicht unmerklich folgen, sondern man muss mit dem Urteil dazwischen kommen können. Die Teile der Fabel sind also sorgfältig gegeneinander zu setzen, indem ihnen ihre eigene Struktur, eines Stückchens im Stück gegeben wird.

Gundermann ist ein hervorragend komponierter Film, der die Flashbackerzählung nie zum Selbstzweck sondern ganz entsprechend ihrer Funktion, nämlich das zunächst Unverständliche verständlich zu machen und an diesem Prozess zu lernen, nutzt. Der die durch diese Form zwangsläufig fehlende dramatische Qualität, denn wir können uns mit dem rätselhaften Außenseiter nicht identifizieren, durch eine epische Qualität ersetzt, indem er unseren Blick von der Figur weg auf das Verhältnis der Figuren lenkt. Und der dabei immer einem emotionalen Thema treu bleibt und uns dadurch involviert. Müsste ich Negatives äußern, wäre es wohl das Fehlen der Wende, die doch einen großen Eindruck auf Gundermann gemacht haben muss, aber nach all der großartigen Arbeit der Autorin vertraue ich darauf, dass das die richtige Entscheidung war.

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