Mit geballter Kraft, Witz und Strategie – Wie Serienheldinnen Männerwelten erobern

Die Figur treibt die Handlung, die Handlung treibt die Figur. Lange bildeten diese Thesen die Grundlage für dramaturgische Entscheidungen. Doch der anhaltende Serienboom rückt zunehmend auch die Story World in den Vordergrund. Es wird breiter erzählt, die Nebenfiguren gewinnen damit an Relevanz und die sozialen Strukturen der Geschichte treten deutlicher hervor.

Dies ist ein Gastbeitrag von Antonia Roeller. Seit ihrem Drehbuchstudium an der UCLA arbeitet sie als freie Dramaturgin & Autorin mit Fokus auf Frauenfiguren. Zu diesem Thema war sie u. a. bei der Feminist Film Week, den Frauenfilmtagen Wien und WIFT zu Gast. 2018 erschien ihr Buch VON CHEFINNEN UND PRINZESSINNEN. ZWEI ESSAYS ÜBER FRAUENFIGUREN IN FILM UND FERNSEHEN im Verlag der Master School Drehbuch. Der von ihr mitverfasste Historienkrimi EFFIGIE – DAS GIFT UND DIE STADT lief auf zahlreichen internationalen Festivals und seit Herbst 2020 in amerikanischen Kinos.

Doch die erhöhte Seriennachfrage bietet auch eine willkommene Möglichkeit, mehr weibliche Figuren zu erzählen. Lange bevölkerten überwiegend Kommissarinnen, die deutsche Serienlandschaft. Frauenzentrierte Serienhits wie Bad Banks, Ku‘damm 56 und Unorthodox lassen jedoch auf eine Trendwende hoffen. Dabei lohnt sich ein Blick in den internationalen Streaming-Bereich. Hier werden durch eine vielfältige Auswahl an Heldinnen frische Impulse gesetzt. Sie bewegen sich in einem Spektrum, das von Schach (The Queen‘s Gambit) über Stand-Up (Marvelous Mrs. Maisel) bis zu Wrestling (Glow) reicht – allesamt traditionell männlich geprägte Sphären. Daraus ergibt sich ein spannender Kontrast mit einer Fülle an Konfliktmöglichkeiten.

Doch führt eine verstärkte Darstellung zwangsläufig zu einer besseren Repräsentation? Lange wurden Frauenfiguren durch eine männliche Sichtweise gefiltert. Sie wurden objektifiziert, dienten der Story vornehmlich als Opfer oder Liebesobjekt. Die Protagonistinnen neuerer Produktionen wie Lotte Ritter in Babylon Berlin oder Monika in Ku’damm 56 zeichnen sich durch Selbstbewusstsein aus, rütteln an den ihnen auferlegten Grenzen. Die Zugehörigkeit zur Unterschicht oder zum 50er Jahre Bürgertum erweist sich als einengender Faktor, aus dem es auszubrechen gilt, um Neuland wie Kriminalistik oder Rock n Roll zu betreten. Ihre persönliche Emanzipationsgeschichte macht gesellschaftliche Doppelstandards sichtbar. Jedoch wird der Fortschritt bei der seriellen Umsetzung hin und wieder durch veraltete Stereotype zersetzt. So ist Lotte in der Serien-Adaption Babylon Berlin im Gegensatz zu ihrer sexuell selbstbestimmten Romanvorlage gezwungen, einer Nebenbeschäftigung als Prostituierte nachzugehen, die sie in eine Opferecke rückt. Und statt wie in der Vorlage selbstbewusst eine ebenbürtige Beziehung mit dem ungebundenen Kommissar Rath zu verfolgen, ist sie in der Serie zu Passivität verdammt. Lotte scheint hier vielmehr als Teaser zu dienen, um Rath nach und nach aus seiner dysfunktionalen Ehe zu locken. Somit fängt die Serie zwar den freizügigen Lebensstil im Berlin der 20er ein, spricht der weiblichen Figur jedoch sexuelle Handlungsmacht ab.
Lange wurden Frauenfiguren durch eine männliche Sichtweise gefiltert.
Auch die Geschichte der Ku’damm 56-Heldin Monika ist nicht frei von zweifelhaften Klischees. Gleich zu Beginn wird sie Opfer einer brutalen Vergewaltigung – ein Umstand, der laut ihrem Umfeld vertuscht werden muss und keinen Raum für Traumabewältigung zulässt. Vielmehr wird Monika eine Mitschuld zugeschrieben. Anstatt einer ausführlicheren Thematisierung dieser Doppelmoral, geht sie jedoch aus dieser Erfahrung rasch gestärkt hervor, um ihren Drang nach Rock n Roll und einem Dasein jenseits des 50er Bürgertums nachzugehen. Dass sie im weiteren Serienverlauf eine Liebesbeziehung mit dem Täter („armer missverstandener Industriellensohn“) verfolgt und ihn schließlich heiratet, schränkt sie in ihrer Funktion als Identifikationsfigur für ein modernes Publikum ein und hinterlässt einen Beigeschmack.

Auch die Heldinnen des Netflix-Serienhits Glow dienen nicht immer als leuchtendes Vorbild. Der allgegenwärtige Sexismus der 80er Unterhaltungsindustrie löst bei der unerfolgreichen Schauspielerin Ruth eine existenzielle Krise aus, die in einer Affäre mit dem Mann ihrer besten Freundin gipfelt. Ruth ist aber hier nicht ausschließlich Opfer der Umstände, sondern auch ihrer Selbstsabotage. Als sie und ihre Freundin Rollen in einer neu konzipierten Ladies Wrestling-Show ergattern, sieht sich Ruth gezwungen, mehr Eigenverantwortung zu entwickeln. Anfänglich scheint die Show nicht mehr als eine Gelegenheit, für männliche Konsumenten Bitch Fights zwischen knappbekleideten Frauen zu produzieren – immer unter den demütigenden Anweisungen des Regisseurs. Doch nach und nach entdecken die engagierten Wrestlerinnen (ein Sammelsurium an Frauen, der die Gesellschaft keinen Platz einräumt) ihre in ihnen schlummernde Macht, gestalten die Show aktiv mit und drücken ihr so den Stempel auf. Glow führt uns in eine Welt, in der Frauen ständig ankämpfen müssen, gegen Vorurteile, gegen Rollenerwartungen. Dabei stellt das schmuddelige Randmilieu der 80er Unterhaltungsbranche Herausforderungen, die auch das aktuelle weibliche Publikum nur zu gut kennt. Und doch steht in der filmischen Darstellung die physische und psychische Kraft der Frauenfiguren im Vordergrund. Alle Körpertypen sind repräsentiert. Trotz freizügiger Outfits werden sie nie objektifiziert. Frauen sind Männern körperlich unterlegen? Die Gorgeous Ladies Of Wrestling beweisen, dass gerade trotz Menstruation und Muttermilchflecken auf dem Shirt Frauen imstande sind, körperliche Hochleistung zu erbringen. Der Hauptvertreter der feindlich gesinnten Umwelt wird vom chauvinistischen Regisseur (die einzig prominente Männerrolle im Serien-Cast) verkörpert. Doch seine Rolle ist nicht primär die eines Störfaktors. Durch den ständigen Umgang mit den Wrestlerinnen zeigt er sich zunehmend sensibilisiert, unterstützt sie sowohl bei der Kinderbetreuung als auch einem Schwangerschaftsabbruch. So beweist Glow, dass eine von Frauen ebenbürtig mitgestaltete Gesellschaft auch Männern zugutekommt.

Doch nicht immer verändert sich die Serienwelt durch das prominente Auftreten weiblicher Figuren. The Queen’s Gambit erzählt vom Aufstieg der Waisen Beth Harmon zur international gefeierten Schachmeisterin. Die Serie beginnt mit einer Vorausblende, in der wir Beth beim Schachduell gegen den russischen Großmeister sehen – umringt von Männern. Wir lernen über Beths Anfänge, ihre Kindheit in einem Waisenhaus für Mädchen. Dort herrscht strikte Konformität, die durch die regelmäßige Gabe von Beruhigungsmitteln erreicht wird. Beth wird medikamentenabhängig, bricht Regeln und entflieht schließlich der Gemeinschaft, um Ablenkung im Schachspiel zu suchen. Ihr Aufstieg vom Wunderkind zur Meisterin wird stets durch ihre Sonderstellung als einzige Frau unter den Spielern markiert. Und doch sieht sich Beth selten mit Sexismus konfrontiert, findet Unterstützung von männlicher Seite. Dies resultiert in einer gewissen Ignoranz bezüglich ihrer eigenen Vorbildfunktion. Beth sieht sich nie als Vorreiterin, die andere inspiriert. Sie bildet keine weiblichen Seilschaften, ist nach wie vor Einzelkämpferin. Dies wird auch in der finalen Einstellung noch einmal deutlich. Beth realisiert endlich, dass ihr Erfolg nicht auf der Einnahme von Drogen basiert, sondern auf ihrem mentalen Talent. Sie emanzipiert sich dadurch endgültig von den ihr von der Gesellschaft auferlegten Fesseln und gewinnt das entscheidende Schachduell. Doch sie bleibt ultimativ Außenseiterin. Statt sich der Öffentlichkeit zu stellen, flieht sie nach ihrem Triumph in einen Park, um dort gegen einen älteren Herrn eine Partie Schach zu spielen – wieder ausschließlich umringt von Männern.
Nicht immer verändert sich die Serienwelt durch das prominente Auftreten weiblicher Figuren.
Auch Midge in Marvelous Mrs. Maisel begibt sich in eine Welt, die sonst nur Männern vorbehalten scheint. Ausgestattet mit allen Privilegien ihres weißen, jüdischen und wohlsituierten Hintergrunds ist ihr Dasein von starker Abhängigkeit zu ihren Eltern und ihrem Mann geprägt. Als letzterer Midge völlig unerwartet für seine Sekretärin verlässt, wird sie unsanft aus ihrem Nest gestoßen – und landet auf der Bühne eines Stand Up Comedy-Klubs. Ihre Wutrede auf das Ende ihrer Ehe findet erheiterten Anklang beim Publikum. Midge erkennt ihr beachtliches Talent, dass sie bisher zurückgehalten hatte, um ihrem Mann nicht die Schau zu stehlen. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss sie eigenes Geld verdienen, wagt sie sich hinaus in das reale Leben. Die Welt der dunklen, verrauchten Comedy-Klubs steht in krassem Gegensatz zu Midges bisherigen Erfahrungen als Hausfrau an der Upper West Side. Hier performt sie vor einem Publikum, in dem Menschen unterschiedlichster Hautfarbe vertreten sind und Drogen konsumiert werden. Hier hört sie Jazz, trifft auf Avantgarde-Künstler, der kreative Austausch beflügelt sie. Es ist die Zeit der Beatnik-Bewegung, eine Zeit des Umbruchs im Amerika der späten 50er Jahre. Midge sieht sich gezwungen, zwischen beiden Welten zu navigieren und beginnt, ihre bisher akzeptierte Rolle als Frau und die Gesellschaft insgesamt zu hinterfragen. Dabei verbündet sie sich mit der ungehobelten Barkeeperin Susie, die als Midges Managerin fungiert. Auf den ersten Blick ein ungleiches Paar mit Konfliktpotential, ergänzen sich hier jedoch Talent und Biss, um in der männerdominierten Stand Up-Szene zu bestehen. Auffallend ist auch hier, dass Midges Erfolg ähnlich wie in The Queen’s Gambit nur bedingt Nachahmerinnen hervorzubringen scheint.

Auch Jana Liekam, die Protagonistin der Finanzthriller-Serie Bad Banks, erkennt die Wichtigkeit solcher Verbindungen. Auch sie sieht sich als junge Investmentbankerin ständigen Herabsetzungen ihrer männlichen Umwelt ausgesetzt. In der knallharten Finanzwelt scheint sich jeder selbst der nächste. So vertritt auch Janas Gegenspielerin Christelle die Ansicht, dass wirkliche Loyalität nicht existiert. Doch Jana ist Vertreterin einer neuen Frauengeneration. Mit dem Misstrauen ihrer gleichaltrigen Kollegin Thao konfrontiert, appelliert sie, als Team zu agieren. Hier wird der positive Einfluss deutlich, der von sozialen Vorkämpferinnen ausgeht. Altersmäßig steht Christelle Figuren wie Beth und Midge nahe und es ist davon auszugehen, dass auch sie in ihrem Umfeld lange eine Ausnahmestellung als Frau einnahm und es an Vorbildern mangelte. Jana teilt diese Erfahrung nicht. Sie profitiert von der Kenntnis weiblicher Erfolgsgeschichten und agiert dementsprechend anders in ihrem Verhältnis zu Frauen.
Wo bleiben frauen-zentrierte Shows, die im Schützenverein oder der Dart-Kneipe angesiedelt sind?
Erwähnenswert ist, dass Serien des internationalen Streaming-Bereichs sich häufig realer Schicksale bedienen. Glow basiert auf einer tatsächlich existierenden Ladies Wrestling-Show. Die Figur Susie Myerson in Marvelous Mrs. Maisel ist an die Talentmanagerin Sue Mengers angelehnt, die in ihrer Branche ebenfalls als Vorreiterin agierte. Auch die deutsch-amerikanische Koproduktion Unorthodox sowie die Bauhaus-Serie Die Neue Zeit sind von realen Begebenheiten inspiriert. Im Vergleich erzählt Charité zwar von renommierten Ärzten wie Robert Koch, Paul Ehrlich und Rudolph Virchow, die zentrale Frauenfigur ist jedoch fiktiv. Dabei existierten bereits zur Kaiserzeit Ärztinnen wie Rahel Hirsch, die als erste preußische Professorin der Medizin durchaus als Protagonistin einer Miniserie taugen würde.

Es stellt sich somit die Frage, wo es noch unerforschte Welten gibt, die sich hierzulande für eine frauenzentrierte Serie eignen. Die ZDF-Produktion Zarah – Wilde Jahre handelt von einer engagierten Journalistin der frühen 70er Jahre und ist ebenfalls an wahre Vorbilder angelehnt. Von der Kritik gelobt litt Zarah jedoch unter einer unglücklichen Sendeplatzierung. Ein weiterer Blick sowohl in die Medienbranche als auch die Frauenbewegung könnte dennoch lohnen. Auch in anderen Bereichen besteht Ausbaubedarf. Wo bleiben frauen-zentrierte Shows, die bei der Bundeswehr, im Fußball, dem Schützenverein oder der Dart-Kneipe angesiedelt sind? Ob fiktiv oder an die Realität angelehnt, hier existiert die Möglichkeit für spannende weibliche Narrativen – und die echte Chance, männergeprägte Welten zu hinterfragen. Hier existiert unausgeschöpftes Serienpotential.

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